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© dpa

Terrorbekämpfung: Top-Secret-Akte im Zug vergessen

Großbritanniens Premier Brown will sein umstrittenes Antiterrorgesetz feiern – und erlebt eine neue Pleite.

Der britische Premierminister Gordon Brown kann seinen Abstimmungssieg vom Mittwochabend nicht richtig auskosten. Eigentlich wollte er am Donnerstag auf einer Pressekonferenz die Lorbeeren für seine prinzipientreue Haltung im Kampf gegen den Terrorismus einheimsen. Zuvor war im Parlament das Gesetz über die Heraufsetzung der Dauer der U-Haft für Terrorverdächtige von 28 auf 42 Tage mit 315 gegen 306 Stimmen angenommen worden. In Großbritannien waren bei Terroranschlägen auf die U-Bahn und einen Bus im Juli 2005 mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen.

Am Tag nach der Abstimmung im Unterhaus musste Brown erst einmal etwas Peinliches zugeben: Am selben Tag, an dem seine Regierung nach Ansicht der Kritiker die britischen Freiheitsrechte aufs Spiel setzte, um den Kampf gegen den Terrorismus zu führen, ließ ein hoher Beamter ein Dossier über die Extremistenorganisation Al Qaida in einem Zug liegen, das mit „Top Secret UK“ überschrieben war. Ein Unbekannter fand den orangefarbenen Umschlag im Pendlerzug von London Waterloo und leitete ihn der BBC zu. „Die Polizei überprüft jetzt, ob noch jemand die Dokumente sah“, sagte Brown. Laut BBC enthielt das Dokument eine Zusammenfassung des derzeitigen Wissensstandes über das Al-Qaida-Netzwerk.

Danach folgte die eigentliche Sensation: Der Schatteninnenminister der oppositionellen Konservativen, David Davis, legte am Donnerstag sein Parlamentsmandat nieder – und zwar live in der BBC zur Mittagsstunde. Davis gilt als führender Gegner des Antiterrorgesetzes, das am Mittwochabend vom Unterhaus gebilligt worden war. Er will eine Nachwahl provozieren, deren einziges Thema die Aushöhlung der Grundrechte und die wachsende „Aufdringlichkeit des Staates“ unter der Labour-Regierung sein soll.

Die Kamikazestrategie des Tory-Politikers Davis ist ohne Beispiel. Der zweite Mann in der Mannschaft des Oppositionsführers David Cameron will in seinem eigenen Wahlkreis erneut antreten. Möglicherweise werde er verlieren, sagte er, „aber wenigstens werden meine Wähler und die ganze Nation die Chance haben, die fundamentalste Frage unserer Zeit zu debattieren und abzuwägen“. Davis’ Strategie ist umso wirksamer, als die Liberaldemokraten auf einen eigenen Kandidaten verzichten und den zurückgetretenen Abgeordneten unterstützen werden.

69 Prozent der Briten befürworten laut Umfragen Browns Antiterrorgesetz. Aber Davis holte zu einem umfassenden Angriff auf das Anwachsen der „Datenbank des Staates“ unter Labour aus, die Zunahme von Überwachungskameras und Bürgerbespitzelung sowie Labours Pläne für das „zudringlichste Personalausweissystem der Welt“.

Brown gewann die Quasi-Vertrauensabstimmung nur mit knappster Mehrheit nach einer Reihe parlamentarischer Tauschgeschäfte. 36 Labour-Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz, andere Parteifreunde stimmten nur dafür, um die Regierungskrise abzuwenden.

Der Premier verteidigte sich gegen Vorwürfe, er habe die Abstimmungssieg durch Versprechungen an neun Abgeordnete der kleinen Unionisten-Partei DUP erkauft, die den Ausschlag gaben. Es habe keine Deals gegeben, betonte Brown. „Ich bedauere, dass die anderen Parteien nicht die Notwendigkeit einsehen, gegen Terrorismus zu handeln“.

Doch Kritiker bezeichneten die Ausweitung der Haftdauer vor Anklageerhebung auf 42 Tage als „ineffizienten Autoritarismus“. Das Gesetz zerstöre britische Grundrechte, sei aber wegen der komplizierten Klauseln undurchführbar. Ein Labour-Mitglied des Oberhauses, Baronin Helena Kennedy, prophezeite unmittelbar nach der Abstimmung, dass das Oberhaus das Gesetz ablehnen wird.

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