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Politik: Sympathisch deutsch

Von Peter von Becker

Wir sind wieder wer, frohlockten viele Deutsche nach dem Weltmeisterschaftsgewinn, heute vor 50 Jahren am legendären „Tag von Bern“. Das war im Nachkriegsland ein Aufbruchsignal weit über den Fußball und den Finaltag hinaus. Selbst wenn sich in den verständlichen Stolz auch ein Moment der verdrängen und vergessen wollenden neuen Anmaßung mischte.

Vom Fußballwunder zum Wirtschaftswunder – von beidem scheint Deutschland heute Äonen entfernt. Und doch kommt da plötzlich ein frischer Mutmacher. So als sei der letzte Optimist seit drei Tagen der erste Mann im Staate. Zwar hat Horst Köhler bei seiner Antrittsrede als neunter Präsident der Bundesrepublik rein inhaltlich nichts umwerfend Neues gesagt. Doch macht gerade in Zeiten von Selbstzweifeln und Zukunftsängsten der Ton die Musik.

Köhler redete der Regierung wie der Opposition ins Gewissen: für eine grundlegende Veränderung des aus der Erstarrung gerade ins Stolpern geratenen Landes. Dabei liegt dem neuen Präsidenten ein Blut-Schweiß-und-Tränen-Ton so fern wie allen seinen Amtsvorgängern, von Theodor Heuss bis Johannes Rau.

Jetzt hat Horst Köhler im Bundestag die Rede gehalten, die Gerhard Schröder nie geglückt ist. Anders als Weizsäcker, Herzog oder Rau ist Köhler dabei im Typ und Stil kein offiziöser Repräsentant. So scheint das Neue, mit dem er Nerv und Seele, ja mitunter auch den Lachnerv traf, die souveräne Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, aus schwäbischer Mundart und weltläufiger Denkart, unverkrampft, von heiterstem Ernst. In Italien zum Beispiel gilt das Schwäbische als das Urdeutsche. Da denkt man an die schwabendeutsche Schwermut oder Pathetik eines Hölderlin und Schiller; dagegen ist Köhler ein Schwabe eher vom Witz eines Thaddäus Troll oder des Ersten Bürgers Theodor Heuß.

Ohne Prätention, Würdemaske und politisch-technokratische Maskensprache liefert Köhler bisher ein Beispiel für jenes Leichte, das laut Bertolt Brecht so schwer zu machen ist. Leicht, nicht seicht – das könnte den offenen, denkschnellen Mann auch zum ersten Medienpräsidenten der Deutschen machen. Darin läge dann nur die Gefahr, sich und das Amt abzunutzen und die Möglichkeiten der zwar praktisch machtlosen, aber symbolisch wirkungsvollen besonderen Einmischung zu verspielen.

Köhlers Botschaft ist: Wir momentan so gebeutelten Deutschen sind immer noch wer. Allerdings zeugen der Ton und die Person von einem ganz anderen Selbstverständnis und Habitus als jenem, den in- und ausländische Kritiker den Deutschen so gerne zuschreiben. Auch Johannes Rau war ja kein auftrumpfender Teutone. Doch Köhlers beginnende Amtszeit könnte mit einem sich gerade auch international wandelnden Deutschland-Bild in Einklang kommen: dem Bild des weder bedrohlichen, noch einschüchternden Deutschen. Inzwischen sind wir ja nicht nur im Fußball die neuen Underdogs. Darin liegt auch eine Chance, die führt der momentan beliebteste, bestaunteste deutsche Außenseiter mit Namen Otto Rehhagel in Europa gerade erfolgreich vor. Die Rede ist von zivilen, selbstkritisch selbstbewussten und manchmal sogar witzigen Menschen, die im Fußball wie in der Wirtschaft durchaus verlieren können. Um dann, wie alle anderen, auch wieder gewinnen zu wollen. Das wäre dann: der sympathische Deutsche.

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