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Schwer bewaffnete und vermummte Männer in der irakischen Stadt Falludscha.

© dpa

Terror im Nahen Osten: Al Qaida ist auf dem Vormarsch

Das islamistische Terrornetzwerk Al Qaida ist erfolgreicher als jemals zuvor. Nicht nur im Irak - in vielen Staaten des Nahen Ostens droht nun der Zerfall der inneren Ordnung.

Es war ein Coup. Vor einigen Tagen hissten Extremisten auf dem Rathaus von Falludscha ihre schwarze Kriegsflagge und riefen die Stadt zum „Islamischen Emirat“ aus. Im Zentrum von Ramadi patrouillierten maskierte Bewaffnete in den Straßen, während Iraks Regierungschef Nuri al Maliki vom fernen Bagdad aus die verängstigte Bevölkerung per Fernsehaufruf beschwörte, die Al-Qaida-Invasoren wieder aus den Stadtvierteln zu vertreiben. Am Montag war unklar, ob das gelungen ist. Stammesfürsten berichteten, sie hätten die Eindringlinge vertrieben. Anderen Berichten zufolge, befinden sich die Gotteskrieger weiterhin in Falludscha.

So oder so, es war der jüngste Erfolg in einer immer länger werdenden Serie spektakulärer Militäraktionen radikaler Gotteskrieger im Nahen Osten. Ganz gleich ob im Irak, in Syrien oder im Jemen – die Dschihadisten beweisen mehr und mehr, dass sie ähnlich wie Eliteeinheiten von regulären Armeen zu strategisch komplexen Operationen in der Lage sind. Die mit Al Qaida verbündeten Kämpfer „sind zu den gefährlichsten Akteuren in der gesamten Region“ geworden, urteilte US-Außenminister John Kerry am Wochenende. Analytiker wie Bruce Reidel, Wissenschaftler beim Saban Zentrum für Nahost-Politik der Brookings Institution in Washington, sprechen bereits von Al Qaida 3.0. Nach seiner Einschätzung erleben das Terrornetzwerk und seine radikale Ideologie im Nahen Osten derzeit einen Aufschwung wie nie zuvor. Al Qaida 3.0 sei deutlich breiter gestreut und dezentraler als seine Vorgänger. Von ihren geheimnisumwitterten Anführern seien – anders als bei der alten Führung in Afghanistan – kaum mehr als deren Kriegsnamen bekannt.

Und so ist der Irak in seiner Schreckensbilanz 2013 mittlerweile wieder bei der dunklen Bürgerkriegsepoche vor sechs Jahren angelangt. Im August griffen Kämpfer der Gruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil) mit Abu Ghreib eines der am besten bewachten Gefängnisse des Landes an und befreiten in mehrstündigen Feuergefechten über 500 Gesinnungsgenossen, ein Vorgang, der Interpol zu einem Weltalarm veranlasste.

In Syrien kämpfen Gotteskrieger gegen Assad

Im benachbarten Syrien sind die Isil-Gotteskrieger am Kampf gegen das Assad-Regime inzwischen an vorderster Front beteiligt. Zwar wurde am Montag bekannt, dass syrische Rebellen das Hauptquartier der mit ihnen verbündeten Isil im Norden des Landes belagern und 50 syrische Gefangene aus der Gewalt der Al-Qaida-nahen Extremisten befreit haben. Dennoch drohen die Isil-Krieger immer mehr die Oberhand über die moderaten Kräfte der Opposition zu gewinnen. Viele ihrer Rekruten wechseln nach einiger Zeit kriegserfahren zurück in den Irak, um dort weiter zu bomben. Experten in Bagdad schätzen, dass inzwischen jeden Monat bis zu 40 Selbstmordattentäter aus Syrien einsickern.

Ähnlich mächtig ist auch die Terrorfiliale im Jemen, die sich Al Qaida für die Arabische Halbinsel (AQAP) nennt. Zuletzt verübten ihre Kommandos, in deren Reihen sich viele Saudis befinden, einen verheerenden Großanschlag auf das Verteidigungsministerium in Sanaa, dem Herzen des Regimes. 52 Menschen starben, 215 wurden verletzt. Im Militärkrankenhaus auf dem Gelände schossen die Attentäter wahllos auf Ärzte, Krankenschwestern und Patienten, unter den Toten waren auch zwei Deutsche. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Offizier oder Polizist von Motorradattentätern erschossen wird, auch wenn Jemens Armee die beiden Al-Qaida- Enklaven Zinjibar und Lahij am Golf von Aden im Frühjahr 2012 unter hohen Verlusten wieder freikämpfen konnte. Zurück blieben zerstörte Städte und Dörfer, verwüstete und verminte Felder sowie zehntausende Obdachlose.

Auch in Ägypten verübte Al Qaida Anschläge

Doch nicht nur Irak, Syrien und Jemen, auch Libanon, Sudan, Libyen und Ägypten droht der Zerfall ihrer inneren Ordnung. Das Land am Nil erlebte kurz vor Weihnachten den ersten großen Autobombenanschlag seit Jahren. 15 Menschen starben, als in der Stadt Mansura ein Sprengsatz vor der Zentrale der Polizei explodierte. Zu dem Attentat bekannte sich die Al Qaida nahestehende Ansar Beit al Maqdis auf dem Sinai, auf deren Konto auch zahlreiche Morde an Soldaten und Polizisten gehen. Schätzungsweise 1000 Gotteskrieger operieren inzwischen auf der Halbinsel. Trotzdem erklärte die vom Militär eingesetzte Interimsregierung als Reaktion die gesamte Muslimbruderschaft zur Terrorvereinigung, was viele Anhänger in den Untergrund treiben und radikalisieren könnte. Nach Ansicht des Brookings-Experten Reidel wird Ägypten 2014 wohl einen deutlichen Anstieg von Terrortaten erleben. „Ägypten ist das Land mit den viel versprechendsten Aussichten für Al Qaida“, schreibt er.

Und so wundert es nicht, dass in den USA und Europa der Unwille wächst, sich in das immer höher brodelnde Chaos einzumischen. Der bedrängten schiitischen Regierung in Bagdad lieferte Washington vorletzte Woche 75 Hellfire-Raketen und stellte zehn Aufklärungsdrohnen in Aussicht. „Wir tun, was wir können“, sagte US-Außenminister John Kerry. Im gleichen Atemzug aber schloss er erneute US-Truppen vor Ort kategorisch aus. „Dieser Kampf jetzt, das ist deren Kampf.“

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