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Angehörige trauern am Tag nach dem Anschlag in Ankara um die Opfer.

© dpa

Terrorattacke in Ankara: Türkei setzt nach Anschlag auf Härte

Die Regierung in Ankara, die von einer Täterschaft der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ausgeht, verstärkte die Angriffe auf die Rebellen. Regierungsgegner werfen den Behörden Versagen vor.

Zwei junge Leute lächeln in die Kamera, voller Optimismus und Lebensfreude. Türkische Zeitungen verbreiteten am Montag ein Foto der Jura-Studentin Zeynep Basak Gülsoy und ihres Freundes Can Calkinsin. Die beiden Erstsemester studierten an verschiedenen Universitäten in Ankara und warteten am Sonntagabend in der Nähe des Kizilay-Platzes in Ankara gemeinsam auf den Bus nach Hause. Das Paar starb durch die Autobombe einer mutmaßlichen kurdischen Extremistin, die insgesamt 37 Menschen tötete.

Am Morgen nach der Gewalttat versammelten sich die Angehörigen der Todesopfer vor den Krankenhäusern in der Stadt, um die Leichen ihrer Verwandten zur Beerdigung abzuholen: Der Tod traf einen linken Kommunalpolitiker, den Vater eines Fußballstars, ein 16-jähriges Mädchen und seine Mutter. Ein Busfahrer, der verletzt überlebte, berichtete, er habe gespürt, wie das tonnenschwere Fahrzeug von der Wucht der Explosion in die Luft geschleudert wurde.

PKK-Rebellin verübte den Anschlag

Trotz der erneuten Tragödie, dem dritten schweren Anschlag in der Türkei in diesem Jahr und die dritte schwere Bluttat in Ankara seit fünf Monaten, gab es am Montag nur wenige Zeichen für eine gemeinsame Trauer um die Opfer. Die kleine Linkspartei ÖDP erklärte zwar: „Wir alle wurden getroffen, wir alle wurden getötet.“ Doch ansonsten überwogen Ankündigungen von Vergeltung und gegenseitige Vorwürfe von Türken, Kurden, Regierungsgegnern und Regierungsanhängern.

Laut Medienberichten wurde der bombenbeladene BMW, der auf dem Kizilay einen Bus rammte und die Explosion auslöste, von einer 24-jährigen Anhängerin der PKK-Kurdenrebellen und einem noch unbekannten Mann gesteuert. Vier mutmaßliche Komplizen der Täter wurden im südostanatolischen Sanliurfa festgenommen. Von dort soll der Wagen mit der Bombe nach Ankara gefahren worden sein.

Türkische Luftwaffe bombardiert PKK-Stellungen

Als Antwort auf den mutmaßlichen PKK-Anschlag bombardierte die türkische Luftwaffe am Montag Stellungen der Rebellen im Nordirak, wo die PKK ihr Hauptquartier unterhält. Im Februar hatte sich die der PKK nahestehende Gruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) zu einem Anschlag mit 28 Toten bekannt, dessen Ablauf starke Ähnlichkeiten mit dem Anschlag vom Sonntag aufwies. Laut der Zeitung „Hürriyet“ gehen die Behörden davon aus, dass auch der neue Anschlag auf das Konto der TAK geht.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte noch am Sonntagabend angekündigt, der Staat werde „den Terror in die Knie zwingen“. Eine weitere Verstärkung des Drucks auf die PKK und deren angebliche oder tatsächliche Helfer ist derzeit Erdogans einzige Option. Denn eine Rückkehr zum Friedensprozess mit den Kurden, der im vorigen Sommer abgebrochen wurde, kommt für den Präsidenten nicht in Frage. Nach dem Willen der Regierung soll das Parlament bald die Immunität kurdischer Abgeordneter aufheben, um sie vor Gericht zu stellen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte noch am Sonntagabend angekündigt, der Staat werde „den Terror in die Knie zwingen“.
Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte noch am Sonntagabend angekündigt, der Staat werde „den Terror in die Knie zwingen“.

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Laut Medienberichten gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass weitere potenzielle Selbstmordattentäter im Land unterwegs sind. Eine Weile müsse sich die Türkei wohl an den Terror gewöhnen, sagte der bekannte regierungsnahe Journalist Abdulkadir Selvi im Fernsehen. Ähnlich äußerte sich der Präsident des türkischen Berufungsgerichtshofes, Ismail Rüstü Cirit.

Regierungsgegner sprechen von "Bankrotterklärung der Politik"

Regierungsgegner sehen in solchen Äußerungen die Bankrotterklärung einer Politik, die das Land in die Gewaltspirale geführt hat. Die Regierung treibe die Polarisierung der Gesellschaft voran; zudem habe Erdogan die PKK zu neuen Anschlägen provoziert, weil er sich davon mehr Unterstützung für seinen Plan für die Einführung eines Präsidialsystems verspreche, kommentierte der regierungskritisch eingestellte Politologe Savas Genc auf Twitter. Das Ergebnis seien eine „Pakistanisierung“ und eine „Syrienisierung“ der Türkei. 

Nicht nur die Regierung steht in der Kritik. Die legale Kurdenpartei HDP verurteilte zwar den neuen Anschlag. Doch seit eine HDP-Politikern nach dem letzten Anschlag vom Februar der Familie des kurdischen Selbstmordattentäters einen Beileidsbesuch abstattete, hat die Kurdenpartei ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Manche Beobachter vermissen einen Aufstand der Normalbürger in beiden Lagern. So wie manche Kurden von der Basis der Erdogan-Partei AKP ein Aufbegehren gegen den Präsidenten erwarteten, müssten sich gemäßigte Kurdenpolitiker fragen lassen, wann sie gegen die PKK aufstehen, kommentierte der Journalist Levent Gültekin.

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