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Politik: Tapfer bleiben

Sie findet es ärgerlich, aber notwendig: Die Partei tut sich schwer mit dem Reformpaket – Besuche an der Basis

VOR DEM SPD–PARTEITAG

Am Sonntag beginnt in Bochum der Parteitag der SPD. Ein äußerst wichtiger Parteitag für Gerhard Schröder, seine Reformpolitik und die rot-grüne Koalition. Die SPD-Spitze hofft auf eine harmonische Versammlung. Doch wird das Parteivolk diese Hoffnung erfüllen? Stimmungsberichte aus vier Regionen.

Berlin. Am Stammtisch des SPD-Ortsvereins „Seenplatte“ in der „Loretta“ wird vor dem Bochumer Parteitag kein Aufstand geprobt. Zornige Attacken wegen der Agenda 2010? Nichts dergleichen bekommt Helga Kühn-Mengel an diesem Abend zu hören, obwohl die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion vor gut zwanzig Genossen die Widrigkeiten aufzählt: Praxisgebühr, Krankengeld, keine kostenlose Brille mehr. Nur einmal wirft ein Genosse ein: „Das ist ja höher als bei Helmut Kohl!“ Doch es klingt eher nachdenklich denn protestierend. „Du zahlst bei Rezepten doch auch jetzt schon zu“, so Kühn-Mengel. Zustimmendes Nicken, als sie erklärt, wo die SPD Belastungsgrenzen für sozial Schwächere durchgesetzt habe.

Nein, in dieser Runde will niemand eine Abkehr vom Agenda-Kurs. „Wir wissen, dass das alles nötig ist“, sagt Hans Mühe, Sozialdemokrat seit fünfzig Jahren. Natürlich tue das Tief der SPD weh. „Ich erwarte, dass es Gerhard Schröder und der Partei endlich gelingt, die Reformen so zu erklären, dass die Menschen sie verstehen.“ Mancher hat dabei schon Bauchschmerzen. „Aber mehr mit Details der Reformen, nicht im Grundsatz“, so Detlev Ronnisch, ein Bauleiter, seit 1967 SPD-Mitglied. Die SPD müsse dem Bürger, aber auch der Basis klar machen, „wohin die Reise geht". Hingegen warnt der junge Ortsvereinschef Holger Thärischen vor überzogenen Erwartungen. Die Trendwende werde auch Bochum nicht bringen. „Das ist ein längerer Prozess.“ Dennoch wird die Stimmung besser, beobachtet Klaus-Uwe Benneter, Bundestagsabgeordneter und Parteilinker. „Man weiß, dass es keine Alternative gibt.“ Und legt nicht die SPD in Umfragen wieder zu? Da kann man schon mal einen Scherz wagen. Benneter: „Wir verabschieden uns vom Projekt 18!“

Schwerin. Axel Ulrich erwartet klare Signale von den SPD-Delegierten. „Der Bundesparteitag muss dem Kanzler den Rücken stärken!“, sagt der 65 Jahre alte Schweriner Sozialdemokrat. Ulrich gibt zu, dass die Stimmung in seinem Ortsverein angeknackst sei. Aber das sei doch normal, schließlich seien die bundespolitischen Aufgaben wie Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Gemeindefinanzreform „extrem schwer vermittelbar und eigentlich SPD-fremd“. Die soziale Ausgewogenheit sei nicht gegeben. Eigentlich müsste es Sonderregelungen für die neuen Länder geben, aber das sei wohl kaum gegen die Bundesratsmehrheit der Union durchzusetzen. Insgesamt „käme es mit der CDU noch schlimmer“, ist sich der ehemalige Bürgermeister der Kleinstadt Grevesmühlen sicher. Mit nur fünf Delegierten wird Mecklenburg-Vorpommerns SPD in Bochum vertreten sein. Der Landesverband hat nur 3300 Mitglieder. Vor fünf Jahren waren es 3500, sagt Landesgeschäftsführer Thomas Krüger. Die Zahl der Austritte übersteige derzeit „kaum das gewohnte Maß“. Schließlich habe die Partei auf zwei Regionalkonferenzen die Reformvorhaben intensiv diskutiert. Aber es gebe kaum Neueintritte, so Krüger. Und das Ansehen der Landespartei leidet unter dem der Bundes-SPD. Nur noch 26 Prozent würden für die SPD stimmen, wenn am Sonntag Landtagswahl wäre. Andreas Frost

