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Französische Kampfjets sind im Kampf gegen den IS im Einsatz.

© dpa

Update

Syrien und Irak: Was hilft im Kampf gegen den IS?

Luftschläge konnten den IS bislang nicht aufhalten, Soldaten will niemand schicken. Und auch im Netz wird gekämpft. Was hilft gegen die Terrormiliz? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Seit der britische Premier David Cameron im August 2013 das britische Parlament nicht von einer Intervention gegen den „Islamischen Staat“ überzeugen konnte, schien ein robustes Vorgehen des Westens gegen die Terrormiliz in weiter Ferne. Daran änderte auch die im August 2014 begonnene Bombardierung ausgewählter Ziele durch die Anti-IS-Koalition unter Führung der USA wenig. Seit dem Eingreifen Russlands in Syrien Ende September und vor allem seit den Anschlägen von Paris werden wieder verstärkt militärische Optionen diskutiert – bis hin zu Bodentruppen.

Wie stark ist der IS militärisch?

Deutsche und ausländische Nachrichtendienste beziffern die Zahl der Kämpfer auf maximal 30 000. Es könnten auch mehr sein, vermutet der Nahost- und Terrorismusexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der IS beherrsche ein Gebiet mit etwa sechs Millionen Einwohnern, „da werden auch Kämpfer rekrutiert“. Als besonders motiviert gelten aber Salafisten aus dem Ausland. Ihre Zahl schwankt. Interpol spricht von 5800 ausländischen Dschihadisten, die sich dem IS und anderen militanten Gruppierungen in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Das International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) in London kam im Januar sogar auf mehr als 20 000 ausländische Kämpfer. Die von kurdischen Militärs genannte Zahl von 200 000 Kämpfern allein beim IS halten Sicherheitsexperten für viel zu hoch.

Das Herrschaftsgebiet des "Islamisches Staates" in Syrien und im Irak.
Das Herrschaftsgebiet des "Islamisches Staates" in Syrien und im Irak.

© Tsp

Standardbewaffnung der Dschihadisten beim IS (und weiteren Milizen) ist das Sturmgewehr AK 47, umgangssprachlich auch als Kalaschnikow bekannt. Bei seinen Feldzügen im vergangenen Jahr konnte der IS, der sich bis Juni noch ISIS nannte, auch reichlich Material der irakischen und syrischen Armee erbeuten – von leichten Waffen über Granatwerfer, Geschütze, gepanzerte Humvee-Geländewagen (aus den von den USA gelieferten Beständen der irakischen Armee) sowie mehrere Dutzend Panzer bis hin zu mutmaßlich drei älteren Kampfflugzeugen russischer Bauart.

Mit den Jets kann die Terrormiliz jedoch wenig anfangen, bei jedem Start wäre der Abschuss durch die Luftstreitkräfte der Amerikaner und ihrer Verbündeten oder der Syrer und inzwischen auch der Russen zu erwarten. So beließ es der IS offenbar bei wenigen Übungsflügen. Panzer und Humvees setzte der IS bei der Schlacht um die Stadt Kobane ein. Die kurdischen Kämpfer konnten die Angriffe jedoch abwehren, vor allem dank der Luftangriffe der von den USA geführten Anti-IS-Koalition. Seitdem nutzen der Terrormiliz die Panzer und Humvees nicht mehr viel. Bei jedem Kampfeinsatz sind sie ein leichtes Ziel feindlicher Flugzeuge. Deshalb sind nun auch weniger Kolonnen von Pick-ups mit aufmontierten Maschinengewehren oder leichten Luftabwehrgeschützen unterwegs.
Möglicherweise verfügt der IS auch über Chemiewaffen. Im März soll die Terrormiliz Chlorgas gegen Kurden eingesetzt haben, im August sogar Senfgas bei einem Angriff in Syrien auf rivalisierende Rebellen. Frankreichs Premierminister Manuell Valls warnte am Dienstag, Terroristen könnten chemische und bakteriologische Waffen einsetzen. Biologische Kampfstoffe scheint der IS jedoch nicht zu besitzen. Aber die Terrormiliz hätte sie wohl gern. Im August 2014 warnte ein führendes Mitglied der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), man habe auf dem Laptop eines für den IS aktiven Wissenschaftlers aus Tunesien die Anleitung zum Bau von Biowaffen gefunden, mit denen Beulenpest verbreitet werden soll.

Wie stark sind die gegen den IS gerichteten Kräfte aus der Region?

