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Syrien unter Druck: Obamas unerklärter Krieg

Amerika ist kriegsmüde geworden. Trotzdem kämpft Barack Obama verbissen um einen Vergeltungsschlag gegen Syrien. Ausgerechnet er, der Friedensnobelpreisträger, droht wieder einmal seine Ideen zu verraten. Da kommt ihm die syrische Regierung plötzlich entgegen. Ein Spiel auf Zeit? Oder die Wende?

Hausherr Joe Biden hatte italienische Spezialitäten für seine Gäste auffahren lassen. Und die Dinnerrunde im Naval Observatory, dem Amtssitz des Vizepräsidenten auf einem grünen Hügel inmitten prominenter Botschaften an der Massachusetts Avenue, war exquisit. Zwölf der einflussreichsten republikanischen Senatoren waren erschienen, Leute, ohne die nicht viel geht in Washingtons Politikbetrieb. Und dann kam als Überraschungsgast der Präsident höchstpersönlich.

Wenn Barack Obama sich an einem Sonntag zur Dinnerzeit, die er sonst seiner Familie vorbehält, für Gespräche frei macht und in Umkehrung der üblichen Etikette sich auf den Weg zu den bei seinem Vize dinierenden Volksvertretern macht, statt sie alle zu sich zu rufen, dann muss ihm außerordentlich an seiner Mission gelegen sein.

Das ist womöglich das größte Paradox in diesen an politischen Widersprüchen reichen Entscheidungstagen: dass da ein Präsident, dessen größtes Ziel es einmal war, sein Land nur ja nicht in weitere Kriege in der muslimischen Welt hineinziehen zu lassen, mit aller Macht um die Zustimmung für einen Angriff auf Syrien kämpft. Der Welt präsentiert er sich als einer, der losschlagen will. Obama möchte diesen Militärschlag so sehr, wie er ihn nicht will.

Die Amerikaner sind dem Krieg überdrüssig

Die Amerikaner sind es leid, ihre eigenen Soldaten in fremden Ländern zu opfern. Nun sollen sie einem zweifelnden Präsidenten zustimmen, der sich Optionen offen halten will. Wie viel kann er da auf Versprechungen des syrischen Regimes geben, das sich plötzlich kooperationsbereit zeigt?

Außenminister Walid al-Muallim hat am Montag überraschend den Vorschlag begrüßt, die chemischen Waffen Syriens unter internationale Kontrolle zu stellen. Am Dienstag wird die Regierung sogar so weit gehen, einer Vernichtung seines Arsenals offiziell zuzustimmen. Bis dahin hatte das Land noch nicht einmal die Existenz dieser Waffen zugegeben. Wenn das ein Einlenken ist – für Obama ändert das viel. Es erlöst ihn von einem Dilemma, in das er sich gebracht hatte. Als er von der "roten Linie" sprach, die der Einsatz von Giftgas bedeute, hatte er ein Versprechen gegeben. Er stand im Wort. Hinter diese Linie konnte er selbst nicht mehr zurück.

"Hat ein Diktator, der hunderte Kinder mit Giftgas tötet, mit Konsequenzen zu rechnen?"

Am Samstag hatte er sich in der wöchentlichen Radioansprache an sein Volk gewandt: „Vor drei Wochen sind mehr als tausend Menschen, darunter hunderte Kinder, in der schlimmsten Chemiewaffen-Attacke des 21. Jahrhunderts ums Leben gekommen.“ Deshalb „habe ich als Oberkommandierender die Entscheidung angekündigt, dass die USA militärische Schritte gegen das syrische Regime unternehmen sollen“. Am Sonntagvormittag dann schickte er seinen Stabschef Denis McDonough auf die Runde durch die wichtigen Talkshows, um die Argumente ins Land zu tragen. „Der Kongress muss in dieser Woche die Frage beantworten: Hat ein Diktator, der hunderte Kinder mit Giftgas tötet, mit Konsequenzen zu rechnen?“ Die Antwort werde nicht nur in Damaskus genau zur Kenntnis genommen, sondern ebenso in Teheran und bei der Hisbollah im Libanon.

Ein Exempel soll statuiert werden, um potenzielle Nachahmer abzuschrecken. So bietet der Präsident das ganze Repertoire an Druck und Überredungskünsten auf, die sein mächtiges Amt mit sich bringen. Am Montagabend wollte Obama sechs Fernsehinterviews geben, am heutigen Dienstag dann Senatoren seiner Demokratischen Partei treffen und am Abend in einer Rede an die Nation die Notwendigkeit einer Strafaktion gegen Syrien begründen. Parallel schickte das Weiße Haus Abgesandte zu den unterschiedlichen Interessenvertretungen, die afroamerikanische Sicherheitsberaterin Susan Rice zum Beispiel zur schwarzen Parlamentariergruppe im Kongress.

