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Spuren des Terrors. Fünf Gäste kamen bei den islamistischen Anschlägen in Paris am 13. November im Café Bonne Bière ums Leben.

© Malte Christians/dpa

Terror und Gewalt: Wie groß ist die Gefahr für Deutschland 2016?

Charlie Hebdo, Paris – 2015 war ein Jahr mit vielen terroristischen Angriffen. Deutschland blieb bisher verschont. Das könnte sich aber ändern.

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Eines der härtesten Jahre für die innere Sicherheit Deutschlands geht zu Ende. Terrorgefahr, sehr viele rassistische Anschläge und auch ein eruptiver Ausbruch linksextremer Gewalt in Frankfurt am Main haben 2015 geprägt. Die Kratzer im Bild der politisch stabilen Bundesrepublik könnten 2016 noch tiefer werden.

Wie groß ist die Gefahr islamistischer Anschläge?

Deutschland blieb 2015 von einem Terrorangriff militanter Islamisten verschont, doch das Risiko eines Anschlags ist extrem hoch. Die schweren Anschläge, die Paris im Januar und im November erlebte, sind möglicherweise Teil einer Offensive der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sowie von Al Qaida. Sicherheitsexperten befürchten, dass die beiden Organisationen ihren Konkurrenzkampf nicht nur in Syrien austragen, sondern auch mit immer verheerenderen Anschlägen in den Staaten der „Ungläubigen“. Im Januar 2015 attackierten Dschihadisten im Auftrag der Al-Qaida-Filiale im Jemen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. Parallel überfiel ein Anhänger des IS einen jüdischen Supermarkt. Im November starben mehr als 120 Menschen in Paris bei Angriffen von IS-Terroristen. In ihrem Bekennerschreiben erwähnt die Terrormiliz ausdrücklich auch die „Kreuzfahrernation“ Deutschland.

Die wenige Tage nach den Anschlägen erfolgte Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland gegen Niederlande in Hannover zeugt von der Nervosität der deutschen Behörden, die durchaus berechtigt ist. Befürchtet werden gleich mehrere Szenarien. Der IS oder Al Qaida könnte wie in Paris mit Hit-Teams angreifen, die mit Kalaschnikows um sich schießen und sich dann selbst in die Luft sprengen. Oder es könnten sogenannte Schläfer bei „weichen Zielen“, zum Beispiel in Stadien, Fußgängerzonen und auf Volksfesten, Bomben deponieren, die gleichzeitig oder nacheinander explodieren und überdies eine Massenpanik auslösen.

Die Behörden schließen auch einen Angriff mit chemischen Kampfstoffen wie Chlorgas und Senfgas nicht aus. Der IS hat beides bereits im Kampf gegen Gegner in der syrisch-irakischen Krisenregion eingesetzt. Doch auch der Angriff eines Einzeltäters ohne aufwendige Bewaffnung gehört zu den Methoden der Dschihadisten.

Im September stach in Berlin der Islamist Rafik Y., der als Terrorist eine lange Haftstrafe abgesessen hatte, einer Polizistin in den Hals. Beamte erschossen den Täter. Auch wenn fraglich bleibt, ob Rafik Y. aus politischen Motiven handelte oder eher als psychisch gestört zu gelten hat oder auch beides zutrifft, entspricht zumindest der Tatmodus dem von Al Qaida und IS propagierten individuellen Dschihad. Ohne großen Aufwand, nur mit einem Messer oder einer Pistole. So lief auch der bislang einzige vollendete islamistische Anschlag in Deutschland ab. Im März 2011 erschoss der Kosovare Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten. Radikalisiert über das Internet, aber öffentlich nie aufgefallen, ist Uka exemplarisch einer dieser „einsamen Wölfe“, deren Angriff aus dem Nichts kommt, die Sicherheitsbehörden überrascht und ein ganzes Land schockt.

Beschränkt sich das Terrorrisiko auf Islamisten?

Die salafistische Szene ist das gefährlichste Milieu, zumal es weiter rasant wächst. Verfassungsschützer sprechen inzwischen von über 8000 Salafisten in Deutschland, das ist mehr als doppelt soviel wie 2011. Aus diesem Spektrum sind ungefähr 780 Personen seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges in die Konfliktregion gereist. Ein Drittel kam nach Deutschland zurück.

