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Nach den Hinrichtungen in Saudi-Arabien ist der Protest groß. Hier demonstrieren Shiiten im Irak und verbrennen ein Bild des saudischen Königs Salman.

© REUTERS/Ahmed al-Husseini

Terrorbekämpfung: Der Westen ist auf Saudi-Arabien angewiesen

Die Hinrichtungen in Saudi-Arabien verdeutlichen die Zweischneidigkeit der Beziehungen mit einem schwierigen, aber wichtigen Partner. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Guido Steinberg

Mit der Hinrichtung von 47 Terroristen und Oppositionellen erregte das Königreich Saudi-Arabien wieder einmal internationale Aufmerksamkeit. Dabei war das Ziel der Aktion vor allem innenpolitischer Natur, denn die meisten Hingerichteten waren Angehörige der Al Qaida, die das Land 2003-2006 mit einer beispiellosen Terrorkampagne überzogen hatte. Die Herrscherfamilie wollte verdeutlichen, dass sie vor dem Hintergrund mehrerer Anschläge der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Königreich entschlossen gegen alle Dschihadisten vorgeht, die es wagen, sie mit Waffengewalt zu bekämpfen. Dementsprechend konzentrierten sich die saudi-arabischen Medien in ihrer Berichterstattung über die Hingerichteten denn auch auf Shaikh Faris az-Zahrani, einen religiösen Vordenker der saudi-arabischen Al Qaida, den die Regierung als einen Hauptverantwortlichen für die Ereignisse vor rund einem Jahrzehnt sieht. Dass auch vier Schiiten hingerichtet worden sind, dürfte vor allem dem Wunsch des Regimes geschuldet sein, der eigenen konservativen Machtbasis – die häufig Sympathien für die Dschihadisten hegt – entgegenzukommen und zu verdeutlichen, dass die Grundregeln der Politik im Land bestehen bleiben: So sehen die konservativen Wahabiten in den ihnen verhassten Schiiten die viel größere Bedrohung und fordern eine unnachgiebigere Unterdrückung der Minderheit.

Der Westen ist auf Saudi-Arabien angewiesen

Die Hinrichtungen zeigen einmal mehr, dass Deutschland es bei Saudi-Arabien mit einem sehr schwierigen Partner zu tun hat. Einerseits ist das Königreich ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Gruppierungen wie Al Qaida und den IS, andererseits ruft es durch die eigene Politik immer wieder den Widerstand sunnitischer und schiitischer militanter Gruppen hervor und trägt mit der Förderung des Wahabismus zur Entstehung und Verbreitung dschihadistischer Gruppierungen bei.

Saudi-Arabien ist eines der wichtigsten Herkunftsländer islamistischer Terroristen. Das zeigt sich schon an der großen Zahl von mehreren Tausend Syrien-Kämpfern, die das größte Kontingent ausländischer Freiwilliger stellen, von denen die meisten sich seit 2013 dem IS angeschlossen haben. Saudi-arabische Dschihadisten bildeten schon in den 1990er Jahren die dynamischste Teilgruppe im internationalen Terrorismus, doch reagierte die Herrscherfamilie erst, als Al Qaida im Mai 2003 begann, in Saudi-Arabien Anschläge zu verüben. Mit Hilfe der USA gelang es dem Königreich, die eigenen Sicherheitsbehörden so zu stärken, dass die örtliche Al Qaida schon 2006 vollständig zerschlagen war. Zum Architekten der saudi-arabischen Terrorismusbekämpfung wurde der damalige stellvertretende Innenminister Muhammad b. Naif Al Saud, der seit 2012 Innenminister und seit 2015 auch Kronprinz ist. Die saudi-arabischen Sicherheitsbehörden arbeiten seit 2003 intensiv und meist vertrauensvoll mit ihren Partnern in den USA und Europa zusammen und haben zumindest einmal maßgeblich dazu beigetragen, Anschläge im Westen zu verhindern. Da die Dschihadisten international immer besser vernetzt sind, müssen Deutschland und seine Verbündeten auch weiter mit Saudi-Arabien zusammenarbeiten, wenn sie Al Qaida und IS effektiv bekämpfen wollen.

