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Politik: "Terror für die Unsterblichkeit": Buddha, Hitler und die Ufos

"Das Ende der Welt" heißt ein Buch von Robert Jay Lifton, das 1994 in Deutschland erschien - nicht um es vorherzusagen, sondern als Studie des amerikanischen Psychologen und Psychiaters an der New York University über gerade grassierende Weltuntergangshysterien. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2001 und die Welt steht noch.

"Das Ende der Welt" heißt ein Buch von Robert Jay Lifton, das 1994 in Deutschland erschien - nicht um es vorherzusagen, sondern als Studie des amerikanischen Psychologen und Psychiaters an der New York University über gerade grassierende Weltuntergangshysterien. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2001 und die Welt steht noch. Aber das ist kein Grund aufzuatmen - oder für Robert Jay Lifton, die Feder beiseitezulegen. Denn inzwischen haben wir auch den Giftgasanschlag der Aum Sekte in der Tokioter U-Bahn, die Massenmorde und Selbstmorde amerikanischer Sekten und den Anschlag des "Una-Bombers" von Oklahoma City erlebt, der mit seinem Attentat den nuklearen Holocaust auslösen wollte. So könnten die Anschläge von Tokio und Oklahoma City auch Vorboten eines globalen Sektenterrors gewesen sein, dessen Motive tiefer sitzen als bloße Milleniumshysterie.

Das jedenfalls ist die Essenz von Liftons neuer Studie "Terror für die Unsterblichkeit", und wir Europäer haben wenig Grund, uns für nicht betroffen zu halten. Aum-Chef Asahara ist als Hitler-Verehrer auf das Giftgas Sarin verfallen, und der "Una-Bomber McVeigh ließ sich von den "Turner-Diaries" des amerikanischen Neonazis Pierce inspirieren, der Hitler "den Großen" nennt. Robert Jay Lifton: "Stellt also Pierces Text für die amerikanische Rechte eine Art Guru dar, so ist der Guru des Textes selbst der tote Hitler. Geisterhaft, aber noch immer als allmächtiger Führer, findet Hitler so seinen Weg in den Extremismus der Gegenwart."

Aber auch harmlosere Weltuntergangsphantasien sind in Deutschland immer wieder geträumt worden: 1916 baute eine Sekte im Erzgebirge eine Art Arche Noah, in den Zwanziger Jahren zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise zogen alle möglichen Propheten der "Weltwende" durchs Land, an die Ulrich Linse 1983 in seinem Buch "Barfüßige Propheten" erinnerte. Sie seien "das Indiz für eine politische Religiosität, von der wir nicht mehr mit Sicherheit behaupten können, dass sie bei uns eine Sache der Vergangenheit sei".

Da trifft er sich mit Lifton, der sich ebenfalls außerstande sieht, eine scharfe Grenze zwischen religiösem und politischem Wahn zu ziehen: "Doch ebenso wie in meinen früheren Arbeiten verwende ich den Begriff Sekte nur für Gruppen, die folgende Merkmale aufweisen: totalitäre Praktiken oder Formen der Gehirnwäsche, statt einer Verehrung spiritueller Prinzipien die Verehrung eines Gurus oder Führers und eine Verbindung aus spiritueller Suche von unten und - zumeist ökonomischer und/oder sexueller - Ausbeutung von oben."

Lifton hatte Gelegenheit, ehemals führende Mitglieder der Aum-Sekte in ausführlichen Interviews zu befragen, von denen sich einige auch nach dem Anschlag noch zu Aum bekannten. Dessen Schüler und "Minister" berichten wie bei Orwell, dass es bei Asahara unter anderem Minister für Gesundheit, Soziales und Heilung gabe, die Mitglieder unter Drogen setzten und tödliches Gift produzieren ließen - so lässt sich das terroristische Wahnsystem der Sekte recht gut rekonstruieren.

"Keine der Erklärungen der ehemaligen Jünger war vollständig", schreibt Lifton, aber alle verwiesen auf die Schwierigkeit, den Ausstieg aus einer geschlossenen, hierarchischen und von einer psychotischen Persönlichkeit beherrschten Gemeinschaft zu finden. Den meisten gelang dies erst nach der "Sprengung" der Sekte durch die Verhaftung des Gurus und seiner höchsten Jünger. Für Lifton weist dies auf die "bedrückende Fähigkeit des Menschen hin, bestimmte psychische Mittel zu finden, um mit einem Massenmord leben zu können". Darin hätten ihm die Jünger der Aum-Sekte "häufig an der ehemaligen Nazis erinnert, die ich für mein Buch über Ärzte im Dritten Reich interviewt habe".

"Wie sich zeigt", resümiert Lifton, "haben zerstörerische Ausdrucksformen der japanischen Apokalyptik mit unseren eigenen Versionen vieles gemeinsam." In jeder Gesellschaft existiere eine "verborgene apokalyptische Kultur", die durch Katastrophenerfahrung und Katastrophenangst - Kriege, Atombomben, unbekannte Flugobjekte - aktiviert und von Terrorsekten instrumentalisiert werden könne. Erlangen sie Zugang zu Waffen, moderner Technik und Massenvernichtungsmitteln, könnten sie zu einem unkalkulierbaren Risiko werden.

Hannes Schwenger

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