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Syrien: Die Frist läuft ab - die Gewalt geht weiter

Das Ultimatum von UN-Vermittler Annan läuft ab – doch das Blutvergießen in Syrien nimmt kein Ende. Schüsse auf Flüchtlinge erzürnen die Türkei. Wie entwickelt sich der Syrien-Konflikt nach Ablauf der Frist?

Noch sieht er sich nicht gescheitert. Syrien-Vermittler Kofi Annan sagte am Dienstag beim Besuch eines Flüchtlingslagers im südtürkischen Hatay: „Der Plan ist sehr wohl noch lebendig.“ Damit wollte Annan die Zweifler an seinem Sechs-Punkte-Plan besänftigen, die beobachten konnten, dass der vorgesehene Rückzug von Assads Regierungstruppen aus den großen Städten nicht wie erhofft voranging. Kritiker des Sechs-Punkte-Plans, so Annan, müssten zudem erklären, mit welchen Maßnahmen sie diesen denn ersetzen wollten. Das Wort der Türkei, das als syrisches Nachbarland derzeit besonders unter dem Flüchtlingsproblem leidet, hat bei der Einschätzung der Situation in Syrien besonderes Gewicht.

Was fordert die Türkei?

Besir Atalay, stellvertretender Ministerpräsident der Türkei, machte bei der Begegnung mit UN-Vermittler Annan deutlich, dass das syrische Nachbarland nicht mehr an eine Einstellung der Kämpfe durch das Regime von Baschar al Assad glaubt. Allein am Montag, am Tag vor dem versprochenen Truppenrückzug, seien in Syrien 130 Menschen umgekommen, sagte Atalay. In mehreren Landesteilen werde trotz der von Annan gesetzten Frist für den Abzug von Panzern und Artillerie weiter gekämpft. Die Türkei neigt deshalb immer mehr zu der Meinung, dass ein Eingreifen in Syrien notwendig werden könnte.

Annan konnte bei seinem Besuch beobachten, wie groß die Gefahr einer Internationalisierung des Syrien-Konfliktes inzwischen ist. Per Hubschrauber inspizierte er das Flüchtlingslager im türkischen Kilis, bei dem am Ostermontag vier Menschen durch Schüsse aus Syrien verletzt worden waren. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf den Syrern eine „klare Grenzverletzung“ vor, die nicht unbeantwortet bleiben werde. „Sie schießen fliehenden Menschen in den Rücken.“

Schon in den vergangenen Tagen hatte Ankara erklärt, nach dem Ablauf der Frist für den syrischen Truppenrückzug werde ein neues Kapitel beginnen: Die Türkei glaubt nicht mehr an eine Verhandlungslösung. Außenminister Ahmet Davutoglu, der Erdogan auf einem mehrtägigen China-Besuch begleitete, brach die Reise ab und kehrte in die Türkei zurück.

Seit Wochen lässt die Erdogan-Regierung erkennen, dass sie im Ernstfall eine militärische Intervention in Syrien in Betracht zieht. Eine von türkischen Soldaten abgesicherte Pufferzone auf syrischem Gebiet kann nach Aussagen von Erdogan und anderen Regierungspolitikern dann auf die Tagesordnung kommen, wenn die Türkei ihre eigene nationale Sicherheit durch den Konflikt gefährdet sieht. Diese Gefährdung könnte in einem Massenansturm syrischer Flüchtlinge bestehen, aber auch in Grenzverletzungen wie bei der Schießerei in Kilis oder in einer syrischen Unterstützung für die anti-türkischen Kurdenrebellen der PKK.

Einige arabische Staaten, die syrische Opposition und viele syrische Flüchtlinge in den türkischen Auffanglagern fordern seit Monaten die Schaffung einer solchen Schutzzone. Dort könnten sich nicht nur Flüchtlinge in Sicherheit bringen, sondern auch Deserteure der syrischen Armee, argumentieren sie. Die Pufferzone würde damit dazu beitragen, das System der Angst innerhalb der syrischen Sicherheitskräfte zu untergraben. Ein rasches Ende der Assad-Regierung wäre die Folge, sagt die Opposition. Aufmerksam registrierten türkische Medien deshalb die Bekanntgabe des nächsten Reisezieles von Erdogan, das er an diesem Donnerstag gleich nach seiner Rückkehr aus China besuchen will: das Königreich Saudi-Arabien, mächtigster Befürworter einer Syrien-Pufferzone in der Region.

