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In ganz Kenia hat die dreitätige Staatstrauer für die 148 Opfer des Massakers an der Garissa Universität mit Ostergottesdiensten begonnen. Christliche Bischöfe und muslimische Geistliche riefen die Kenianer dazu auf, sich von der somalischen Al-Schabaab-Miliz nicht in einen Religionskrieg ziehen zu lassen.

© Thomas Mukoya/Reuters

Terror in Kenia: Trauer, Schuldzuweisungen und verzweifelte Eltern

Drei Tage nach dem Massaker in der Garissa-Universität gedenkt Kenia der 142 Studenten, drei Soldaten und drei Polizisten, die beim Terrorangriff der Al-Schabaab-Miliz umgekommen sind. Derweil kommt Kritik am Anti-Terror-Einsatz auf.

Am Ostersonntag hat eine dreitägige Staatstrauer für die Opfer des Massakers in der Garissa-Universität im Nordosten Kenias begonnen. In den Ostergottesdiensten riefen die katholischen Bischöfe dazu auf, sich nicht in einen Religionskrieg mit den Muslimen ziehen zu lassen. Darin waren sie sich mit den wichtigsten muslimischen Geistlichen einig, die den Anschlag der somalischen Al-Schabaab-Miliz schon am Mittwoch scharf verurteilt hatten. In der zweitgrößten Stadt Mombasa wurde eine Kirche nach einer Terrorwarnung vorsorglich geräumt.

In Kenia sind die Christen in der Mehrheit, nach den Daten der bisher letzten Volkszählung sind 84 Prozent der Bevölkerung Christen - 23 Prozent Katholiken, 49 Prozent Protestanten und weitere 12 Prozent gehören anderen christlichen Kirchen an. An zweiter Stelle steht mit einem Bevölkerungsanteil von elf Prozent der Islam. Die Frage, welche Rolle die Religion beim Massaker in Garissa gespielt hat, wird intensiv diskutiert, weil zum wiederholten Mal überlebende Zeugen davon berichteten, dass Christen gezielt getötet worden seien.

Hassan Ole Naado, der stellvertretende Generalsekretär von Supkem schrieb in einem Beitrag für die Tageszeitung "The Daily Nation" am Sonntag, dass der Zusammenschluss der muslimischen Organisationen Supkem nicht nur Geld sammelt für die Beerdigungen der Opfer und die Demonstrationen gegen Al Schabaab in Garissa und dem vor allem von Somalis bewohnten Stadtteil Eastleigh in Nairobi unterstützt haben. Supkem habe "sehr gelehrte und angesehene Islamgelehrte gebeten, ein Gegen-Narrrativ auf der Basis des wahren Islam und der klassischen Tradition zu erarbeiten". So solle die Religion aus der "Gefangenschaft" von selbst ernannten Individuen im Dschihad gerettet werden.

David Oginde, Bischof einer evangelikalen Freikirche mit dem Namen "Christ is the Answer Ministry", wehrte sich ebenfalls in der "Daily Nation" allerdings dagegen, dass der Islam mit dem Argument die Täter missbrauchten die Religion quasi freigesprochen werde. "Das Argument klingt leider zunehmen hohl und verliert schnell an Glaubwürdigkeit", schrieb er.

Ein Attentäter wurde identifiziert

Einer der vier in Garissa getöteten Attentäter ist am Samstag identifiziert worden. Der junge Mann ist der Sohn eines Staatsbediensteten in Mandera. Die Provinz grenzt an Garissa und liegt direkt im Dreiländereck Kenia, Äthiopien, Somalia. Der Regierungsbeamte hatte seinen Sohn vor kurzem als vermisst gemeldet und den Verdacht geäußert, er könnte nach Somalia gegangen sein. Der junge Mann war ein Einser-Student am juristischen Seminar der Universität Nairobi. Er ist Kenianer somalischer Abstammung wie weitere etwa zwei Millionen Kenianer ebenfalls.

Die somalisch-stämmige Bevölkerung hat einen Anteil von sechs Prozent an der Gesamtbevölkerung. Dazu kommt rund eine Million somalischer Flüchtlinge, die seit dem Zusammenbruch des Nachbarlands als Staat 1991 nach Kenia gekommen sind. Wenige Kilometer von Garissa entfernt liegt das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, das seit mehr als 20 Jahren existiert und derzeit rund 600 000 Menschen beherbergt.

Eine Familie nimmt ihre Tochter im Nyayo-Fußballstadion in Nairobi in Empfang. Die Studentin gehört zu den Überlebenden des Massakers an der Garissa Universität im Nordosten Kenias. Mindestens vier Attentäter der somalischen Al-Schabaab-Miliz hatten 148 Menschen getötet und rund 500 für 16 Stunden als Geiseln festgehalten.
Eine Familie nimmt ihre Tochter im Nyayo-Fußballstadion in Nairobi in Empfang. Die Studentin gehört zu den Überlebenden des Massakers an der Garissa Universität im Nordosten Kenias. Mindestens vier Attentäter der somalischen Al-Schabaab-Miliz hatten 148 Menschen getötet und rund 500 für 16 Stunden als Geiseln festgehalten.