Die anderen Kriegsparteien in Syrien und im Irak, ein kaum zu überblickendes Spektrum, sind fast alle mit dem IS verfeindet. Die syrische Armee, einst etwa 300 000 Mann stark, ist vermutlich auf ein Drittel geschrumpft. Sie und ihre Verbündeten, vor allem die vom Iran unterstützte libanesische Schiitenmiliz Hisbollah mit etwa 2000 Kämpfern, bekriegen primär nicht den IS, sondern die anderen Rebellen. Diese sehen sich von Assad-Regime und IS in die Zange genommen.
Die wenig religiös geprägte FSA besteht vor allem aus Überläufern aus Assads Militär. Sie zählte 2013 etwa 40 000 Mann und jetzt nur noch wenige Tausend. Kämpfer der FSA beteiligten sich an der Schlacht gegen den IS in Kobane. Die Stadt ist eine Hochburg der kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPD), die mit der türkischen PKK liiert sind. Die YPD, mehrere 10 000 Kämpfer, halten gemeinsam mit Einheiten der PKK in Nordsyrien einen längeren Gebietsstreifen an der Grenze zur Türkei.
Eine der stärksten Rebellentruppen in Syrien ist die islamistische Miliz Ahrar ash Sham („Freie Männer Syriens“) mit mehr als 10 000 Kämpfern. Einer ihrer Anführer, der aus dem Al-Qaida-Spektrum stammende Abu Khalid al Suri, wurde im Februar 2014 in Aleppo beim Anschlag eines IS-Selbstmordattentäters getötet.

Ebenfalls um die 10 000 Kämpfer zählt der Ableger von Al Qaida, die Nusra-Front. Sie ist mit dem IS verfeindet, bisweilen kommt es zu Kämpfen der einen Terrormiliz gegen die andere. Pläne der USA, eine Truppe von 5000 syrischen Rebellen aufzubauen, sind offenbar gescheitert. Trotz eines Budgets von 500 Millionen Dollar wurden nur 54 Syrer trainiert. Sie waren dann im Juli einem Angriff der Nusra-Front ausgesetzt. Nur fünf pro-amerikanische Rebellen blieben übrig. Im Irak stehen dem IS die stark geschwächte Armee, einst mehr als 200 000 Soldaten, und schiitische Milizen gegenüber. Diese werden meist von iranischen Revolutionsgarde, den „Pasdaran“ trainiert. Experten schätzen die Stärke der Milizen auf bis zu 120 000 Kämpfer, womöglich sind sie damit stärker als die irakische Armee. Im März eroberten die Milizen gemeinsam mit der Armee und sunnitischen Stammeskriegern die Stadt Tikrit vom IS zurück. Besonders wichtig sind die kurdischen Peschmerga, die inoffiziellen Streitkräfte des kurdischen Autonomiegebiets im Nordirak, die zuletzt die Stadt Sindschar vom IS zurückerobern konnten.

Wie viele Luftangriffe gab es bislang und was haben sie gebracht?

Im August 2014 starteten die USA und verbündete Staaten Luftangriffe auf den IS im Irak. Die Terrormiliz hatte im Juni des Jahres große Gebiete im Norden des Landes erobert. Außerdem wurde im August 2014 der US-Journalist James Fowley von einem Schergen des IS enthauptet. Die Terrormiliz verbreitete im Internet Bilder von dem Mord. Einen Monat später weiteten die Amerikaner und ihre Alliierten die Luftattacken auf das vom IS besetzte Gebiet in Syrien aus. Ein Jahr später soll die US-Koalition in mehr als 5000 Luftangriffe in Syrien und Irak geflogen und 7600 Ziele getroffen haben.
Die Bombardements haben den IS punktuell schwer getroffen, aber seine Herrschaft über das eroberte Gebiet nicht ernsthaft gefährdet. Ohne die Luftangriffe hätte die Terrormiliz die Kurdenstadt Kobane erobert. Außerdem wurden Ölförderanlagen beschädigt, der IS verlor einen Teil seiner Einnahmen. Die heftigen Angriffe französischer Kampfflugzeuge nach den Anschlägen in Paris haben die Führung des IS möglicherweise gezwungen, die inoffizielle Hauptstadt des „Kalifats“, Rakka, zu verlassen und in die nordirakische Großstadt Mossul auszuweichen.
Die bislang wenigen russischen Luftangriffe, die im September begannen, haben dem IS kaum geschadet. Das gilt auch für die Kampfeinsätze der Flugzeuge und Hubschrauber, die das Assad-Regime noch hat.

Wie viele Bodentruppen wären wohl nötig, um den IS militärisch zu besiegen?