Oppositionelle Gruppen sehen keine andere Möglichkeit als den bewaffneten Kampf

Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit darf nicht verdecken, dass die saudi-arabische Politik mit dazu beiträgt, dass oppositionelle Gruppen keine andere Möglichkeit sehen als den bewaffneten Kampf. Dies zeigt sich im Land selbst vor allem am Beispiel der schiitischen Minderheit, zu der etwa zwei bis drei Millionen Menschen zählen, die mehrheitlich im Osten des Landes leben. Sie unterliegen vielfältigen Diskriminierungen, da die offizielle saudi-arabische Islaminterpretation, der Wahabismus, in den Schiiten keine Muslime, sondern Ungläubige sieht. Dies führte schon in der Vergangenheit immer wieder zu Unruhen, die aber in den Jahren ab 2011 bedrohlicher wurden. Der jetzt hingerichtete Prediger Nimr an-Nimr war eine wichtige Führungsfigur für schiitische Jugendliche, weil er sich unerschrocken gegen die verhasste Herrscherfamilie stellte und offen ihren Sturz forderte. Sein Tod wird die Verbitterung vieler Schiiten enorm verstärken und vielleicht auch dazu beitragen, dass sich, wie zuletzt in den 1990er Jahren, Gruppen bilden, die das Regime der Familie Saud mit Waffengewalt bekämpfen – mit oder ohne iranische Unterstützung. Gelingt es dem Westen nicht, die saudi-arabische Führung davon zu überzeugen, ihre repressive Politik gegenüber den Schiiten des Landes zu revidieren und auf sie zuzugehen, wird das Königreich langfristig nicht stabil bleiben.

Saudi-Arabien trägt zur Verbreitung des Jihadismus bei

Die Politik gegenüber den Schiiten verweist auch auf das tiefer liegende Problem der saudi-arabischen Politik, das Bündnis zwischen Herrscherfamilie und den wahabitischen Religionsgelehrten. Der saudi-arabische Staat macht eine religiöse Ideologie zur offiziellen Islaminterpretation, die nicht nur vehement antischiitisch argumentiert, sondern auch die weltanschauliche Grundlage für den modernen Salafismus in allen seinen Ausprägungen geworden ist. Die Ideologie von Al Qaida und besonders die des IS ist ganz weitgehend identisch mit der des Wahabismus, und es ist kein Zufall, dass der Quasi-Staat des IS sehr dem frühen Saudi-Arabien im 18. Jahrhundert ähnelt. Ohne den Wahabismus und die Förderung seiner Verbreitung durch den saudi-arabischen Staat wäre die Entstehung des modernen Dschihadismus nicht möglich gewesen. Solange das Königreich also sein Bündnis mit den Wahhabiten nicht aufgibt, bleibt auch seine Terrorismusbekämpfung ein Kampf gegen Symptome, der die Ursachen vernachlässigt.

Dies Einsicht sollte bei aller pragmatischen Zusammenarbeit mit Riad auch die deutsche Politik gegenüber Saudi-Arabien prägen. Wahrscheinlich wird es niemandem gelingen, die saudische Herrscherfamilie davon zu überzeugen, ein Bündnis aufzugeben, das ihr Überleben über bald drei Jahrhunderte gesichert hat. Dies sollte Deutschland aber nicht daran hindern, dieses Problem ob seiner Dringlichkeit immer wieder offen anzusprechen, die Gleichberechtigung der Schiiten zu fordern und dem Export von wahabitischem Gedankengut entgegenzutreten. Jegliche religiöse und religionspolitische Einflussnahme Saudi-Arabiens in Europa muss unterbunden werden. Dazu gehört die Finanzierung von Moscheen und Kulturzentren ebenso wie die Entsendung von Predigern und die Vergabe von Stipendien für europäische Staatsbürger für die Islamischen Universitäten im Königreich. Hier könnte eine entschlossene deutsche Politik tatsächlich Änderungen bewirken.

Guido Steinberg forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu Terrorismus und Saudi-Arabien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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