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Lebensmittel sind knapp in Aleppo.

© Reuters/Abdalrhman Ismail

Syrien: Wie funktioniert Hilfe im Kriegsgebiet?

In Aleppo entwickelt sich eine humanitäre Katastrophe. Viele Hilfsorganisationen wollen und können das Gebiet nicht verlassen. Ein Interview mit Louay Yassin von SOS-Kinderdörfer.

Herr Yassin, Sie haben noch Mitarbeiter vor Ort in Aleppo. Wie hat sich die Situation in den vergangenen Tagen geändert?

Über den Fluchtkorridor sind in den vergangenen Tagen und Wochen viele Menschen aus dem Ostteil geflohen, für die wir gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen mit den übrig gebliebenen Ressourcen Nothilfe anbieten. Die meisten kommen bislang in Moscheen unter, ohne Wasser- oder Nahrungsversorgung. Wir überlegen gerade, unsere verbliebenen zwei Gebäude im Westteil Aleppos für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Dabei stellt sich die Frage: Sind diese Gebäude sicher genug, um Flüchtlinge dort unterzubringen? Unsere sieben Mitarbeiter vor Ort wollten teilweise dort bleiben, andere kamen nicht mehr raus.

Was bedeutet die dreistündige Waffenruhe, die das russische Militär am Mittwoch angekündigt hat, für die Bevölkerung Aleppos?

Zuerst einmal sind drei Stunden besser als gar keine Waffenruhe. Aber: Reichen drei Stunden für die Versorgung? Ich glaube, das ist unwahrscheinlich. Um eine Versorgung sicherzustellen, bräuchten die Menschen besser eine Waffenruhe von mindestens einem Tag.

Könnten sich bei einer regelmäßigen Waffenruhe mehr Menschen in Sicherheit bringen – etwa über den Fluchtkorridor?

Die Frage ist eigentlich: Wer beschützt einen solchen Fluchtkorridor? Nur weil drei Stunden lang nicht bombardiert wird, heißt das noch lange nicht, dass er sicher ist. Die flüchtenden Zivilisten sind den verschiedensten Gefahren ausgesetzt. Die beste Möglichkeit wäre, einen solchen Fluchtweg direkt von UN-Einheiten schützen zu lassen. Und dafür müssen sich wiederum die Vereinten Nationen darauf verlassen können, dass ihre Mitarbeiter dort nicht beschossen werden.

Die UN sprechen von akuten Wasserversorgungsproblemen. Wie erfahren das Ihre Mitarbeiter vor Ort?

Die Wasserversorgung ist schon vor langer Zeit zusammengebrochen. Weite Teile der Stadt werden von Tanklastern beliefert – das Wasser ist natürlich sagenhaft teuer. Die Menschen haben neue Brunnen gebohrt oder alte wieder in Betrieb genommen. Die Wasserqualität ist oft mies. Vor allem bei Kindern, Alten und Kranken führt das zu Durchfall, oft zu Ausschlägen und Haarausfall. In den letzten Tagen hat sich durch das Kriegsgewirr vieles verschlimmert. Tankwagen kommen gar nicht mehr durch. Nicht nur im eingeschlossenen Osten, auch im von Regierungstruppen gehaltenen Westen ist die humanitäre Lage sehr schwierig.

Wie versorgen sich die Menschen dort?

Es gibt noch Geschäfte und Märkte, doch viele Menschen haben keine Arbeit und kein Geld. Und der Fleischhändler kann auch nichts mit dem 23. Teppich anfangen, der ihm im Tausch angeboten wird. Vieles ist zu unerschwinglichem Luxus geworden. Ein Fladenbrot kostet mittlerweile bis zum Zwanzigfachen des ursprünglichen Preises vor dem Krieg. Allein in den letzten paar Monaten sind die Lebensmittelpreise in Aleppo um 50 bis 70 Prozent gestiegen. An Fleisch oder Obst ist gar nicht zu denken. Selbst unsere Mitarbeiter können sich das nicht leisten. Eine medizinische Versorgung ist nur sehr selten gewährleistet.

Das Gespräch führte Fabian Federl

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