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Die französische Politologin Sylvie Goulard vertritt die Liberalen seit 2009 im Europaparlament.

© AFP

Terror in Deutschland und Frankreich: "Populisten versuchen immer, derartige Situationen auszunutzen"

Die französische Politologin Sylvie Goulard über die gemeinsame Herausforderung für Frankreich und Deutschland im Kampf gegen den Terrorismus, Populismus und die Integration von Muslimen.

Frau Goulard, was hat es zu bedeuten, dass Flüchtlinge in Würzburg und Ansbach Anschläge im Namen des Dschihadismus verübt haben?

Wir dürfen nicht naiv sein und glauben, dass es nicht auch negative Folgen hat, wenn eine Million Menschen zusätzlich in ein Land kommen. Man muss die Bedrohung durch mögliche terroristische Anschläge sehr ernst nehmen, aber auch nicht übertreiben: Wenn man die gesamte Anzahl der Flüchtlinge mit der Zahl der Attentäter vergleicht, dann wird klar, dass sich ein Generalverdacht gegen Flüchtlinge verbietet.

Andererseits versuchen Parteien wie die AfD, aber auch die Linkspartei, die Angst vor weiteren Anschlägen in Deutschland für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Grundsätzlich lehne ich derartige Äußerungen wie von der AfD und der Linkspartei ab. Populisten versuchen immer, derartige Situationen auszunutzen...

...wie beispielsweise in Frankreich: Dort sind die Anschläge von Brüssel, Nizza und jetzt auch wieder bei Rouen Wasser auf die Mühlen des rechtsextremen Front National.

Leider haben in Frankreich viele Politiker versucht, dem Front National hinterherzulaufen. Eigentlich hätten sie eine gründliche Analyse zu folgenden Fragen durchführen müssen: Was schützt uns vor dem islamistischen Terror? Welche polizeilichen Erfordernisse gibt es?

Auch in Deutschland besteht die Gefahr, dass die Union den Parolen der AfD hinterherläuft. Wie würde Ihr Ratschlag an die CDU/CSU lauten? Welche Linie sollte die Union mit Blick auf die AfD und die bevorstehenden Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin verfolgen?

Ich will als Französin nicht den Deutschen sagen, was sie zu tun haben. Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass manche Entscheidungen in einer Demokratie nicht von der nächsten Wahl abhängig gemacht werden sollten. Frau Merkel hat nach meiner Meinung eine richtige Entscheidung getroffen, als sie im September des vergangenen Jahres die Flüchtlinge aus Syrien willkommen geheißen hat. Die Entscheidung war moralisch richtig. Sie war auch in rechtlicher Hinsicht richtig, denn sie war gerechtfertigt aufgrund der Genfer UN-Flüchtlingskonvention, die auch Frankreich unterzeichnet hat. Unsere Staaten sind Rechtsstaaten. Wenn sich die Politik nicht von festen Grundsätzen leiten lässt, macht sie sich von der Tagespolitik und der nächsten Wahl abhängig. Die beste Antwort auf die Populisten angesichts möglicher terroristischer Anschläge besteht nicht in ausländerfeindlicher Rhetorik, sondern in guter Polizeiarbeit. Wenn sich unter den Flüchtlingen einige befinden, die schreckliche Absichten haben, dann muss man sie ermitteln, bevor sie zur Tat schreiten können.

Frankreich hat sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge stark zurückgehalten. So hat Frankreichs Regierungschef Manuel Valls der verstärkten Aufnahme von Flüchtlingen den Riegel vorgeschoben.

Ich teile die Auffassung von Herrn Valls nicht. Einerseits verstehe ich es, dass unsere Regierung nicht die Augen davor verschließen kann, dass der Rechtspopulismus bei uns bereits sehr stark ist. Aber nach meiner Meinung war die Entscheidung unserer Regierung trotzdem nicht richtig. Aber ich möchte mit Blick auf die europäische Flüchtlingspolitik noch etwas anderes betonen: Schon in den Jahren 2013 und 2014 hat uns die italienische Regierung auf das Problem der Flüchtlinge aufmerksam gemacht. Damals haben sowohl die Deutschen als auch die Franzosen die Augen zugemacht. Den Preis dafür bezahlen wir heute. Die Entscheidung von Frau Merkel vom September 2015, die Flüchtlinge ins Land zu lassen, war zwar moralisch richtig. Sie kam aber sehr spät. Ein Problem verschwindet ja nicht dadurch, dass man die Augen davor verschließt.

Sehen Sie Unterschiede bei der Integration von Muslimen in Deutschland und Frankreich?
Die Franzosen hatten lange das Gefühl, sie würden mit der so genannten Laizität alle Probleme lösen. Aber so einfach ist es nicht. Die Laizität trennt strikter zwischen Religion und Staat, als es beim deutschen Prinzip der Säkularität der Fall ist. Deshalb haben wir uns früher als andere Länder mit dem Tragen des Kopftuchs befasst. Der zweite Unterschied besteht darin, dass die starke internationale Rolle Frankreichs, beispielsweise in der Nahost-Politik, die Stimmung in unseren Vororten belastet. Und drittens kommen die meisten Muslime in Frankreich aus ehemaligen Kolonien. Die Beziehung ist dadurch sehr belastet, weil die geschichtliche Vergangenheit leider in Frankreich nicht in genügendem Maße aufgearbeitet wurde. Die Beziehungen sind stärker belastet als beispielsweise das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken.

Aber Deutschland ist in Sachen Integration auch nicht gerade ein Musterland – wenn man etwa an die ausländerfeindlichen Parolen der Pegida und die Angriffe auf Flüchtlingsheime denkt.

Richtig. Aber dennoch habe ich den Eindruck, dass das politische Klima in Deutschland anders ist, weil die Arbeitslosigkeit hier geringer ist als in Frankreich. Eine Gesellschaft wie die deutsche, die mehr Wachstum kennt, kann auch eine bessere Zukunftsperspektive anbieten.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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