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Politik: Syrien: Gefahr aus den Wohnzimmern

Sie schießen wie Pilze aus dem Boden: Diskussionszirkel, die immer mehr syrische Intellektuelle in ihren Häusern organisieren. Dort wollen sie in kleinem Kreis kontrovers debattieren: Kultur und Wirtschaft, aber auch politische Themen stehen auf dem Programm.

Sie schießen wie Pilze aus dem Boden: Diskussionszirkel, die immer mehr syrische Intellektuelle in ihren Häusern organisieren. Dort wollen sie in kleinem Kreis kontrovers debattieren: Kultur und Wirtschaft, aber auch politische Themen stehen auf dem Programm. Die Treffen, zu denen sich bis zu 200 Menschen im Wohnzimmer der Organisatoren versammeln, bilden die Speerspitze der aufkeimenden Zivilgesellschaft. Seit November hat der führende syrische Oppositionelle, der Abgeordnete Riad Saif, auch in seinem Haus bei Damaskus solche Zirkel veranstaltet. Ende Januar kündigte Saif sogar an, er wolle eine neue politische Partei gründen, die "Bewegung für sozialen Frieden". Eine Genehmigung des Präsidenten Bashar al-Assad sei ihm in Aussicht gestellt worden.

Doch das war der alten Garde denn doch zu viel der Freiheit: Am Wochenanfang genehmigte das von der regierenden Baath-Partei dominierte Parlament eine juristische Untersuchung gegen den 55-jährigen Geschäftsmann: Er muss sich wegen des Verstoßes gegen die Verfassung verantworten. Der unabhängige Abgeordnete, der bereits zum zweiten Mal als Repräsentant der Geschäftswelt ins Parlament gewählt wurde, sieht darin ein Einschüchterungsmanöver: Man wolle erreichen, dass er seinen Mittwochs-Salon schließe.

Andere Organisatoren von Diskussionszirkeln, wie Habib Saleh aus der Küstenstadt Tartus, erhielten gleichzeitig die Anweisung, ihre Treffen mit genauer Themen- und Teilnehmerliste zwei Wochen vorher offiziell genehmigen zu lassen. Zur Begründung gab der syrische Vize-Präsident Abdel Halim Khaddam an, die Salons hätten die "roten Linien" überschritten, die die Stabilität und Sicherheit des Landes beträfen. Er warf den Organisatoren vor, sie hätten die Freiheit ausgenutzt, "um das Regime zu sabotieren".

Ob dies bereits ein Ende des "syrischen Frühlings" ist - wie Riad Saif vermutet - oder nur ein Bremsmanöver der alten Garde, lässt sich noch nicht sagen. Es ist allerdings der erste Rückschlag nach der zaghaften politischen Lockerung, die der neue Präsident seit dem Herbst betrieben hat. So hatte Bashar, der nach dem Tod seines Vaters im Juni vergangenen Jahres an die Macht kam, das berüchtigte Mazzeh-Gefängnisses bei Damaskus schließen lassen. Es solle aus dem "Gedächnis der Menschen gelöscht werden", hieß es dazu. In dem von den Franzosen in den 20er Jahren gebauten Gefängnis wurden vor allem politische Gefangene festgehalten und wohl auch gefoltert.

Außerdem ließ Assad 600 politische Gefangene frei, die islamistischen und linken Oppositionsgrupppen angehören. Darunter waren auch 380 Mitglieder der Muslimbruderschaft, die in den 80er Jahren den Aufstand gegen das Regime geprobt hatten. Kurz darauf verkündete Justizminister Muhammad Nabil al-Khatib eine Generalamnestie. Ende Januar kam dann die Nachricht, dass das seit 1963 verhängte Kriegsrecht "eingefroren" sei. Informationsminister Adnan Omran erklärte, das Kriegsrecht sei zwar noch gültig, werde aber nicht mehr angewendet. Bereits seit April 2000 würden keine willkürlichen Verhaftungen mehr vorgenommen. Abgeschafft werden könne das Kriegsrecht aber nicht, da sich Syrien formell noch im Kriegszustand mit Israel befände, das die Golan-Höhen besetzt hält.

Die Abschaffung des Kriegsrechts, das die regierende Baath-Partei nach ihrer Machtergreifung verhängte, ist eine der Hauptforderungen der 1000 Unterzeichner einer Petition, die im Januar in Syrien veröffentlicht wurde. Darin wird auch das Ende des Ein-Parteien-Systems, größere Meinungsfreiheit, ein neues Wahlrecht und eine unabhängige Justiz verlangt. Der libanesische Journalist Saad Mehyo bezeichnete das Dokument als ein Arbeitspapier, das die Grundlage für Reformen in der gesamten arabischen Welt bilden könne. Es ist eine ausführlichere Neuauflage der "Petition der 99", in der im September 2000 erstmals syrische Intellektuelle öffentlich größere politische Freiheiten gefordert hatten.

Der Aufruf - in der in London erscheinenden Tageszeitung "Al-Hayat" veröffentlicht - war die erste Herausforderung für das neue Regime. Als die Petition keine Folgen für die Unterzeichner hatte, wurde dies als Beweis dafür gewertet, dass offenere Diskussionen toleriert werden. Auch die politischen Salons, die daraufhin in allen syrischen Städten entstanden, hatte die Regierung gewähren lassen. Bashar al-Assad hat allerdings in einem Interview auch die Grenzen der Öffnung aufgezeigt: Diese müsse "gemäßigt" sein und dürfe die Interessen und die Sicherheit Syriens nicht berühren.

Genau dagegen sollen die Organisatoren der Diskussionszirkel nach Ansicht der Regierung nun verstoßen haben. Damit ist auch wieder fraglich, ob die bereits genehmigte Satire-Zeitschrift des renommierten Karikaturisten Ali Farzat wirklich Ende Februar aus der Taufe gehoben werden kann. Die 16-seitige Zeitschrift wolle mit Texten und Zeichnungen Licht werfen auf Missstände, "ohne irgend jemanden zu diffamieren", erklärte Farzat. Dies hört sich nach einem neuen Test an für den Willen und die Möglichkeiten des jungen Präsidenten Bashar al-Assad, sein Land politisch zu öffnen.

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