© Thomas Mukoya/Reuters

Am Samstag hatte die Polizei in Garissa die vier nackten Körper der Attentäter auf einem offenen Pickup durch die Stadt gefahren. Das habe der Identifizierung der Männer gedient, zitieren kenianische Zeitungen den örtlichen Polizeichef. Allerdings säumten Hunderte Menschen die Straßen, einige bewarfen die Leichen mit Steinen, andere empörten sich über die Zurschaustellung der Körper. Nach islamischem Ritus müssen Tote möglichst schnell begraben werden. Politische Analysten befürchten, dass dieser Umgang mit den toten Attentätern Al Schabaab noch mehr Anhänger zutreiben könnte. Die Fotos zeigen, dass die Version der Polizei, wonach sich die vier Attentäter mit ihren Sprengstoffwesten in die Luft gesprengt hätten, offenbar nicht zutrifft. Die Leichen sind vollständig. Offenbar haben die Elitepolizisten der Recce-Einheit die Attentäter erschossen, als sie die Universität eingenommen haben.

Erst 54 Opfer des Massakers identifiziert

Bis Sonntagvormittag sind 124 der 148 Opfer des Massakers in einem Leichenschauhaus in Nairobi angekommen. Lediglich 54 Leichen waren am Nachmittag schon identifiziert. Seit Mittwoch warten verzweifelte Angehörige vor dem Leichenschauhaus darauf, zu erfahren, was mit ihren Kindern geschehen ist. Viele Körper sind so entstellt, dass eine Identifizierung schwierig ist. Ein Sanitäter in Garissa hatte nach einer ersten Begehung des Tatorts gesagt, einigen seien die Köpfe regelrecht weggeschossen worden.

Das Rote Kreuz versucht die Angehörigen zwar zu betreuen. Doch offenbar war die Hilfsorganisation nicht darauf vorbereitet, tagelang Hunderte Menschen versorgen zu müssen. Am Sonntag riefen Menschenrechtler jedenfalls dazu auf, Nahrung und Getränke zum Leichenschauhaus zu bringen, um die Angehörigen zumindest mit dem Nötigsten zu versorgen.

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Die überlebenden Studenten waren am Samstag in Bussen nach Nairobi und in andere Landesteile gebracht worden. Die Garissa-Universität wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es ist kaum zu erwarten, dass sie wieder eröffnet werden wird. Kaum ein Student ist bereit, an den Ort des Schreckens zurückzukehren. Und auch neue Studenten dürfte es kaum geben, die bereit sind, mit den Sicherheitsrisiken in Garissa zu leben. Eine Mutter sagte am Sonntag über ihre tote Tochter: "Ich wünschte sie hätte ihr Examen nicht bestanden. Dann wäre sie vielleicht noch am Leben."

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Am Samstag fand die Armee, die den Universitäts-Campus weiter untersucht, eine noch lebenden 19-jährige Studentin, obwohl bereits am Donnerstagabend die Suche nach Lebenden beendet worden war, weil angeblich alle Studenten gefunden waren. Die junge Frau hatte sich in einem Schrank hinter Reisetaschen und einem Berg Kleidung versteckt. 28 Stunden lang harrte sie dort aus. Ihren Durst und ihren Hunger bekämpfte sie mit einer Flasche Body-Lotion. Einige Studentinnen überlebten das Inferno, weil sie sich über viele Stunden tot stellten. Eine Familie in Kitale im Westen des Landes, war von ihrer Tochter am Mittwochmorgen noch einmal angerufen worden. Später riefen die Attentäter noch einmal an, um der Familie mitzuteilen, dass sie die junge Frau erschossen hatten, das sei eine Revanche für die kenianische Truppenpräsenz in Somalia.

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Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter begannen Aktivisten damit, die Namen aller 148 Opfer des Terroranschlags zu veröffentlichen. In afrikanischen Gesellschaften ist die Erinnerung an die Toten besonders wichtig. Deshalb wollen die Aktivisten die Opfer des Massakers nicht nur als Nummern sehen.

Kenias Präsident droht den Muslimen

Am Freitag kündigte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta an, dass seine Regierung den kenianischen Lebensstil gegen den Terrorismus verteidigen werde. Er rief die überlebenden Studenten der Garissa Universität auf, ihre Ausbildung abzuschließen. Neben ihm steht sein Vize, William Ruto.
Am Freitag kündigte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta an, dass seine Regierung den kenianischen Lebensstil gegen den Terrorismus verteidigen werde. Er rief die überlebenden Studenten der Garissa Universität auf, ihre Ausbildung abzuschließen. Neben ihm steht sein Vize, William Ruto.

