zum Hauptinhalt
Spur der Zerstörung. Der Attentäter sprengte sich auf dem Taksim-Platz im Zentrum Istanbuls in die Luft, in der Nähe eines Polizeipostens. Foto: dpa

© dpa

Politik: Terror im Herzen Istanbuls

Bei einem Selbstmordanschlag werden 32 Menschen verletzt – am selben Tag lief die PKK-Waffenruhe aus

Mitten in der Innenstadt von Istanbul, in der Nähe eines Polizeipostens auf dem Taksim-Platz, hat sich am Sonntagmorgen ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Der Mann starb, 15 Polizisten und 17 Passanten wurden verletzt. Wer hinter dem Anschlag steckt, blieb zunächst offen. Der erste Verdacht richtete sich gegen die kurdische Rebellengruppe PKK oder eine ihrer Unterorganisationen: Der Anschlag wurde an jenem Tag verübt, an dem eine seit dem Sommer geltende PKK-Waffenruhe auslief. Möglicherweise war der Anschlag ein Versuch von Provokateuren, Friedensverhandlungen zwischen dem Staat und der PKK zu sabotieren und eine neue Spirale der Gewalt in Gang zu setzen.

Nach Angaben der Polizei und von Augenzeugen ging der Attentäter gegen 10.40 Uhr auf die Fahrzeuge einer ständig am Taksim-Platz postierten Einheit von Bereitschaftspolizisten zu und zündete einen Sprengsatz an seinem Körper. Die Wucht der Explosion ließ an den Gebäuden in der Umgebung die Fensterscheiben zerspringen. „Ich dachte, es sei ein Erdbeben“, sagte ein Augenzeuge. Es war der schlimmste Anschlag in der Istanbuler Innenstadt seit 2003. Damals hatten türkische Mitglieder einer Al-Qaida-Zelle bei vier Selbstmordanschlägen auf Synagogen und britische Einrichtungen knapp 60 Menschen getötet.

Der Attentäter vom Sonntag zündete seinen Sprengsatz unmittelbar neben einem Denkmal für den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Hätte sich der Täter nicht einen Sonntagvormittag ausgesucht, wäre die Zahl der Opfer auf dem sonst belebten Taksim-Platz möglicherweise höher gewesen. Eine PKK-Kämpferin hatte sich 1999 fast an derselben Stelle in die Luft gesprengt.

Auf eine Täterschaft militanter Kurden bei dem Anschlag wies unter anderem der verwendete Plastiksprengstoff hin. Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu sagte, am Körper des Selbstmordattentäters sei ein weiterer Sprengsatz aus diesem Material gefunden worden, der nicht detoniert war. Die PKK und ihre in den türkischen Metropolen aktive Unterorganisation „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) haben bei ihren Gewaltaktionen häufig Plastiksprengstoff verwendet. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deutete ebenfalls an, dass er militante Kurden hinter dem Anschlag vermutet. Der Versuch, die Einheit des Landes zu zerstören, werde fehlschlagen, sagte Erdogan bei einer Rede im Kurdengebiet. „Wir sind eins. Wir sind zusammen. Wir sind Brüder“, sagte er nach dem Anschlag über Türken und Kurden.

Die TAK hatte erst im Juni bei einem Anschlag auf einen Bus der türkischen Armee in den Außenbezirken von Istanbul sechs Menschen getötet. Zu dem neuen Anschlag lag am Sonntag zunächst kein Kommentar von der PKK oder der TAK vor. Der US-Nachrichtensender CNN zitierte einen Sprecher der Rebellen mit den Worten, er wisse nichts über den Anschlag.

Sollte sich der Verdacht einer PKK-Täterschaft dennoch erhärten, wäre dies ein besorgniserregendes Zeichen, das auf eine neue Eskalation der Gewalt in der Türkei hindeuten könnte. Die Erdogan-Regierung hatte in den vergangenen Monaten ihre Bemühungen um ein friedliches Ende des Kurdenkonfliktes verstärkt. So lässt Erdogan den türkischen Geheimdienst Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan führen. Vizepremier Cemil Cicek nannte kürzlich das irische Karfreitags-Abkommen, das 1998 den Terror der IRA in Nordirland beendet hatte, als erfolgreiches Beispiel für den Umgang eines Staates mit einer Terrororganisation.

Auch die PKK, die seit 1984 gegen Ankara kämpft, tritt nach eigener Darstellung grundsätzlich für ein Ende der Gewalt ein. Erst vor wenigen Tagen hatte der amtierende PKK-Chef Murat Karayilan gesagt, seine Organisation strebe einen dauerhaften Waffenstillstand an. Karayilan versicherte in dem Interview mit der Zeitung „Radikal“ auch, die PKK werde bei ihren Gewaltaktionen ab sofort darauf achten, dass keine Zivilisten mehr in Mitleidenschaft gezogen würden.

Ob Karayilans Ankündigung bloße Propaganda war oder ob der Anschlag vom Sonntag tatsächlich von Kräften verübt wurde, die sich der Kontrolle der PKK entziehen, ist offen. In der Vergangenheit hatten auch Mitglieder der türkischen Sicherheitskräfte bereits Anschläge verübt und sie dann der PKK in die Schuhe geschoben. Bei Selbstmordanschlägen war dies allerdings bisher nie der Fall.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false