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Vertrauensverlust. Die Regelverstöße an großen Transplantationszentren haben die Zahl der Organspender auf einen Tiefstand sinken lassen.

© dpa

Systematische Verstöße auch in Münster: Organspende-Skandal Nummer Fünf

Auch an der Uniklinik in Münster hat es bei Organtransplantationen größere Verstöße gegeben. Eine bundesweite Prüfung zeigt jedoch, dass Privatpatienten und Vermögende nicht bevorzugt wurden. Materielle Gründe spielten offenbar auch keine Rolle - es sei eher um etwas anderes gegangen.

Zu den Transplantationsskandalen in Göttingen, München, Regensburg und Leipzig kommt nun noch ein fünfter hinzu. Auch bei Lebertransplantationen am Uniklinikum in Münster hätten sich für die Jahre 2010 und 2011 „eindeutige Anhaltspunkte für systematische Falschangaben“ ergeben, sagte die Vorsitzende der zuständigen Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer, Anne-Gret Rinder, am Mittwoch in Berlin. Bei der Durchsicht der Krankenakten von 67 Organempfängern wurden dort bei 25 Patienten Richtlinienverstöße entdeckt, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Kontrollbericht. Kleinere Verstöße gab es darüber hinaus an 15 weiteren der 24 inzwischen überprüften Lebertransplantationszentren.

Mit ihren Prüfungen und dem ausführlichen Bericht darüber betritt die Selbstverwaltung Neuland. Erst seit 2012, nachdem die ersten Skandale publik geworden waren, sind ihr nicht mehr „nur anlassbezogene“, sondern auch regelmäßige und verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt. Und erstmals dürfen die Prüfer mit den Detailergebnissen an die Öffentlichkeit. Vorgesehen ist nun die Kontrolle aller 46 Transplantationszentren mindestens einmal in drei Jahren. Es gehe darum, „Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. Es sei „äußerst bedrückend“, zu sehen, wie die Verstöße „ein ganzes System ins Wanken“ gebracht hätten.

Nach ihrem Bekanntwerden war die ohnehin nicht übermäßige Organspendebereitschaft der Deutschen auf einen neuen Tiefstand gesunken. Vielfach waren Krankenakten so manipuliert worden, dass bestimmte Patienten auf der Warteliste nach oben gerückt und bei der Organvergabe bevorzugt worden waren. Gegen die Zentren in München und Leipzig ermittelt noch die Staatsanwaltschaft, in Göttingen muss sich ein Transplantationsmediziner, der auch in Regensburg aktiv war, bereits vor Gericht verantworten. Für Göttingen dokumentierten die Prüfer 79 Unregelmäßigkeiten in 105 untersuchten Fällen. In München waren es 38 Verstöße bei 135 Kontrollen, in Leipzig 76 bei 241. Die Verdachtsfälle am Uniklinikum in Regensburg stammen bereits aus der Zeit vor 2010.

Bahr spricht von Vergangenheitsbewältigung

Bei alldem handele es sich jetzt jedoch um „Vergangenheitsbewältigung“, sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Die ergriffenen Maßnahmen – vom Mehraugenprinzip bei der Meldung für die Wartelisten bis zum neu eingeführten Straftatbestand – wirkten, das Ziel größtmöglicher Transparenz sei erreicht. Deutschland habe im internationalen Vergleich nun „die strengsten Regeln und sichersten Vorgaben“. Daher könne er die Bürger „guten Gewissens auffordern, sich für die Organspende zu entscheiden“. Für 2012 und 2013 sei mit einer deutlich geringeren Anzahl an Verstößen zu rechnen, prognostizierte auch Kommissionschefin Rinder.

Die Prüfrunde konnte immerhin den Verdacht ausräumen, dass Privatpatienten oder vermögende Ausländer bei der Organzuteilung bevorzugt wurden. Dafür habe es „überhaupt keine Anhaltspunkte“ gegeben, versicherte Rinder. Materielle Motive spielten für die Betrügereien offenbar nicht die entscheidende Rolle. Vielmehr sei es um „strukturelle Anreize aus der Krankenhausfinanzierung“, dem Wettbewerbsstreben einzelner Kliniken und auch um das „Streben nach Ruhm und Ehre“ gegangen, sagte Montgomery. Die Transplantation gelte als „Königsdisziplin“, und das Fallpauschalensystem ermögliche es den Kliniken, damit viel Geld zu verdienen.

Um den Wettbewerbsdruck zu senken, hält es der Ärztepräsident für denkbar, die Pauschalen durch feste Jahresbudgets für Transplantationen zu ersetzen. Die Kliniken seien für solche Überlegungen offen, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. Und die Kassen forderten, auch andere Strukturen zu überdenken. Deutschland habe „zu viele Transplantationszentren bei zu wenigen Spenderorganen“, sagte Spitzenverbands-Vize Johann-Magnus von Stackelberg. Das liefere nicht nur Manipulationsanreize. Niedrige Fallzahlen gefährdeten auch Patienten. So erreichten derzeit acht von 24 Leberzentren nicht die vorgegebene Mindestmenge. Und bei anderen Organen gebe es an manchen Häusern weniger als fünf Transplantationen im Jahr – „eine Größenordnung, bei der in der Regel keine ausreichende Qualitätssicherung mehr existiert“.

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