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Fakten im Griff. Karl-Theodor zu Guttenberg hat sich am Dienstag in der Unionsfraktion der Solidarität der Abgeordneten versichert.

© Hannibal Hanschke/dpa

Täuschung und Selbsttäuschung: Guttenberg hat "den Überblick verloren"

Die Affäre Guttenberg: Verteidigungsreden und erste Distanzübungen – die Union schwankt schon in ihrer Treue zum eigenen Star.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Sie scharen sich alle um ihn. Die Kanzlerin hat die vorläufige Rettungslinie für Karl-Theodor zu Guttenberg vorgezeichnet – sie habe den Mann nicht als Akademiker angestellt, sondern als Politiker. Horst Seehofer hat sich hinter ihn gestellt. Weil der CSU-Chef bekanntermaßen dem jungen Konkurrenten aber nicht nur Gutes wünscht, schiebt er am Dienstag nach, es handele sich keineswegs um „Solidarität auf Zeit“. Also wirft sich am Dienstagmorgen auch Peter Altmaier vor den Bedrohten.

Altmaier gehört freilich zu jener altmodischen Sorte von Politikern, die an sich selbst den Anspruch stellen, dass sie zu ihren Worten auch später noch stehen können. Das ist von Amts wegen nicht leicht. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion muss er oftmals Meinungen vertreten, die nicht ganz seine sind. Aber Altmaier versucht sein Bestes, auch an diesem Dienstagmorgen. „Uneingeschränkte Unterstützung“ formuliert Altmaier namens der Fraktion – mit einem einschränkenden Zusatz allerdings: „… der politischen Arbeit“.

Was jene andere Arbeit angeht, ist Unterstützung ja auch nicht mehr möglich. Als „abstrus“ hatte der CSU-Star den Vorwurf des Plagiats in seiner Doktorarbeit anfangs abzubürsten versucht, noch am Freitag hatte er ihn „mit allem Nachdruck“ zurückgewiesen und bloß „Fehler“ eingeräumt. Am Montagabend ist der nächste Rückzug fällig: Ja doch, es waren „gravierende Fehler“.

Einen Auftritt vor der CDU im hessischen Kelkheim hat sich Guttenberg für das Eingeständnis ausgesucht, „ganz bewusst hier vor dem Volk und nicht vor der Hauptstadtpresse“. Journalisten sind übel, sofern sie ihn nicht in Wort und Bild vergöttern – das glaubt die CDU-Basis sofort gern. Und dass er in „Demut“ auftrete, will sie erst recht glauben. Konkret sieht die Demut so aus, dass Guttenberg zugibt, dass seine Arbeit „dem wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht genügt“. Er habe das erst am Wochenende gemerkt, beim Nachlesen. Es sei keine böse Absicht gewesen; er habe bloß „den Überblick verloren“.

Die Einleitung aus der Zeitung abkopiert, seitenweise fremdes Gedankengut als eigenes ausgewiesen – den Überblick verloren? „Daher kommt das Wort ,verzetteln‘“, sagt Hans-Peter Friedrich mit unbewegter Miene. Der CSU-Landesgruppenchef verteidigt seinen wichtigsten Mann bis ins Absurde. „Das ist doch nicht eine Frage der Glaubwürdigkeit“, sagt Friedrich, und dass „ein Fehler“ immer passieren könne, schon gar bei einer Arbeit, die in sieben Jahren neben dem stressigen Abgeordnetenjob entstanden sei, und überhaupt dieses Zitieren: „Jeder normale Satz, den Sie sprechen, ist schon von irgendwem mal gesagt worden.“

Dass man mit dieser Haltung die Wissenschaft gleich ganz drangeben kann – einer, der selbst Doktor der Rechte ist, könnte das wissen. Aber sie haben sich entschlossen, ihren Star zu stützen. Altmaier immerhin mag nicht darüber spekulieren, ob ein Minister bleiben kann, dem die Universität den Doktortitel als erschlichen aberkennt. Friedrich spricht den Freiherrn auch hierin vorab frei: „Völlig unabhängig wie das ausgeht – entscheidend ist, dass er jetzt seine Arbeit als Bundesverteidigungsminister kraftvoll weiterführen kann.“ Fraktionschef Volker Kauder versichert Guttenberg in der Fraktionssitzung der „Solidarität und Freundschaft“. Angela Merkel schweigt in der Sitzung; öffentlich rückt sie eher wieder etwas ab von der Nibelungentreue: Sie lässt nur ausrichten, dass sie den Verzicht auf den Doktortitel „richtig“ finde.

In Bayreuth sehen sie das alles sowieso nicht locker. Am Nachmittag tritt Unipräsident Rüdiger Bormann vor die Presse. Ein Schreiben Guttenbergs, in dem er um Rücknahme des Doktortitels bittet, erleichtere manches, aber: „Das entbindet die Kommissionen nicht von ihrer Pflicht, die notwendigen Überprüfungen vorzunehmen.“ Die Doktorwürde gehört nicht dem, der sie trägt, sondern dem, der sie verleiht – oder entzieht.

Ein anderer sieht das alles auch nicht ganz so locker. Norbert Lammert muss als Bundestagspräsident von Amts wegen prüfen, ob es rechtens war, dass Guttenberg komplette Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in seine Arbeit einflocht. Wenn das ohne Quellenangabe passiert sei, wäre ein doppelter Verstoß offenkundig, sagt der CDU-Mann dem WDR: gegen die Regeln des Bundestags und gegen „Mindeststandards“ für wissenschaftliche Arbeit.

Doch auch in dem Punkt spricht Friedrich den Parteifreund unschuldig: Das Thema der Dissertation sei auch Thema von Guttenbergs politischer Tätigkeit gewesen – ein Auftrag an den Wissenschaftlichen Dienst also nicht nur normal, sondern geradezu Pflicht. Dass das Ergebnis in der Doktorarbeit auftaucht – nun ja, wie gesagt, „Überblick verloren“.

Die Opposition fordert mittlerweile den Rücktritt – wer derart scheibchenweise mit der Wahrheit rausrücke, dem sei auch als Politiker nicht zu trauen. „Jeder Soldat würde entlassen, jeder Schüler durch das Abitur fallen und jeder Student von der Hochschule verwiesen“, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Für Mittwoch haben SPD und Grüne eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragt.

Dort könnte Guttenberg auftreten. Am Dienstag tritt er medial auf. Die Verachtung für die Presse umfasst deren nützlichen Teil nicht. „Die Zeit stehe ich gemeinsam mit meiner Frau durch“, zitiert ihn die Illustrierte „Bunte“. „Wir sind doch schließlich eine Familie.“ Die stützt ihn auch sonst und auf sehr eigene Weise. „Ich frage mich ganz ehrlich, ob unser Land nicht andere Sorgen hat, als sich um Fußnoten und Textpassagen zu kümmern. Erst recht in Zeiten, in denen Soldaten in Afghanistan für uns ihr Leben gelassen haben“, zitiert das bunte Blatt Philipp zu Guttenberg. Die Toten benutzen, um die Kritiker mundtot zu machen – einem Minister würde das übel bekommen. So war es nur der kleine Bruder.

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