Diese Zahlen verstärken in weiten Teilen der Bevölkerung noch die Angst vor Anschlägen wie in Paris. In die Furcht mischen sich Sorgen vor einer Unterwanderung durch „den Islam“. Da gelten dann Flüchtlinge, darunter viele Muslime, an die sich zudem auch in Deutschland missionierende und radikalisierende Salafisten heranmachen, leicht als Gefahr. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur zufolge rechnen zwei Drittel der Bundesbürger mit einem Anschlag des IS in Deutschland im nächsten Jahr. Nur 17 Prozent glauben nicht daran. Weitere 17 Prozent machten keine Angaben.

Der mentale Mix aus Angst vor Anschlägen und Sorgen vor der Veränderung der Gesellschaft ist gefährlich und nicht ohne Folgen: Die Bundesrepublik hat 2015 eine Welle flüchtlingsfeindlicher Gewalt in der Art eines massenhaften Feierabendterrors erlebt. Das Bundeskriminalamt zählte bis Anfang Dezember 817 Straftaten, darunter fast 70 Brandanschläge, gegen Unterkünfte von Asylbewerbern. Längst nicht alle Täter sind Neonazis. Auch biedere Familienväter und sogar ein Feuerwehrmann, wie im Oktober in einem von syrischen Flüchtlingen bewohnten Haus im sauerländischen Altena, haben gezündelt.

Sicherheitsexperten sprechen von rechter „Resonanzgewalt“, einer angst- und hassgesteuerten Reaktion auf die Verunsicherung durch die Flüchtlingsdebatte und islamistischen Terror. Gleichzeitig fühlen sich rechtsextreme Hardcoretrupps bestärkt, die im Ungeist des rassistischen Terrornetzwerks NSU zuschlagen wollen. Im Mai konnte die Polizei dank Recherchen des Verfassungsschutzes die „Old School Society (OSS)“ ausheben. Die Gruppe hatte Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Moscheen und bekannte Salafisten geplant. Und die Gefahr rechten Terrors werde auch 2016 nicht kleiner, prognostizieren Experten. Daran dürfte auch ein in der ersten Jahreshälfte denkbares, vermutlich hartes Urteil im NSU-Prozess wenig ändern.

Rassismus, Linksextremismus, Terrorbekämpfung

Spuren des Terrors. Fünf Gäste kamen bei den islamistischen Anschlägen in Paris am 13. November im Café Bonne Bière ums Leben.
Spuren des Terrors. Fünf Gäste kamen bei den islamistischen Anschlägen in Paris am 13. November im Café Bonne Bière ums Leben.

© Malte Christians/dpa

Wer verantwortet den rassistischen Hass?

Eine Partei oder Gruppierung alleine zu nennen, hieße die Dimension der Hetze zu unterschätzen. Verfassungsschützer beobachten, dass sich eine „Mischszene“ bildet aus Pegida, rechten Hooligans, radikalisierten Anhängern der AfD, islamfeindlichen Internetagitatoren, NPD und Neonazis. Feindbilder sind nicht nur Flüchtlinge, Muslime und Migranten an sich, sondern auch demokratische Politiker und Verfechter der „Willkommenskultur“, die angeblich Deutschland in ein Multikulti-Chaos stürzen.

So dachte auch der Norweger Anders Breivik, der 2011 in seinem rassistischen Wahn junge Antirassisten massakrierte. Ähnlich motiviert war offenbar ebenso der Rassist, der im Oktober in Köln auf die Politikerin Henriette Reker einstach. Weil sie sich um die Unterbringung von Flüchtlingen gekümmert hatte.

Ein großes Thema wird 2016 das Verbotsverfahren gegen die NPD sein. Für März hat das Bundesverfassungsgericht drei Tage für die mündliche Verhandlung festgesetzt. Ob das reicht, bleibt offen. Und es ist kaum zu erwarten, dass ein Verbot der NPD die rechtsextremistisch-rechtspopulistische Mischszene der Flüchtlings- und Islamfeinde entscheidend schwächt. Vermutlich würde die Lücke rasch von AfD, Pegida und den Neonazi-Parteien „Die Rechte“ und „Der Dritte Weg“ gefüllt.

Was ist von anderen Extremisten zu befürchten?

