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Politik: "Tag der Heimat": Der Kanzler und die Präsidentin: Versuch einer Annäherung mit moderaten Tönen

Unbewegt sitzt der hoch aufgeschossene alte Mann mit dem schlohweißen Haar auf seinem Ehrenplatz in der ersten Reihe. Keine Miene verzieht er, keine Hand rührt er - auch nicht, wenn der überwiegende Rest der Anwesenden, nicht eben herzlich, aber doch höflich dem Redner Beifall zollt.

Unbewegt sitzt der hoch aufgeschossene alte Mann mit dem schlohweißen Haar auf seinem Ehrenplatz in der ersten Reihe. Keine Miene verzieht er, keine Hand rührt er - auch nicht, wenn der überwiegende Rest der Anwesenden, nicht eben herzlich, aber doch höflich dem Redner Beifall zollt. 85 Jahre ist er alt, körperlich kaum und geistig gar nicht gebeugt. Nein, einem Vertreter jener Partei, die er vor bald 30 Jahren enttäuscht, verbittert verlassen hat, einem Nachfolger jenes Willy Brandt, dessen Politik mit allen Mitteln seiner zu besten Tagen bemerkenswerten Rhetorik er ein halbes politisches Leben lang bekämpft hat - so einem bringt Herbert Hupka, geboren auf Ceylon, aufgewachsen in Schlesien, bis heute nur Gefühle und Gedanken entgegen, die besser hinter einer unbewegten Miene verborgen bleiben.

Schaut Gerhard Schröder hin zu dem schier versteinerten Gast aus der Zeit seiner politischen Jugend? Jedenfalls sieht es so aus, als werfe er einen kurzen Blick hinunter vom Rednerpult nach links, als er sich mit jenen auseinandersetzt, die einst Verzicht sei Verrat und Schlimmeres skandierten, wenn sie zu Beginn der 70er Jahre gegen die Ostverträge auf die Straße gingen. Auch "Brandt an die Wand" war in der erregten Athmosphäre damals zu hören.

Erika Steinbach allerdings, studierte Geigerin, schlägt nach Felix Mendelsohns "Reformationssymphonie" rhetorisch mildere Töne an. Gleich im zweiten Satz betont sie, den Atem noch unruhig von Befangenheit, dass "alle Gäste gleichermaßen herzlich" willkommen seien. Das Publikum unter den 14 prächtigen Kristallüstern hindert dies nicht, seine Herzlichkeit zwischen dem Sozialdemokraten Schröder und Erwin Teufel aus Stuttgart wohl abgewogen zugunsten des Christdemokraten zu differenzieren. Der Ministerpräsident kommt aus Stuttgart, wo vor 50 Jahren jenes Dokument verabschiedet wurde, das an diesem Tag gefeiert wird: Die Charta der Heimatvertriebenen.

Der Kanzler gibt sich alle Mühe, das Schicksal und die Verdienste der 12 Millionen Vertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg zu würdigen. Er stellt ihr Leiden in eine Reihe mit dem der Vertrieben der heutigen Zeit, von Ruanda bis zum Kosovo, erinnert daran, dass der Militäreinsatz für sie auf dem Balkan ihm die schwierigste Entscheidung seiner politischen Laufbahn abnötigte.

Aber er schenkt seinen Gastgebern nichts - nicht im Kleinen, Konkreten, wenn er ihre Forderung nach einem "Zentrum gegen Vertreibungen" in der Mitte der Hauptstadt ablehnt; nicht im großen historischen Zusammenhang, wenn er ihre Ablehnung der Brandtschen Ostpolitik kritisiert oder wenn er darauf besteht, dass dem Unrecht der Vertreibung ursächlich Hitlers Vernichtungskrieg vorangegangen ist. Sogar einen neuen, modernen Begriff von Heimat legt er ihnen nahe - Heimat nicht als Ort, von dem man herkommt, sondern als jener, "von dem aus wir die Welt betrachten". Auf die Gegenwart bezogen, nicht der Vergangenheit verhaftet.

Wie eine Antwort auf diese fremde Sicht brandet Beifall auf, als Erwin Teufel Heimat beschwört: "Tragender Grund", "vertrauter Lebensraum", "Kindheitserinnerungen", "Geborgenheit", "Muttersprache". Aber auch bei diesem Publikum, mehrheitlich den Landsmannschaften zugehörig, wird eher Fremdheit gegenüber dem Kanzler spürbar, als die Feindschaft der Kampfzeiten eines Herbert Hupka. Erika Steinbach, die Präsidentin des Dachverbandes, versucht die Interessen ihrer Klientel zu vertreten, so gut es geht. Dazu braucht sie den Dialog. Otto Schily, als Innenminister für die Vertriebenen zuständig, hätte sie gern als ihren "neuen Freund" begrüßt. Als ihr Gesprächspartner hat er von der Seite der Bundesregierung den Entspannungsprozess vorangebracht. Aber der Satz in Steinbachs Manuskript bleibt ungesagt, das Flugzeug des Ministers konnte nicht starten. So bleibt auch die Probe vertagt, ob Herbert Hupka für ihn eine Hand gerührt hätte.

Thomas Kröter

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