Der Amtssitz des Vizepräsidenten ist ein symbolischer Ort. Er liegt auf dem Gelände einer berühmten Forschungseinrichtung der US-Navy. Von hier aus wurde im 19. Jahrhundert das Stern- und Planetensystem neu vermessen, mit Hilfe des seinerzeit größten Linsenfernrohrs der Welt. Doch wer Obama derzeit beobachtet, kann an seinem Überblick zweifeln. Hat er sich verrannt?

Adam Kinzinger bietet seine Hilfe an

Selbst nahe Weggefährten sind sich seiner nicht sicher. Als er vor zehn Tagen verkündete, er wolle die Zustimmung des Kongresses vor einem Militärschlag einholen, überraschte er damit enge Berater. Sie hatten davor gewarnt, sich dem republikanisch dominierten Kongress auszuliefern. Das Verhältnis zwischen dem rechten Flügel der Republikaner und Obama ist so gespannt, dass viele von ihnen nur auf eine Gelegenheit warten, um dem ungeliebten Präsidenten eine Niederlage zu bereiten.

Schlechtes Timing eine Mehrheit im Kongress zu gewinnen

Die Kongress-Abgeordneten waren bis zum Wochenende noch in der Sommerpause in ihren Wahlkreisen. Dort war nicht zu überhören, wie sehr die Bürger kriegsmüde sind. Die jahrelangen Einsätze in Afghanistan und im Irak haben tausende Soldaten getötet und viele hundert Milliarden Dollar Steuergelder gekostet – ohne dass ein Erfolg sichtbar wäre, der diese Opfer rechtfertigt.

Ein denkbar schlechtes Timing, um eine Mehrheit für eine Syrien-Intervention zu gewinnen. Nach den Zählungen der US-Medien sieht die Stimmungslage im Parlament entsprechend verheerend aus. Von den 435 Abgeordneten tendieren 230, also die Mehrheit, zu einem Nein. Im 100-köpfigen Senat sind 23 dafür, 27 dagegen. 50 sind noch unentschieden – dort gibt es vielleicht Stimmen zu holen.

Doch erneut lässt die Obama-Administration ein Gespür dafür vermissen, mit wem sie das Gespräch führen sollte. Kongressmann Adam Kinzinger, ein weißer Mann mit kurzen dunklen Haaren, einem strahlenden amerikanischen Lächeln und stramm konservativer Steuerrhetorik, ist nicht der idealtypische Obama-Freund. Ein 34-jähriger Irak-Veteran aus Illinois, den die Tea-Party-Bewegung 2011 ins Repräsentantenhaus gespült hat. Doch vergangene Woche, erzählen sie in Kinzingers Büro, hat der Abgeordnete seinem Präsidenten Hilfe für die Kampagne angeboten, den Kongress, insbesondere die Republikaner, für einen Militärschlag gegen Syrien zu gewinnen. Im Weißen Haus jedoch fand sich offenbar keiner, der auf die Offerte auch nur hätte antworten mögen. Man habe noch nicht einmal in Erfahrung bringen können, wer dort als Verbindungsperson ansprechbar sei. Für Kinzingers Büro ein deutliches Zeichen dafür, wie die Kriegsvorbereitungen der Obama-Leute derzeit ablaufen; wie konfus, wie zufällig, wie zuweilen erratisch.

Erst nachdem Kinzinger öffentlich im Fernsehen über diesen Umstand und Obamas schlechtes Verhältnis zum Repräsentantenhaus lamentiert hatte, kam dann ein Rückruf aus dem Weißen Haus. Man wolle in dieser Woche nun zusammenarbeiten. Im Büro von Kongressmann Kinzinger stehen die Telefone nicht mehr still.

Was macht Obama, wenn ihm die Volksvertreter die Zustimmung verweigern? Gibt er dann klein bei wie der Brite David Cameron? Und wie würden die Folgen für das Ansehen der USA in der Welt aussehen?

Obamas Vorgehen hat etwas Atemloses

Andererseits hat das Weiße Haus immer wieder betont, der Präsident sei rechtlich gar nicht auf die Zustimmung des Kongresses angewiesen. Er könne den Militärschlag auch aus eigener Machtfülle anordnen. Obama sagt, Amerika sehe stärker aus, wenn sich alle gemeinsam für die Strafaktion aussprechen. Lässt er den Kongress nur abstimmen, weil er eine Ablehnung erwartet – um dann eine Ausrede zu haben, warum er nicht eingreift? Oder kalkuliert er umgekehrt, dass er umso tatkräftiger wirken werde, wenn er sich über ein Nein der Parlamentarier hinwegsetzt und die Strafaktion dennoch befiehlt?