Es seien 10 000 amerikanische Soldaten nötig, um gemeinsam mit verbündeten NATO-Staaten und arabischen Ländern den IS auszuschalten, sagte der einflussreiche republikanische US-Senator John McCain am Donnerstag dem Sender France 24. Aus Sicht des Nahost- und Terrorismus-Experten Guido Steinberg sollte der Westen vor allem auf einheimische Kräfte setzen. Würden „zehntausende arabische Sunniten aus Syrien und Irak gegen den IS kämpfen, könnten sich die USA, Großbritannien und Frankreich auf den Einsatz von Spezialeinheiten und Elitetruppen wie der Marines und der Fremdenlegion beschränken. In der Debatte werden allerdings auch hohe Zahlen westlicher Truppen genannt. Das Magazin „Focus zitiert den Schweizer Militärstrategie-Experten Albert Stahel mit der Prognose, es müssten „rund 100 000 gut ausgebildete Soldaten eingesetzt werden.

Was plant Moskau?

Das eigene Comeback auf der Bühne der Weltpolitik. Der gemeinsame Kampf gegen den Terror soll die durch den Ukraine-Konflikt entstandenen Gräben zuschütten. Das hindert Moskau allerdings nicht daran, in bewährter Zuckerbrot-und-Peitsche-Manier eigene Interessen zu wahren. Kürzlich hatte Präsident Putin sein Militär öffentlichkeitswirksam auf eine Verbrüderung mit den Franzosen eingeschworen – am Donnerstag aber legte Russland noch vor Frankreich einen UN-Resolutionsentwurf vor, garniert mit dem Hinweis, der Text sei für alle akzeptabel, die „wirklich gegen den Terrorismus kämpfen wollen“, wie UN-Botschafter Tschurkin erklärte. Kern des russischen Entwurfs ist allerdings eine Zusammenarbeit Russland und des Westens mit Baschar al-Assad. Genau das hatten westliche Staaten bei einem früheren russischen Entwurf abgelehnt, eine Zustimmung käme unter moralischen Gesichtspunkten einer Kapitulation gleich. Aus Paris hieß es aber, der russische Vorschlag werde „sorgfältig geprüft“ – und ein eigener Entwurf erarbeitet.

Kämpfen bald russische Bodentruppen in Syrien und im Irak?
Am Freitag tagen beide Kammern des russischen Parlaments gemeinsam, was nur in Ausnahmesituationen geschieht. Es könnte daher sein, dass Russland dann erweiterte Maßnahmen gegen den Terror bis hin zu Bodentruppen beschließt – russische Online-Portale sind voll von solchen Meldungen, seriöse Quellen geben sie nicht an. Fakt ist aber auch, dass Moskau Bodentruppen in größerem Umfang bisher immer ausgeschlossen hat. Ganz konkret ist dagegen die intensivere Koordination mit dem Westen. Der russische Generalstabschef beriet sich laut offiziellen Angaben am Donnerstag lange mit seinem französischen Amtskollegen.

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Ist der IS zu Cyberangriffen fähig?
In Sachen digitaler Kriegsführung muss man beim IS unterscheiden. Es gab zwar einzelne Cyberangriffe, wie beispielsweise die Sabotage des französischen TV Senders TV5Monde, die mutmaßlich auf das Konto des IS gehen, aber wirklich große Angriffe auf kritische Infrastruktur wie Elektrizitätswerke, Krankenhäuser, Nahverkehr oder ähnliches gab es bisher nicht. Der IS selbst hat mutmaßlich noch nicht die Kapazitäten für einen großen Cyberangriff, auch wenn es IT-Kenner unter den Aktivisten geben soll – aber der IS hat finanzielle Möglichkeiten, sich willige Hacker einzukaufen.

Gleichwohl spielt das Internet für den IS eine wichtige Rolle, für Propaganda und Kommunikation. Der IS nutzt Videos, die häufig professionell produziert werden, um Unterstützer zu gewinnen und Sympathisanten bei Laune zu halten. Diese werden über soziale Netzwerke verbreitet. Das Hacker-Kollektiv „Anonymous“ hat dem IS jetzt den Kampf im Netz angesagt. „Anonymous auf der ganzen Welt wird euch jagen“, hieß es in einem an den IS gerichteten Video, das Anfang der Woche publik wurde. „Wir bereiten die größte Operation gegen euch vor, die es je gab. Erwartet massive Cyber-Attacken.“

Bereits nach den Angriffen auf Charlie Hebdo hatte die Gruppe ähnliche Aktivitäten angekündigt und auch durchgeführt. Dabei geht es vor allem darum, Twitteraccounts von IS-Sympathisanten lahm zu legen – genau wie Websides zu hacken. Besonders beliebt beim IS ist der Messangerdienst „Telegram“ – ein WhatsApp-Konkurrent mit Hauptsitz in Berlin. Das besondere an „Telegram“ ist seine zuverlässige Verschlüsselung. Der Betreiber hat erklärt, 164 Kanäle geschlossen zu haben, die möglicherweise mit dem IS in Verbindung standen. Außerdem soll es künftig leichter sein, Kanäle zu melden und auch zu schließen.

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