© Thomas Mukoya/Reuters

Am Freitag hat Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, leger ohne Jacket und mit offenem Hemd, einen dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Er sagte zwar, die Muslime sollten nun nicht pauschal zu Sündenböcken gemacht werden. Doch er fügte auch gleich hinzu, dass "die Radikalisierung, die zum Terrorismus wird, nicht im Busch bei Nacht passiert. Sie passiert in vollem Tageslicht in Koranschulen, in den Familien und in den Moscheen mit unverantwortlichen Imamen". Die Aufgabe den Terrorismus zu bekämpfen sei schwer geworden, weil "die Planer und Finanziers dieser Grausamkeiten tief in unsere Gemeinschaften integriert sind und als normale, harmlose Leute angesehen werden".

Damit erkennt Kenyatta zwar das erste Mal an, dass Kenia auch ein internes Problem mit Terrorismus hat. Allerdings haben viele Muslime seine Rede als Hinweis gewertet, dass ihre Gemeinschaften mit einer neuen Welle der Drangsalierung rechnen müssen. Nach dem Westgate-Attentat 2013 hatte die kenianische Polizei Hunderte Somalis im Kassarani-Fußballstadion tagelang eingesperrt und vielen Somalis ihre Aufenthaltstitel entzogen. Viele junge Männer aus Eastleigh waren ohne Anklage verhaftet und wochen- oder sogar monatelang festgehalten worden.

Der Anti-Korruptionsaktivist John Githongo schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Wir müssen akzeptieren, dass Al Schabaab nun ein Spieler mit einer barbarischen Ideologie im kenianischen politischen Milieu ist." Die Terrormiliz ziehe insbesondere eine Minderheit von "unzufriedenen und dem Staat entfremdeten jungen Männern an". Die übliche "Hunger-PR" werde diesmal nicht reichen. Damit meint er die These, dass vor allem arme muslimische Jugendliche nach Somalia in den Kampf zögen. "Al Schabaab nährt sich aus unseren eigenen Widersprüchen und ihre Anführer beuten diese clever aus. Sie scheinen raffinierter zu sein, als die Strippenzieher der Regierung", schreibt Githongo.

Kritik am Rettungseinsatz

Inzwischen werden in der kenianischen Öffentlichkeit Stimmen laut, die mit dem Rettungseinsatz am Mittwoch in Garissa nicht zufrieden sind. Die "Daily Nation" setzte sich intensiv mit dem Einsatz auseinander. Demnach ging der Alarm bei der Polizeieliteeinheit Recce, die für solche Einsätze gebildet worden ist, schon um 6 Uhr morgens der Alarm ein, eine halbe Stunde nachdem der Angriff auf die Garissa-Universität begonnen hatte. Die Truppe sei schnell einsatzbereit gewesen. Doch erst gegen Stunden später sei ein Teil der Einsatzkräfte mit Autos in Richtung Garissa aufgebrochen, fünf Stunden später waren sie dann da. Und gegen 14 Uhr kam eine weitere Gruppe mit einem Flugzeug in Garissa an.

Die Zeitung zitiert einen Offizier der Elitetruppe mit den Worten: "Sie dachten, das Militär und die Polizei vor Ort könnte die Situation klären. Wir waren als Backup gedacht. Allerdings sehe ich im Vergleich zum Westgate-Einsatz keinen großen Unterschied. Es ist eine Wiederholung." Anstatt die Recce-Polizisten möglichst schnell nach Garissa zu verlegen, wurde der erste freie Helikopter genutzt, um den Innenminister Joseph Nkaissery und den Polizeichef Wilson Boinnet nach Garissa zu fliegen. "Das war pure PR. Das ist leider nichts Neues für uns", wird der Offizier weiter zitiert.

Nachdem die ersten Recce-Polizisten vor Ort waren, wurden sie mehr als zwei Stunden lang gebrieft, bis dann auch die über Land gekommenen Polizisten eingetroffen waren. Das Innenministerium findet, dass es daran nichts zu kritisieren gibt. Die Zeitung zitiert den Sprecher des Ministeriums, Mwenda Njoka, mit der Einschätzung, die Reaktionszeit sei angemessen gewesen. "Verglichen mit Westgate war das nicht schlecht." Es dauere schließlich seine Zeit, bis die Lage überblickt werde und Entscheidungen getroffen werden könnten. Die neun Stunden, die es gedauert habe, seien begründet gewesen. In dieser Zeit, kritisiert dagegen der politische Aktivist Boniface Mwangi, hätten die Terroristen weiter gemordet. Wäre der Zugriff früher erfolgt, hätten womöglich mehr Stundenten gerettet werden können.

Außenministerin Amina Mohamed wies die Kritik ebenfalls zurück. Sie sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass "die Bekämpfung des Terrorismus der Arbeit eines Torwarts" gleiche. "Man hat 100 Mal ein Tor verhindert, und keiner erinnert sich. Aber alle erinnern sich, wenn man mal einen Ball reingepassen hat."

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