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Notdürftig konnte einem jungen Mann geholfen werden – auch wenn es an wichtigen Medikamenten mangelt. Er hat bei einem Bombenangriff in Aleppo nicht nur ein Auge verloren, sondern auch drei seiner Brüder.

© Ruben Neugebauer

Syrien: Klinik im Krieg

Viele Syrer werden mittlerweile in geheimen Krankenhäusern notdürftig versorgt – unter katastrophalen Bedingungen für Patienten, Pfleger und Ärzte.

„Wir brauchen dringend Antibiotika“, sagt ein erschöpft wirkender Mann in grünem Kittel fast flehend. Schweißtropfen stehen ihm auf der Stirn, seit Tagen arbeitet er nahezu pausenlos in einem geheimen Krankenhaus in der Provinz Aleppo. Er ist einer der wenigen ausgebildeten Krankenpfleger im von Rebellen kontrollierten Norden Syriens. Mehr als 2000 Patienten kommen jeden Monat aus dem umkämpften Aleppo und der Umgebung in die Klinik. Sie ist im Keller eines klotzigen Gebäudekomplexes untergebracht, das am Rande der Stadt Marea liegt. Vier Ärzte und zehn ausgebildete Pfleger tun im „Al Hurria field hospital Marea“ ihr Möglichstes, um Menschen zu helfen.

Der Medikamentenschrank sieht gut gefüllt aus. Aber die Arzneien, die am häufigsten gebraucht werden, kann das Untergrundkrankenhaus der syrischen Rebellen oft nicht auftreiben.
Der Medikamentenschrank sieht gut gefüllt aus. Aber die Arzneien, die am häufigsten gebraucht werden, kann das Untergrundkrankenhaus der syrischen Rebellen oft nicht auftreiben.

© Ruben Neugebauer

Jusuf nennt sich der Pfleger. Seinen richtigen Namen will er nicht verraten. Aus Sorge um das Leben seiner Familie, die in einer vom syrischen Staatschef Baschar al Assad kontrollierten Region lebt. Erst vor ein paar Minuten hat er Batal, dem Medikamenten-Verwalter des Krankenhauses, eine lange Liste mit dringend benötigten Medikamenten übergeben. Außer Schmerzmitteln und Antibiotika werden vor allem besondere Salben für die Behandlung von Brandverletzungen gebraucht. In den vergangenen Tagen sei es verstärkt zum Einsatz von Brandbomben gekommen.

Den wenigen Helfern bereiten jedoch nicht nur die vielen Kriegsverletzungen Kopfzerbrechen. Auch Unfallopfer oder Diabetiker müssen behandelt werden. „Das Insulin wird schon wieder knapp“, sagt Batal mit besorgtem Blick auf sich leerende Regalfächer. Ab und zu spenden Exilsyrer Medikamente, um so ihren Landsleuten zu helfen. Aber das war’s dann zumeist. „Dabei geht’s hier doch nicht um Waffen oder militärische Unterstützung, sondern um Wirkstoffe gegen Krankheitserreger und sterile Verbände. Warum hilft Europa nicht? Warum lasst ihr uns im Stich?“, fragt Batal. „Diese Medikamente – wir brauchen sie wirklich“, fügt Jusuf leise, aber eindringlich hinzu, bevor er durch einen dunklen Gang in eines der Behandlungszimmer eilt.

Alltag in Aleppo.
Alltag in Aleppo.

© Ruben Neugebauer

Durch den Flur hallen Schmerzensschreie. Es ist das Schluchzen von Waleed Bozo. Während eines Bombardements der syrischen Luftwaffe in Aleppo war der 22-jährige Brotverkäufer zur falschen Zeit am falschen Ort. Helfer brachten den schwer verletzen jungen Mann nach Marea.

Nun liegt er auf einem alten Krankenhausbett. Krankenpfleger Jusuf beugt sich mit einer Flasche Desinfektionsmittel über den Verletzten, der durch die Bombe seinen linken Unterschenkel verloren hat. Jetzt brauchte es Morphium, um Bozos Leid zu lindern. Es steht auf der Liste fehlender Medikamente. Als das offene Bein ausgespült und die Wunde medizinisch versorgt wird, umklammert Bozo verzweifelt einen Infusionsständer. Von der erforderlichen Sterilität kann kaum eine Rede sein. Das Operationsbesteck liegt lose auf einem Rollwagen. Zwei Männer, die eigentlich für Sicherheit im Krankenhaus verantwortlich sind, haben ihre Kalaschnikows kurz zur Seite gelegt. In Flecktarnhose und Lederjacke assistieren sie Jusuf bei der Operation. Zumindest Gummihandschuhe sind vorhanden.

Fast das gesamte medizinische Material stammt aus dem ehemaligen Regierungskrankenhaus im zehn Kilometer entfernten Azaz. Wie viele andere Kliniken, die in den von der Freien Syrischen Armee kontrollierten Gebieten liegen, wurde es offenbar gezielt bombardiert. Auch das ein Grund, weshalb inzwischen Kliniken an verborgenen Orten untergebracht sind.

Die Wasserversorgung ist vierlerorts ein Problem.
Die Wasserversorgung ist vierlerorts ein Problem.

