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Politik: "Tag der Heimat": Entspannungspolitik (Kommentar)

Historisches Ereignis oder Fußnote? Jedenfalls bemerkenswert, wenn zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein sozialdemokratischer Bundeskanzler auf einer großen Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen spricht.

Historisches Ereignis oder Fußnote? Jedenfalls bemerkenswert, wenn zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein sozialdemokratischer Bundeskanzler auf einer großen Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen spricht. Willy Brandt wäre nicht eingeladen, Helmut Schmidt mindestens ausgebuht worden. Selbst der Helmut Kohl traute sich nur ein Mal zu den Landsmannschaften, obgleich sie über Jahrzehnte zu den treuesten Bataillonen der Unionsparteien gehörten.

Dass der damit eingeleitete Verzicht auf die einst deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße zu jener Entspannung führte, in deren Gefolge die Schlesier, Sudetendeutschen, Banater Schwaben und wie sie alle heißen ihre Heimat wieder frei bereisen durften, dass sie oder wenigstens ihre Kinder sich nach der Aufnahme Tschechiens, Polens, Ungarns in die EU dort als europäische Bürger frei niederlassen dürfen - das wollten die Vertrieben nicht lange nicht wahrhaben. Verzicht galt ihnen als Verrat.

Doch halt, das gehört zu den hartnäckigen Lebenslügen, nein, nicht der Vertriebenen, wohl aber der Funktionäre ihrer zum Bund zusammengeschlossenen Landsmannschaften: "Die" Vertriebenen haben zweifellos an ihrer Heimat gehangen. Dass sie einmal dorthin zurückkehren würden, glaubte die Mehrheit schon bald nicht mehr. Natürlich erinnerten sie sich sehnsuchtsvoll an die Orte ihrer Kindheit, zumal sie in der jungen Bundesrepublik zunächst kaum freundlichere Aufnahme fanden als später die "Gastarbeiter". Geschichte. Eine Erfolgsgeschichte, denn die Integration der Schlesier, der Sudetendeutschen und der anderen ging voran, weil sie sich integrieren wollten.

Aber da waren auch die "Berufsvertriebenen". Ganz im Gegensatz zum friedlichen Geist jener "Charta", deren 50. Jahrestag Schröder den Anlass zu seiner Rede bot, waren sie von Unversöhnlichkeit erfüllt. Eine verschwindende Minderheit ist es bis heute geblieben. Bundeskanzler Kohl hat die Brandtsche Ostpolitik fortgesetzt; Rücksichtnahme auf die Vertriebenenverbände aber hat immer wieder den Fortschritt der Beziehungen vor allem zu Polen und Tschechien gestört. Sein sozialdemokratischer Nachfolger hat sich davon nicht beirren lassen, und siehe da: Dass Schröder auf die Vertriebenenverbände zugehen konnte, hatte zur Voraussetzung, dass sie ihm entgegengekommen sind. Diese Entwicklung ist auch das Verdienst ihrer Präsidentin Erika Steinbach. Am rechtskonservativen Rand ihrer Partei verortet, weiß die CDU-Politikerin um die Gefahren der (Selbst-)Marginalisierung. Die erste Frau an der Spitze der Vertriebenen, die erste zudem, die keine eigene Erinnerung an die sudetendeutsche Heimat hat, weiß, dass die Landsmannschaften in ihrer heutigen Form keine Zukunft mehr haben. Die nächste Generation ist schon in der Bundesrepublik geboren.

Steinbach hat einen eigenen "Entspannungsprozess" eingeleitet, keineswegs selbstlos. Sie will etwas - ein Zentrum, das in Berlin an die Vertreibung noch erinnern soll, wenn deren letzte Zeitzeugen gestorben sind. Freundlich, aber klar hat Schröder Nein gesagt. Dezentrale Förderung ihrer Kulturarbeit ja, keine zentrale Erinnerungsstätte. Auch wenn Steinbach anderes behauptet - das sähe doch nach Aufrechnung des Unrechtes an Deutschen gegen jenes aus, das die Deutschen über die Länder gebracht haben, aus denen sie vertrieben wurden.

Thomas Kröter

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