Stuttgart. Kurz vor dem Bochumer Parteitag ist die Stimmung bei den baden-württembergischen Genossen ausgesprochen mies: „Unmut und Unverständnis" konstatiert Sprecher Andreas Reißig. Aber nicht so sehr wegen der Agenda 2010. Der Ärger macht sich an dem von Parteichef Gerhard Schröder und seinem „General“ Olaf Scholz durchgedrückten Vorschlag für die Bundesliste zu den Europawahlen fest. Mit den Plätzen 12, 29 und dem unsicheren Platz 33 fühlt sich die Südwest-SPD, die unbedingt einen dritten Abgeordneten nach Straßburg schicken möchte, unter Wert gesetzt. Und ob es in Bochum noch gelingt, das zu verbessern, ist fraglich. Mehr Unterstützung von Schröder hatte sich auch die Landesvorsitzende Ute Vogt erhofft. Zumal sich der Kanzler, geht es um die Verteidigung der Agenda 2010, auf seine Innenstaatssekretärin verlassen kann. Die Reformen müssten sein, hämmert die 39-Jährige, die in Bochum zur Stellvertreterin von SPD-Chef Schröder gewählt werden soll, seit Monaten ihren Genossen ein. Statt weinerlich herumzulaufen, „sollten wir stolz sein, dass die Partei in solch schwierigen Zeiten so viel Mut hat“, verlangt Vogt. Ulrich Maurer, einst mächtiger linker Landeschef, sieht das anders. Schröder und Vogt machten eine „falsche Politik". Der Abstand zu den Lebenslagen der SPDWählerschaft sei „extrem groß", sagt Maurer. Er will sich künftig stärker an der Basis betätigen. Bettina Wieselmann

Oberhausen . Der Anlass war rein privater Natur: Ein Nachbar hatte Dieter Jansen zu seinem 80. Geburtstag eingeladen. Doch die Feier, vor allem mit Rentnern, verlief nicht ganz so nachbarlich. „Was ich da erlebt habe, grenzte an blanken Hass“, erzählt Sozialdemokrat Jansen, Ortsbürgermeister in Oberhausen- Sterkrade. „Dass Reformen notwendig sind", berichtet er, „hatten die meisten verstanden, aber sie ärgern sich über das unsägliche Hin und Her und Berlin.“ Die Unsicherheit werde immer größer, „und dann halten die Menschen ihr Geld zusammen“, hat der Kommunalpolitiker und Ortsbürgermeister beobachtet. Den Politikstil seiner Berliner Spitzengenossen beschreibt Jansen nach seinen Basiskontakten mit wenigen Worten: „Heute so, morgen so, das blanke Chaos.“ Da er die kommende Kommunalwahl nicht verlieren will, versucht er sich davon so weit wie möglich abzukoppeln: „Ich mache hier meine eigene Kampagne, ganz auf mich zugeschnitten, mir vertrauen die Menschen hoffentlich noch.“ Den Spitzen seiner Partei scheine das Gefühl für soziale Gerechtigkeit verloren gegangen zu sein.

Dass viele so denken, hat inzwischen auch die Parteiführung im größten Bundesland begriffen. „Wir brauchen Leitplanken für soziale Gerechtigkeit“, heißt das in den Worten von Michael Groschek, dem SPD-Generalsekretär in Düsseldorf. Zum Bundesparteitag haben die NRW-Genossen deshalb einen eigenen Antrag formuliert. Die NRW-Sozialdemokraten plädieren darin für ein klares Bekenntnis zur Tarifautonomie, wehren sich gegen Forderungen einer Rente mit 67 und lehnen Arbeitszeitverlängerungen für alle Arbeitnehmer vehement ab. „Wir müssen stärker auf die Menschen zugehen“, verlangt Groschek und erwähnt dann ausdrücklich die Globalisierungsgegner. Wenig später spricht er vom Erbe Willy Brandts, der sowohl die ökonomischen Zusammenhänge der näher zusammenrückenden Welt im Blick hatte als auch sein Augenmerk auf den Frieden gelegt habe. „Davon können wir viel lernen“, glaubt Groschek. In diesem Punkt würde ihm Dieter Jansen vermutlich nicht widersprechen. Jürgen Zurheide

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