Beim Blick auf das Extremistenspektrum der Bundesrepublik ist zu erkennen, dass alles mit allem korreliert. Rechtsextremisten hassen Salafisten, die ihrerseits auch mit Kurden aneinandergeraten. Diese, vor allem die Anhänger der PKK, sind ebenfalls mit nationalistischen Türken, den „Grauen Wölfen“, verfeindet. Da gab es 2015 auch wieder gewaltsame Auseinandersetzungen, bis hin zu einem Messerstich gegen einen Kurden in Hannover. Und solche Vorfälle sind Munition für die Propaganda deutscher Rassisten. Die Rechtsextremen wiederum werden bekämpft von Autonomen und weiteren Linksextremisten, die punktuell mit der PKK paktieren oder zumindest sympathisieren. Einige deutsche Linke kämpfen sogar auf Seiten militanter Kurden in Syrien gegen den „Islamischen Staat“. Gemeinsamer Feind aller Extremisten ist die abfällig als „System“ bezeichnete Demokratie der Bundesrepublik.

Lässt die linksextreme Gewalt nach?

Sie war in diesem Jahr nicht so oft Anlass für Schlagzeilen wie islamistischer und rassistischer Terror. Außerdem hat die autonome Szene arge Nachwuchssorgen. Doch militante Linksextremisten sind weiter zu massiven Ausschreitungen fähig. Tiefpunkt waren die Krawalle im März in Frankfurt am Main. Deutsche und ausländische Linksradikale attackierten die Polizei mit einer Aggressivität, die in den Behörden kaum jemand vorhergesehen hatte. 150 Beamte wurden verletzt, mehr als 60 Polizeifahrzeuge beschädigt oder sogar zerstört. Und Mitte Dezember randalierte in Leipzig die autonome Szene, als Rechtsextremisten aufmarschierten. Diesmal erlitten 69 Polizisten Verletzungen, 50 Einsatzfahrzeuge wurden demoliert. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) war entsetzt: „Das ist offener Straßenterror.“

Was tut Deutschland rechtlich gegen Terror, Rassismus und Gewalt?

Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gesetzen erlassen, um vor allem den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Ein wesentlicher Schritt war, die Bildung und Unterstützung terroristischer Vereinigungen auf solche, die im Ausland tätig sind, auszudehnen. Zwar gibt es hier selten Verurteilungen. Aber wenn, dann machen sie Schlagzeilen, einschließlich Anklagen und Festnahmen: So haben Staatsschützer Mitte Dezember etwa den Salafistenprediger Sven Lau wegen eines entsprechenden Verdachts festgenommen. Er soll als verlängerter Arm der in Syrien aktiven Terrororganisation „Jaish al muhadschirin wal Ansar“ (Jamwa) agiert und Dschihadisten an islamistische Kämpfer in Syrien vermittelt haben. Jamwa, die „Armee der Auswanderer und Helfer“, ist an den IS angebunden. Kurz darauf hat die Bundesanwaltschaft auch einen 26-jährigen Deutschen festnehmen lassen, weil er die Taliban in Afghanistan unterstützt haben soll. In weiteren Fällen hat der Generalbundesanwalt in den vergangen Wochen Anklage wegen des Delikts erhoben.

Eine wichtige Rolle spielt bei der Terrorbekämpfung auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach Paragraf 89a StGB. Damit soll Terrorismus bereits im Vorbereitungsstadium erfasst werden können, insbesondere Aufenthalte in so genannten Terrorcamps. In der Praxis sind Verurteilungen ebenfalls selten, dennoch dient die Vorschrift vielfach dazu, um Ermittlungsverfahren eröffnen und etwa Razzien durchführen zu können.

Einen deutlichen Dämpfer bekamen die Strafverfolger, als der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich im „Allgäuer Islamistenprozess“ die Vorschrift unter die Lupe nahm. Eine Frau, so der Vorwurf, habe mit ihren Töchtern nach Syrien ausreisen und sich einem Al-Qaida-Ableger anschließen wollen. Vor Ort übte sie mit Schusswaffen. Doch mit Blick auf internationale Krisen und Konflikte sei der Paragraf nicht oder nur eingeschränkt anwendbar, befand der BGH. Denn er schütze auch Diktaturen im Ausland vor „staatsgefährdenden Gewalttaten“. Im Klartext: Es darf nicht sein, dass deutsche Gerichte einen Angeklagten wegen Terrorismus verurteilen, weil er das Assad-Regime in Syrien bekämpft. (mit dpa)

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