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Angst ohne Ende. Zehntausende Flüchtlinge aus Sudan, Äthiopien und Eritrea sind in den vergangenen Jahren über den Sinai nach Israel gekommen. Dort droht ihnen dann die Abschiebung in ihre Heimat. Foto: Ronen Zvulun/Reuters

© REUTERS

Organhandel auf dem Sinai: Tatort Ägypten

Tausende Flüchtlinge queren jährlich auf ihrem Weg vom Sudan oder Äthiopien nach Israel den Sinai. Doch dort haben es Organhändler auf sie abgesehen. Ein teuflisches Geschäft, das von der internationalen Gemeinschaft ignoriert wird.

Erst schütteten die Peiniger der 24-Jährigen Diesel über den Kopf, dann zündeten sie ihr die Haare an. Immer wieder wurde die junge Frau aus Eritrea mit Elektroschocks gequält, mit den Füßen an der Decke aufgehängt und geprügelt, bis ihre Verwandten zu Hause schließlich das geforderte Lösegeld von 25 000 Dollar aufgetrieben hatten. Sieben Monate lang war sie bei Beduinen auf dem Sinai gefangen. Anderen Leidensgenossen tropften die Entführer heißes Plastik auf die Haut, vergewaltigten sie mit Stöcken, ketteten sie tagelang aneinander, ließen sie hungern und dursten, während die Familie daheim die Schreie der Gefolterten über Handy live mit anhören musste. „Wir werden euch töten, die Organe herausschneiden und verkaufen, wenn ihr das Lösegeld nicht heranschafft“, drohten die Folterer. Und bei Hunderten machten sie offenbar ihre Drohung tatsächlich wahr.

So fanden Menschenrechtler in der Leichenhalle des Hospitals von Al Arish, der Provinzhauptstadt im Norden des Sinai, Verstorbene, deren Körper in der Mitte oder an den Seiten mit großen Stichen wieder zugenäht worden waren. Nieren, Leber, Herz, Augenlinsen – alles hatten die Organdiebe herausgeschnitten. Allein 2011 stießen ägyptische Aktivisten an Straßenrändern auf mehr als 100 verweste Leichen von Gefolterten oder Verhungerten. „Doktoren aus Kairo rufen mich an und sagen mir, wir haben hier einen Privatpatienten und brauchen dieses oder jenes Organ. Es ist wie bei Ersatzteilen für ein Auto“, erklärte ein Beduine anonym gegenüber CNN.

Gut tausend Opfer wurden in den letzten Jahren anonym in dem Al-Sadaka-Massengrab außerhalb der Friedhofsmauer von Al Arish begraben, direkt neben der Müllhalde eines Slums. Nach Schätzungen verschiedener Menschenrechtsgruppen sind seit 2007 mindestens 4000 Menschen auf dem Sinai spurlos verschwunden – Flüchtlinge aus Eritrea, Äthiopien oder dem Sudan sind ihren Peinigern im Umkreis der Flüchtlingslager Mai Aini in Äthiopien und Shagarab in Sudan in die Hände gefallen, die auch als Anlaufstelle für Flüchtlinge aus Eritrea fungieren. Mit Hilfe von Beduinen-Schleusern wollten sie ihr Glück in Israel versuchen. Seit einiger Zeit berichten aber auch Opfer, sie hätten niemals Israel als Ziel gehabt, sondern seien aus den Lagern entführt und von Menschenhändlern verschleppt worden.

Die Bundesregierung beobachtet die „Entwicklung des Menschen- und Organhandels auf dem Sinai mit Sorge“, wie es kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hieß. Man habe Hinweise, wonach ein Beduinenstamm von 2010 bis 2011 afrikanische Flüchtlinge entführt „und ihnen Organe zum Weiterverkauf an ägyptische Krankenhäuser entnommen“ haben soll. „Es sollen etwa 200 bis 250 Personen Opfer dieser Praxis geworden sein, nicht wenige seien durch die Eingriffe zu Tode gekommen.“ Aus jüngster Zeit läge ein bisher unbestätigter Hinweis vor, heißt es weiter, der Organhandel sei signifikant zurückgegangen – eine Einschätzung, der Aktivisten wie Meron Estefanos widersprechen. Sie wurde in Eritrea geboren, lebt heute in Schweden und gilt als die wohl beste Kennerin der Flüchtlingsschicksale auf dem Sinai. Am 20. Februar will sich nun der Menschenrechtsausschuss des Bundestags mit dem Thema beschäftigen.

Das Thema ins Rollen gebracht hatte seinerzeit der Bericht einer ägyptischen Tageszeitung über den tödlichen Autounfall eines Kairoer Arztes auf dem Sinai, der in seinem Wagen eine Kühlbox mit menschlichen Organen dabei hatte. Laut CNN operieren die korrupten Mediziner und Organhändler auf der Halbinsel angeblich sogar mit mobilen Kliniken. Eine umfangreiche Dokumentation der EU vom September 2012 zeichnet das Bild einer systematischen Organhandel-Industrie. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) funktioniert Ägypten als regionale Drehscheibe in dem teuflischen Geschäft. Und Amnesty International spricht von einer „Tragödie quer durch zahlreiche Staaten“, die von der internationalen Gemeinschaft einfach ignoriert werde.

Von den 50 000 bis 60 000 afrikanischen Flüchtlingen, die es seit 2007 im Sinai illegal über die Grenze nach Israel geschafft haben sollen, waren nach Schätzungen der Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ (PHR) in Tel Aviv 5000 bis 7000 in beduinischen Folterkammern. Aufgrund der Zeugenaussagen habe man eine Karte angefertigt, mit den Koordinaten der Folterzentren sowie Wohnorten und Namen der Menschenhändler. Die Dokumentation sei der ägyptischen Botschaft in Israel, aber auch dem US-Außenministerium und dem britischen Premier David Cameron übergeben worden. Trotzdem gebe es keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas unternommen werde.

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