Wie sich Russland und China verhalten

Wie verhält sich Russland zu den jüngsten Entwicklungen in Syrien?

Einerseits forderte Russland am Dienstag die syrische Regierung auf, bei der Umsetzung des Friedensplans entschiedener vorzugehen. Nach einem Treffen mit seinem syrischen Kollegen Walid al Mualem appellierte der russische Außenminister Sergej Lawrow andererseits an UN-Vermittler Annan und die internationalen Staaten, bei der syrischen Opposition auf einen Waffenstillstand zu dringen.

Gleichwohl hat der neue Resolutionsentwurf zu Syrien, der gerade im UN-Sicherheitsrat diskutiert wird, offenbar gute Aussichten auf Erfolg. Denn dort, so lobte Lawrow das Papier, gäbe es „keine Drohungen und keine Ultimaten“. Eben diese hatten Russland wie China zuvor bewogen, zwei von westlichen Staaten eingebrachte Resolutionsentwürfe zu verhindern. Moskau wollte damit internationales militärisches Eingreifen ähnlich wie in Libyen vereiteln. Der neue Entwurf, so Lawrow, sorge dafür, dass weitere Schritte diskutiert werden müssten. Er bietet Moskau, das mit einem Machtwechsel in Syrien seine letzte sichere Bank im arabischen Raum verliert, aber auch Gelegenheit zu einem ehrenvollen Rückzug ohne Gesichtsverluste. Denn sowohl der neue Resolutionsentwurf als auch der Friedensplan von Annan nehmen auch auf russische Bedenken Rücksicht. Zwischen den Zeilen hatte Noch-Präsident Dmitri Medwedew den Kurswechsel schon im vergangenen Monat bei seiner Begegnung mit Annan angedeutet. Dessen Mission sei die letzte Chance, in Syrien einen Bürgerkrieg zu verhindern, der die gesamte Region erfassen könnte.

Verändert China seine Position zu dem Konflikt?

Wie sehr die Volksrepublik China Annans Friedensplan für Syrien unterstützt, machte am Montag erneut ein Kommentar der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua deutlich. „Es ist höchste Zeit, Annans Friedensplan umzusetzen“, schreibt sie. Ein Waffenstillstand sei von äußerster Wichtigkeit und sei die Vorbedingung für eine eventuellen politische Vereinbarung in der Zukunft. Doch an der Position Chinas, das im Februar gemeinsam mit Russland durch sein Veto eine Resolution des UN-Sicherheitsrates verhindert hatte, dürfte selbst ein Scheitern des Friedensplans nichts ändern.

China folgt der Doktrin der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates. Es fühlt sich durch die jüngere Geschichte in den arabischen Staaten bestätigt, wie ein Kommentar in der Zeitung „China Daily“ zeigt. „Die humanitären Desaster, die aus den militärischen Interventionen in Afghanistan, Irak und Libyen resultierten, haben deutlich gezeigt, dass externe Truppen keine Lösung bringen“, schreibt Cai Jiahe, Professor für Islamische Studien. China verdächtigt vielmehr die westlichen Staaten, in Syrien eigene Interessen zu verfolgen.

Sollte sich freilich Russland entschließen, seine Position zu ändern, dürfte sich auch Chinas anschließen. Denn Chinas Veto im Sicherheitsrat dürfte vor allem taktischer Natur gewesen sein. China bildet seit geraumer Zeit mit Russland im Sicherheitsrat eine Veto-Achse, die dem Westen gemeinsam entgegentritt, um nicht politisch isoliert zu erscheinen. Eigentlich besitzt China an Syrien nur ein geringes wirtschaftliches und politisches Interesse. Das Veto im Sicherheitsrat hatte zudem Chinas Verhältnis zu den Staaten der Arabischen Liga verschlechtert.

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