© Ruben Neugebauer

Alles, was in Azaz noch zu retten war, wurde nach Marea gebracht. „Wir haben hier eigentlich ein komplettes Krankenhaus“, sagt al Hajan, der für die medizinischen Geräte zuständig ist. Diese können jedoch nur eingeschränkt eingesetzt werden. Ein Röntgengerät im Nebenraum ist von einer dicken Staubschicht überzogen. Es kann nicht benutzt werden, weil entsprechende Filme fehlen. Ein weiteres grundlegendes Problem: Alle Helfer arbeiten ehrenamtlich. Auf Dauer wird sich dies allerdings nicht durchhalten lassen. Sie müssen schließlich auch ihre eigenen Familien versorgen.

Nicht nur in der Kellerklinik wird das Ausmaß der humanitären Katastrophe in Syrien immer deutlicher. Zwei Jahre nach Beginn der Aufstände gegen das Assad-Regime ist das Gesundheitssystem weitgehend zusammengebrochen. In großen Teilen des Landes gebe es nicht einmal mehr die grundlegendste medizinische Versorgung, berichtet die internationale Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF). Am Grenzübergang Bab al Salameh leben zum Beispiel mehr als 12 000 Flüchtlinge in einer Zeltstadt. Einige Frauen und Kinder warten geduldig im Schatten einiger Container der Organisation „Medical Relief for Syria“, die als Arztpraxen fungieren. In einem der Container untersucht Baba al Masr einen kleinen Jungen. Seine Ausbildung zum Facharzt lässt der syrische Camp-Arzt derzeit ruhen. Es sei ihm jetzt wichtiger, den Menschen unmittelbar zu helfen, sagt er. Trotz der Nähe zum geöffneten Grenzübergang ist auch hier die Situation alles andere als entspannt. Al Masr warnt wegen der mangelnden Trinkwasserqualität und fehlender sanitärer Einrichtungen vor Seuchengefahr.

Oft vergessen werden zudem die psychischen Folgen, die der Krieg besonders für Kinder hat. „Jeden Tag sehe ich hier einen neuen Patienten mit Epilepsie“, sagt al Masr. Dies hänge in den meisten Fällen mit den Kriegserlebnissen zusammen. Fast alle Kinder seien traumatisiert. „Viele, selbst Teenager, sind Bettnässer oder haben massive Schlafstörungen.“ Die genaue Zahl der Fälle kann er nicht nennen. „Viele Familien schämen sich dafür. Sie glauben, das sei ein privates Problem, und dann kommen sie nicht zu uns. Ohnehin haben wir nicht die Kapazität, uns um alle Fälle zu kümmern“, sagt der junge syrische Arzt. Zum Beispiel um die vielen jungen Frauen, die Angst haben. Einige von ihnen sind entführt oder vergewaltigt worden. Ihnen zu helfen sei sehr schwierig , weil es an psychologischer Betreuung mangele.

Al Masr bleibt deshalb oft nur die Möglichkeit, den Opfern Psychopharmaka zu geben. „Einige der Kinder stehen konstant unter Medikamenteneinfluss“, berichtet al Masr. Doch gerade derartige Spezialarzneien werden häufig aufgrund bürokratischer Hürden von türkischen Zollbehörden an der Grenze zurückgehalten. Für alle Medikamente und medizinischen Geräte, die über die Türkei nach Syrien gebracht werden, ist eine Genehmigung des Gesundheitsministeriums in Ankara erforderlich. Das türkische Generalkonsulat in Deutschland bestätigt, dass dieses Verfahren eine lange Zeit in Anspruch nimmt und die Spender und Spediteure nicht wissen können, wie die Genehmigung zu erhalten ist. Die Psychologen, die einmal in der Woche im Camp arbeiten, setzen deshalb auf eine Art Placebo-Effekt. Luftballons, Spielbälle oder Murmeln, die an Kinder verteilt werden, sollen helfen, die Erinnerungen an das Erlebte möglichst zu vergessen. Verdrängen statt Aufarbeiten – für mehr reicht es einfach nicht aus.

Auf den ersten Blick scheint dieses Konzept aufzugehen. Zwischen den Flüchtlingszelten spielen die Bürgerkriegskinder. Einige werfen Murmeln auf den staubigen Boden, andere springen um die Wette über den Bach aus türkischen Abwässern, der quer durch das Lager fließt. Es wird viel gelacht und getobt. Der Krieg scheint in diesem Moment vergessen und weit weg.

Neben ein paar Jugendlichen, die Fußball spielen, posiert der vierjährige Syed für ein Foto. Es ist eine populäre Abwechslung für viele Kinder, fotografierende oder filmende Journalisten über das Gelände zu begleiten. Sie werfen sich lächelnd vor die Kameras, und danach wird das Bild auf dem Display des Fotoapparats neugierig bestaunt. Auch der achtjährige Ali, der gerade mit einem der Luftballons spielt, will mit aufs Foto. Plötzlich platzt der Ballon. Und mit dem Knall sind auch die Erinnerungen an Bomben und Schüsse zurück.

Ruben Neugebauer, Björn Kietzmann

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