Was also treibt diesen Mann, der 2009 den Friedensnobelpreis bekommen hat? Gewiss, es waren Vorschusslorbeeren, schließlich war Obama gerade erst ins Amt gekommen. Die Jury belohnte gute Absichten: die Beendigung der unter George W. Bush begonnenen Kriege, die atomare Abrüstung. Angesichts der Finanzkrise wolle er sich auf die Gesundung der heimischen Wirtschaft konzentrieren, hatte Obama versprochen. Und das Recht des Präsidenten, auch ohne Beteiligung des Parlaments Militäraktionen anzuordnen, enger auslegen. Schließlich hatte er jahrelang Verfassungsrecht an der Universität Chicago gelehrt. Nur wenn ein Angriff auf die USA im Gange sei oder unmittelbar drohe, dürfe der Präsident im Alleingang Truppen losschicken, dozierte Obama im Wahlkampf 2008. Schon 2011 in Libyen bewertete er diese Interpretation anders. Sie sei zu eng. Seit dem „War Powers Act“ von 1973 dürfe der Präsident 60 Tage lang Krieg führen, bevor er den Kongress fragen müsse, befand er nun.

Es scheint, als laviere Obama zwischen zwei Überzeugungen, die nun in Konflikt geraten. Er meint ernsthaft, dass die Welt den Einsatz von Massenvernichtungswaffen – hier: Giftgas – nicht dulden dürfe. Die einzige Macht, die zu einer abschreckenden Strafaktion fähig sind, sind die USA.

Obama will keinen langen Krieg

Zugleich will er Amerika in keinen längeren Krieg verwickeln. Also betont er jetzt, der Sturz Assads sei nicht das Ziel der Operation – obwohl er zuvor gefordert hatte, Assad müsse gehen.

Obama ist weder dumm noch naiv. Er sieht die Widersprüche, in die ihn dieser Konflikt verstrickt. Aber er hält sie für unvermeidbar. Erst hoffte er, es reiche die Rebellen, wie in Libyen auszurüsten, damit sie das Regime aus eigener Kraft stürzen. Doch inzwischen hat Assad, erstens, militärisch wieder die Oberhand. Zweitens ist der radikalislamische Teil der Opposition womöglich noch schlimmer als Assad. Also sagt Obama nun, er wolle das Regime schwächen; vom Sturz spricht er nicht mehr.

Der Präsident ist auf der Suche nach Auswegen. Und sein Vorgehen in diesen Tagen hat etwas Atemloses.  Keine gute Grundlage für eine Entscheidung von Welt-Dimension.

Welche Dynamik das entfalten kann demonstrierte am Montag sein Außenminister John Kerry, hochgeschätzt in Washington auf beiden Seiten der politischen Scheidelinie. Bei einem Auftritt mit seinem britischen Amtskollegen William Hague in London verwirrte Kerry die Weltöffentlichkeit mit der Bemerkung, der syrische Staatschef und sein Land könnten einem US-Militärschlag entgehen, wenn Assad, „sämtliche“ seiner Chemiewaffen binnen einer Woche übergebe. Wenig später beeilte sich das State Department in Washington klarzustellen, es handele sich weder um ein Angebot, noch um ein Ultimatum. Die Formulierung sei als Antwort auf eine hypothetische Frage rhetorisch gemeint gewesen. Doch die Botschaft war schon in der Welt.

Unerwarteter Widerhall in Moskau

Sie fand prompt Widerhall in Moskau. Der russische Außenminister Sergej Lawrow griff Kerrys Äußerung auf und forderte von Syrien, dem Ansinnen nachzukommen. Eine „schnelle und positive“ Antwort von der Regierung in Damaskus, sei nötig, damit die USA auf ihren Militärschlag verzichteten. Syriens Außenminister Walid al-Muallim, am Montag gerade zu Gast in Moskau, nahm das Angebot nur zu gerne an und versicherte, Moskau habe einen guten Vorschlag gemacht. Dass der syrische Präsident Baschar al-Assad den Vorschlag ausdrücklich akzeptiert habe, sagte er dabei nicht.

Aber einen Tag später bekräftigte das Assad-Regime seine Zustimmung zu dem, was nun allgemein als Moskaus Plan gilt. Sogar Obama zeigte sich offen, über diese Wendung nachzudenken. Sie entlastet ihn. Von einer "roten Linie" ist nun nicht mehr die Rede. Syrien muss die UN-Kontrolleure ins Land lassen, es muss sich fügen. Sonst wäre alles nur ein Spiel auf Zeit.

Barack Obamas ist ein Mann der Überzeugungen, in sozialen Dingen, in Kriegs- und Friedensfragen. Auch jetzt, in der Syrien-Krise, sagt ein enger Wegbegleiter, bleibe Obama seinen Überzeugungen treu. Draufhauen kann er immer noch.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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