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Aufmarsch. Eine Panzerkolonne der syrischen Regierungstruppen am Wochenende in der Nähe der Grenze zur Türkei.

© Reuters

Syrien und Türkei: Zwischen Drohgebärden und Diplomatie

Alle Appelle zur Mäßigung verhallen, stattdessen eskaliert der Konflikt zwischen Syrien und der Türkei immer mehr - und auch im syrischen Bürgerkrieg verschärft sich die Lage.

Außenminister Guido Westerwelle hat bei seinem kurzfristig angesetzten Besuch in Istanbul am Wochenende mit einer Doppel-Botschaft aus Solidaritätsadressen und Besonnenheitsappellen in der Syrien-Krise bei der Türkei nur teilweise Gehör gefunden: Den ersten Teil der Botschaft nahm Westerwelles Amtskollege Ahmet Davutoglu dankend an - der zweite Teil wird von der Türkei und auch von Syrien ignoriert. Die Eskalation geht weiter.

Westerwelle warnt seit Monaten vor einem regionalen „Flächenbrand“ wegen der Unruhen in Syrien und sieht sich durch die jüngsten militärischen Spannungen an der Grenze zwischen dem Nato-Partner Türkei und Syrien in seinen Warnungen bestätigt. Die Türkei könne auf die Solidarität Deutschlands und ihrer anderen westlichen Partner zählen, doch Ankara solle sich gleichzeitig um Mäßigung und Besonnenheit bemühen, sagte Westerwelle am Samstag in Istanbul. Für den Zwischenstopp am Bosporus hatte er seine Rückreise aus China unterbrochen.

Deutlicher als bisher betonte Westerwelle sein Verständnis für die Entscheidung der Türkei, ein syrisches Passagierflugzeug wegen vermuteter militärischer Fracht in Ankara zur Landung zu zwingen. Deutschland hätte in einem solchen Fall wohl ähnlich gehandelt, sagte er. Nach türkischen Angaben befanden sich Rüstungsgüter in der Maschine; was genau, ist aber immer noch unklar.

Dennoch ist die Türkei überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Seit dem Zwischenfall am vergangenen Mittwoch habe Syrien keinen Antrag mehr auf Nutzung des türkischen Luftraums gestellt, sagte ein türkischer Regierungsvertreter dem Tagesspiegel. „Das heißt, sie haben die Botschaft verstanden“, sagte er mit Blick auf die Syrer. Als Antwort auf die Zwangslandung sperrte Syrien inzwischen seinen Luftraum für türkische Flugzeuge – eine rein symbolische Entscheidung, da türkische Fluggesellschaften auf Anweisung Ankaras schon seit Mittwoch den Himmel über Syrien meiden. Die Türkei sperrte schließlich am Sonntag ihren Luftraum für syrische Flugzeuge.

Davutoglu sagte nach dem Treffen mit Westerwelle, die Türkei schulde Deutschland und der Nato Dank für die öffentlich demonstrierte Solidarität in der Syrien-Krise. Gleichzeitig drohte der türkische Außenminister, sein Land werde im Falle weiterer Grenzverletzungen durch Syrien „das Notwendige tun“. Der syrische Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Kommission zur Entschärfung der Lage an der 900 Kilometer langen Grenze wurde in Ankara als rein taktisches Manöver gewertet. Zudem sei der syrischen Ankündigung kein offizieller Vorschlag gefolgt, hieß es in türkischen Regierungskreisen.

Video: Türkei zwingt erneut Flugzeug zur Landung

Ankara glaubt nicht an die Darstellung der Syrer, dass es sich bei den Granateneinschlägen der vergangenen zehn Tage immer nur um Querschläger handelte. Die türkische Regierung ist überzeugt, dass ihre Truppenverstärkungen an der Grenze das richtige Mittel sind, um die Syrer von weiterem Feuer auf türkisches Gebiet abzuhalten.

„Wenn diese Art von Stationierung dabei helfen kann, das Leben unserer Bürger zu retten, dann ist es gut“, sagte ein Regierungsvertreter am Sonntag und bezog sich auf den Tod von fünf Zivilisten durch eine syrische Granate am 3. Oktober. In den vergangenen Tagen habe es keine syrischen Grenzverletzungen mehr gegeben. Pressemeldungen, Ankara habe nach Panzerverbänden und Luftwaffe jetzt auch ihre Marine-Einheiten im östlichen Mittelmeer in Alarmbereitschaft versetzt, wurden nicht bestätigt.

Unterdessen kommt der Syrien-Vermittler der UN, Lakhdar Brahimi, bei seinen Friedensbemühungen offenbar kaum voran. Er sprach in Istanbul mit Davutoglu und Westerwelle, ohne erkennbare Fortschritte bei der Suche nach einer politischen Lösung. In Syrien selbst gingen die Gefechte mit neuer Intensität weiter – inzwischen sollen Regierungstruppen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in den vergangenen Tagen sogar Streubomben in zivilen Gebieten eingesetzt haben. Syrien hat die internationale Konvention zum Verbot von Streubomben nicht ratifiziert. Die im Mai 2008 von 107 Staaten verabschiedete Konvention verbietet den Einsatz, die Herstellung, die Lagerung und die Weitergabe derartiger Waffen.

Auch bei den Rebellen gibt es Anzeichen für eine weitere Radikalisierung. So haben mehrere islamistische Milizen in Syrien eine „Front zur Befreiung Syriens“ gebildet. Nach Angaben der Führung der neuen Organisation hat sie rund 40 000 Mann unter Waffen. Obwohl diese Zahl nicht nachprüfbar ist, steht doch außer Zweifel, dass die Risse im Lager der bewaffneten Opposition tiefer werden. Die aus Deserteuren gebildete „Freie Syrische Armee“ hat keine Befehlsgewalt über die vielen verschiedenen Gruppen, die gegen die Armee von Baschar al Assad kämpfen.

Auch islamistische Extremisten aus Ländern wie Libyen und Afghanistan greifen in dem Konflikt ein. Türkische Oppositionspolitiker berichten, in der Grenzprovinz Hatay hätten sich mehrere tausend Dschihadisten in Wohnungen und Häusern niedergelassen, um von dort zu den Kämpfen in Syrien zu gelangen. Die Türkei und die USA haben mehrfach erklärt, in Syrien würden keine radikal-islamistischen Bestrebungen geduldet.

Der Westen befürchtet, dass Al-Qaida-nahe Gruppen in Syrien erstarken könnten. Mit dem Einfluss der islamistischen Kämpfer wächst die Sorge, dass Extremisten die nicht-sunnitischen Minderheiten in Syrien unter Druck setzen könnten. Sunnitische Araber stellen die größte Einzelgruppe der rund 20 Millionen Syrer. Die wichtigsten religiösen und ethnischen Minderheiten sind Alawiten, Kurden und Christen mit jeweils etwa zwei Millionen Menschen. Dazu kommen etwa eine Million Turkmenen, 500 000 Drusen und 200 000 Juden.

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