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Talat-Alaiyan-Stiftung: Ohne Grenzen

Wie eine arabische Ärztin, die in Deutschland lebt, Jugendliche aus Israel, Palästina und Deutschland zusammenbringt.

Berlin - „,Muss ich mich jetzt ausziehen?‘, fragte ängstlich der junge Palästinenser, als wir uns der deutsch-französischen Grenze bei Saarbrücken näherten. Die Palästinenser waren völlig fertig, die Vorstellung, eine Grenze zu passieren, bereitete ihnen große Angst“, erzählt Halima Alaiyan, Gründerin und Vorsitzende der Talat-Alaiyan-Stiftung in Saarbrücken. Zusammen mit deutschen und israelischen Jugendlichen fuhr der Bus zur Grenze auf den Spicherer Höhen, die einst preußische Soldaten im Krieg von 1871 erobert hatten. Und nun fassten sich die Jugendlichen aus den drei Ländern bei der Hand und marschierten einfach über die Grenze. „Wir sind in Frankreich!“, hieß es. „Aber wieso? Wo ist der Stacheldraht, wo ist der Checkpoint, wo sind die Soldaten?“, fragten die palästinensischen Jugendlichen völlig irritiert.

Und als sie merkten, dass keine Gefahr drohte, hüpften sie über die Grenze, hin und her, „ich bin in Deutschland“, „ich bin in Frankreich“. Ein unvergessliches Erlebnis, das die Palästinenser zudem mit ihrem „Feind“, den jungen Israelis, teilen. Dass dies auf blutgetränktem Boden möglich war, wo einst Franzosen und Deutsche gekämpft hatten, war das beeindruckendste Erlebnis des ersten Austauschs der Stiftung, erzählt Halima Alaiyan.

Die Ärztin wurde 1948 in Ibdis bei Jaffa geboren und musste mit ihrer Familie bereits als Baby aus dem Dorf fliehen. Wie ihr Vater später erzählte, waren sie die einzigen Überlebenden. Sie flohen mit ägyptischen Soldaten nach Ägypten. Dann wurde Halima Alaiyan nach Gaza verheiratet, wurde Mutter und verließ 1966 Gaza, um ihrem Mann nach Deutschland zu folgen, wo dieser in Homburg Medizin studierte. Zwei Jahre später folgten die drei Kinder nach. Halima Alaiyan machte das Abitur, dann eine MTA-Ausbildung, und studierte schließlich Medizin. Nach dem Tod ihres Sohnes reiste sie 1990 als Deutsche an den Ort zurück, wo einstmals ihr Dorf stand.

„Ich habe in Israel festgestellt, dass viele Israelis nichts über die Palästinenser wissen und umgekehrt, dass die palästinensischen Jugendlichen keine Perspektive haben.“ In Deutschland hatte sie sich mit der Geschichte der Juden befasst und auch ein KZ besucht. „Ich wollte wissen, warum die Deutschen deutsche Juden umgebracht haben, und mir rückte Israel ein wenig näher. Ich verstand plötzlich, warum sie so auf einer eigenen Existenz im Nahen Osten beharren.“ Gleichzeitig habe sie als Palästinenserin, die in Ägypten und Saudi-Arabien gelebt hatte, erfahren, was es heißt, immer auf gepackten Koffern zu sitzen, auch in der arabischen Welt als heimatlose Fremde ohne Rechte zu gelten.

„Die deutsche Ostpolitik von Willy Brandt war wichtig für mich, ich habe gesehen, wie aus Feinden Freunde werden konnten.“ Aber sie hat auch in Deutschland erfahren müssen, dass man hier wenig über die Palästinenser weiß, die in der Regel als „die Araber“ bezeichnet werden. Für die Palästinenser sei jeder Israeli ein Eindringling. Warum solle man sie lieben? Aber wenn man Palästinensern ein KZ zeige, könnten diese verstehen, warum die Juden nach Palästina gekommen sind. „Wenn man direkt miteinander spricht, bekommt der ,Feind‘ ein Gesicht. Und man sieht plötzlich, dass auch der ,Feind‘ sich freuen kann“, erzählt sie von ihren Jugendbegegnungen.

2003 hatte sie nach all den Erfahrungen über ihr bewegtes Leben ein Buch geschrieben: „Vertreibung aus dem Paradies“, und danach zu Ehren ihres verstorbenen Sohnes die Talat-Alaiyan-Stiftung gegründet, die Jugendliche aus Palästina, Israel und Deutschland nach Saarbrücken bringt, um hier ganz praktisch die Versöhnung zwischen ehemaligen Todfeinden zu studieren. Dazu gehört eine Reise zu den Gräberfeldern von Verdun, aber auch ein Aufenthalt in Berlin, wo man die ehemalige Grenze besucht, aber auch das KZ Sachsenhausen.

„Wenn wir sie in Frankfurt am Flughafen abholen, erkenne ich die Israelis an ihrer selbstbewussten Haltung, die Palästinenser sind völlig verunsichert. Zunächst wollten Israelis und Palästinenser nicht in einem Raum schlafen. Aber wenn die Jugendlichen dann später zum Beispiel an der Grenze stehen, dann fangen sie auch untereinander an zu diskutieren, warum darf der über die Grenze und ich nicht, warum darf ich nicht in deine Schule und umgekehrt?“ Die Begleiter moderieren, die Jugendlichen diskutieren ihre Erfahrungen.

Hätten zu Beginn des Austausches alle nach Nationalität zusammengestanden, so gebe es am Ende des Aufenthaltes nur noch zwei Gruppen: Jungen und Mädchen, erzählt Halima Alaiyan nicht ohne Stolz. Zu Anfang sei die Stiftung auf Skepsis gestoßen, aber Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlandes, habe die Schirmherrschaft übernommen, und ein Besuch in der Saarländischen Landesvertretung beim Bund in Berlin gehört auch fest zum Programm. Im nächsten Jahr ist Halima Alaiyans Stiftung ein Projekt der bundesweiten Aktion „Land der Ideen“.

„Am liebsten würde ich Palästinenser und Israelis schon im Kindergarten mit der Kultur des anderen in Verbindung bringen, so wie es jetzt Saarländer und Franzosen tun wollen“, sagt sie mit einem Blick in die Zukunft. „Die israelischen und palästinensischen Jugendlichen wollen zusammenleben, wollen Frieden, das müssen die Politiker begreifen.“

Informationen im Internet·

www.talat-alaiyan.de

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