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Für den Staatschef. Tausende Demonstranten hatten am Dienstag im Stadtzentrum von Damaskus ihre Loyalität mit dem Präsidenten demonstriert.

©  Reuters

Syrien: Keine Rede von Reform

Syriens Präsident al Assad spricht im Parlament, sagt aber nichts zu politischen Veränderungen. Der Staatschef beschuldigt "Kräfte aus dem Ausland".

Die Rede von Präsident Bashar al Assad wurde von den Syrern sehnsüchtig erwartet. Vor dem Parlamentsgebäude versammelten sich Hunderte begeisterte Anhänger des Staatschefs. Autofahrer, die die Rede in ihren Radios verfolgten, hupten und jubelten. In den traditionellen Kaffeehäusern von Damaskus lief die Übertragung im Fernsehen, die Zuschauer saßen gebannt vor den Apparaten. Die meist männlichen Zuschauer applaudierten, wie auch die Parlamentsmitglieder, vor denen der Präsident die Ansprache hielt, an den richtigen Stellen.

„Unsere Nation steht auf dem Prüfstand, da ausländische Kräfte unser Land destabilisieren wollen – nun ist es an uns, Einheit zu beweisen“ sagte al Assad, und erklärte, warum er sich nicht direkt nach den blutigen Unruhen des vergangenen Wochenendes geäußert hatte. Er habe sich zunächst einen „gesamten Überblick über die Lage“ verschaffen wollen, und sei sich nach den – staatlich angeordneten – Pro-Regierungsdemonstrationen vom Dienstag sicher, dass es nur eine verschwindend kleine Minderheit sei, die Syrien „verraten“ wolle. „Sie haben auf sehr clevere Weise probiert, Syrien zu destabilisieren“, sagte er weiter, auf die Erzfeinde Israel und die USA anspielend, aber „leider haben sie sich die falsche Nation und das falsche Volk ausgesucht“.

Kritische Intellektuelle, die die Übertragung im Privaten verfolgten, kommentierten, dass die Ansprache, in der erneut Reformen angekündigt wurden, ebenso wie der Rücktritt des Kabinetts eine erneute Farce sei. „Es wird sich nichts ändern, die Korruption ist zu sehr in den mächtigen Familien verankert und geht bis hin zur kleinsten offiziellen Stelle.“ Selbst in Krankenhäusern und an Universitäten müsse man bestechen, um aufgenommen zu werden. Politische Aktivisten, die wegen kleinster Vergehen monatelang in Haft waren, kamen nur nach Zahlung von hohen Schmiergeldern in Höhe eines Jahresgehaltes (rund 2000 Euro) frei. Zudem seien Reformen schon zu lange angekündigt worden, ohne dass sich etwas an den Problemen getan hätte – neben der Korruption die hohe Arbeitslosigkeit, der Wassermangel in den ländlichen Gebieten und die Preissteigerung der Grundnahrungsmittel.

Dennoch hatten am Dienstag zehntausende Menschen in der Innenstadt von Damaskus ihre Loyalität zum Präsidenten demonstriert. Alle Zufahrtsstraßen zum Distrikt Saba Bahrat waren abgeriegelt, der Verkehr kam zum Erliegen. Bis in die späten Abendstunden waren die Straßen rings um die Altstadt voll mit spontanen Autokorsos, singenden Schulkindern, Familien und jungen Männergruppen, die immer wieder den Präsidenten und Syrien besangen.

Auch wenn al Assad Souveränität demonstrieren wollte – ganz scheinen der Präsident und sein Sicherheitsapparat dem angeblich liebenden Volk nicht zu vertrauen. Die Präsenz der staatlichen Sicherheitsbeamten auf den Straßen war in den Nächten zuvor unübersehbar. Männergruppen mit dem eindeutigen Erkennungsmerkmal der zahlreichen Geheimdienste - schwarze Kunstlederjacken - waren an vielen strategisch wichtigen Kreuzungen der Stadt positioniert.

Daher ist es nur schwer einzuschätzen, wie weit die Unterstützung glaubwürdig und nicht nur staatlich verordnet ist. Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß, da die teils widersprüchlichen Informationen über die Geschehnisse in Deraa und Latakia nur langsam durchsickern. Alle kritischen Webseiten, wie die des Damaskus Bureaus, das über das Verschwinden von Demonstranten berichtet, sind gesperrt. In Internetcafés kontrollieren die Mitarbeiter die Gäste, in den Cafés in Nähe der staatlichen Universität muss man sich mit Namen und Passnummer vor der Nutzung eines zugeteilten Computers in eine Liste eintragen.

Aufgrund der blutig zerschlagenen Demonstrationen in Deraa im Süden des Landes und in der Hafenstadt Latakia häufen sich die Gerüchte über ausländische Unruhestifter, die eine Revolution in Syrien künstlich befeuern wollten. Augenzeugen, die aus Deraa kommen, berichten von „nicht arabisch sprechenden“ Heckenschützen und, ebenso wie in Latakia, von vermummten, bewaffneten Banden.

„Das sind die Machenschaften der syrischen Geheimdienste“, schätzt ein Regimekritiker, der unter Beobachtung steht und aufgrund seiner zahlreichen Gefängnisaufenthalte ungenannt bleiben will. Er selbst habe keine Angst mehr, da er das Leben „in einer dunklen Zelle, nicht größer als ein Sarg“ bereits kenne. Doch die Opposition könne es sich nicht leisten, weiter dezimiert zu werden für den unwahrscheinlichen Fall, dass das neue Kabinett tatsächlich Kontakt zur Opposition suche. „Die Menschen haben zu viel Angst vor dem Apparat, und die Jugend ist nicht hungrig genug, um wie die Ägypter aufzustehen. Wir haben uns an die Überwachung und den Präsidenten schon zu sehr gewöhnt, so dass auch Angst vor Veränderung herrscht“, stellt er resigniert fest.

„Wir fühlen uns so schlecht, dass wir uns nicht trauen“, sagen der 23jährige Mansour und der 24jährige Nidal, beide Literaturstudenten an der staatlichen Syrischen Universität in Damaskus. „Jetzt wäre die Zeit, aufzustehen und für unsere Rechte zu kämpfen.“ Während der zögerlichen Damaszener Proteste nach den Freitagsgebeten der vergangenen Wochen sind Demonstranten verprügelt worden, Mobiltelefone wurden abgenommen, Aktivisten verhaftet.

Dem Präsidenten allein wollen die Studenten aber nicht die Schuld an der Gewalt und den schwierigen Lebensumständen geben – sie wollen glauben, dass die korrupten Mitglieder des zurückgetretenen Kabinetts am System der Angst festhalten wollten. Nun hoffen sie, dass das neue Kabinett endlich die Reformen anpackt. „Aber das hoffen wir schon seit elf Jahren“, fügt Nidal traurig hinzu – seit Bashar al Assads Amtsantritt.

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