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Terrorgefahr in Deutschland: Die innere Sicherheit des Thomas de Maizière

Als Thomas de Maizière vor wenigen Tagen mit einer Terrorwarnung an die Öffentlichkeit geht, da entfaltet diese Botschaft eine besondere Wucht. Wenn so einer warnt, dann muss es ernst sein.

Von Antje Sirleschtov

Es ist Dienstagmittag, und Thomas de Maizière ist zufrieden. Alles in allem jedenfalls. Gerade hat er noch eine Rede seines Kabinettskollegen Wolfgang Schäuble im Bundestag angehört, gleich will er an seinen Schreibtisch zurück. Normalität leben, hat er den Leuten seit Tagen immer wieder empfohlen, trotz Terrorgefahr. Auch für ihn, den Bundesinnenminister und obersten Sicherheitshüter der Nation, soll das im Prinzip gelten. Gleich jedenfalls. Vorher jedoch noch eine rasche Rückversicherung: Wie sieht’s aus? Keine besonderen Vorkommnisse, melden die Sicherheitsbehörden. Keine Anzeichen von Hysterie in der Bevölkerung, kein Gegrummel in der Polizei. Ja, nicht einmal die Opposition ist auf den Barrikaden. „Besonnen“, nennt sogar Linken-Fraktionschef Gregor Gysi den Bundesinnenminister.

Der so Gelobte nickt und bestellt Milchkaffee. 16 Stunden Dauereinsatz pro Tag, das hält auch ein Politikprofi wie er nicht sehr lange durch. Müde sieht er aus, aber auch erleichtert. Sonntagnacht mit Terrorexperten bei Anne Will, Montagnacht mit anderen Terrorexperten bei „Beckmann“. Dort ist ihm dann irgendwann kurz vor Mitternacht der Kragen geplatzt. Na ja, ein bisschen jedenfalls. Als einer der Experten von islamistischen Schläferzellen sprach, die es hierzulande gebe und auf deren Aufwachen man die Bevölkerung vorbereiten müsse, ohne Ängste zu schüren. Als ob das so einfach wäre, hat sich de Maizière gedacht und ihn angeblafft, es wäre schön, wenn auch er selbst endlich aufhören würde, Ängste zu schüren.

Seit vergangenem Mittwoch gibt es wohl kaum jemanden im Land, der das Gesicht des Innenministers nicht kennt. Mittwoch war der Tag, an dem Thomas de Maizière vor die Kameras trat und den Deutschen mitteilte, dass der Terror nun auch vor ihrer Haustür angekommen sei. Schwer bewaffnete Polizei, sagte er, werde von nun an auf Bahnhöfen, Flughäfen und in den Innenstädten patrouillieren. Man habe „ernst zu nehmende“ Hinweise auf bevorstehende Terroranschläge. Womöglich, wahrscheinlich, passiere etwas sogar noch in diesem Monat. Es war der Tag, an dem sich Thomas de Maizière an 80 Millionen Menschen wandte und ihnen mit ernster Stimme offenbarte, es sei nun die Zeit „für Sorgen und Wachsamkeit“. Bis zu diesem Tag kannten die Deutschen Selbstmordattentäter vor allem aus dem Fernsehen, galt islamistischer Terror als eine diffuse Sache ohne wirkliche Alltagsrelevanz.

Jetzt plötzlich hat der Kampf gegen den Terror ein Gesicht. Und zwar das von Thomas de Maizière, 56 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, Politiker seit Anfang der neunziger Jahre. Ein Mann aus dem Westen, der sich wie selbstverständlich einen Sachsen nennt. Der seit elf Jahren in Dresden wohnt, der über die Stadt sagt, in ihr habe er zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie ein Heimatgefühl. Lateiner, Bürgerlicher im besten Sinn des Wortes, preußisches Ethos zum Dienst an seinem Land. Kein brillanter Rhetoriker, kein Könnte-Möchte-Gern-Kanzler.

Lange hat er mit sich gerungen: Was sind die richtigen Worte?

De Maizière ist einer, der um sich selbst am liebsten überhaupt kein Aufheben macht. Worin ein Paradox und gleichzeitig die Antwort auf die wohl wichtigste Frage dieser Tage zu liegen scheint. Ein Paradox, weil sich die meisten von de Maizières Vorgängern im Innenminister-Amt als „scharfe Hunde“ gesehen haben und nur allzu gern lautstark Bedrohungsszenarien zur allgemeinen Erschauerung öffentlich entwarfen. Jeder sollte sehen und hören können, wie sicher die innere Sicherheit in ihrer Hand war. Im Ernstfall indes hätte womöglich keiner mehr zugehört.

Nun allerdings, da ausgerechnet der Leise, der Zurückgenommene, der gelassene Thomas de Maizière mit einer solch deutlichen Warnung an die Öffentlichkeit geht, da entfaltet die Botschaft eine doppelte Wucht, haben plötzlich alle ein besonders mulmiges Gefühl. Wenn so einer Alarm schlägt, dann muss schon mehr als nur Rauch in der Hütte sein.

Was passieren wird, wenn ausgerechnet er mit einer Terrorbotschaft an die Öffentlichkeit geht, de Maizière hat es früh geahnt. Und lange mit sich gerungen. Würde er die richtigen Worte finden, würde er Panik in der Bevölkerung verhindern können? So kurz vor Weihnachten, wenn alle Welt auf die bunten Märkte mit den rotbemützten Bartmännern strömt?

Spätestens, als sich vor drei Wochen im Frachtraum einer Passagiermaschine Paketbomben, aus dem Jemen kommend, über Deutschland in Richtung England auf den Weg machten, war dem Minister klar, dass aus der bisher abstrakten Terrorgefahr in Deutschland eine konkrete geworden ist. Warnungen vor Anschlägen gibt es im Kreis der internationalen Sicherheitsbehörden immer und zuhauf. Selten erweisen sie sich als glaubwürdig. Doch in diesem Fall hatten arabische Geheimdienste +richte einer Quelle weitergegeben, die man ernster nehmen musste. Irgendetwas mit Flugzeugen sollte passieren, lautete die Nachricht. Dann kam die Sendung aus dem Jemen. Und plötzlich war klar: Das Risiko wächst, es muss gehandelt werden.

Tagelang ließ sich de Maizière persönlich oder am Telefon unterrichten. Noch in der Nacht zu jenem Mittwoch vergangener Woche tagte das Lagezentrum im Berliner Innenministerium, stellte der Minister denselben Leuten immer wieder dieselben Fragen: Wie glaubwürdig sind die Quellen, wie groß die Wahrscheinlichkeit, dass sich alles in Nichts auflösen und sich die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen vermeiden lassen wird? Die letzte Entscheidung hat de Maizière dann ganz allein getroffen. Er sei der verantwortliche Bundesminister, wird er später über die Stunden in jener Nacht sagen. Und dass er die Verantwortung zu tragen habe. Allein. Die menschliche gegenüber der Öffentlichkeit genauso wie die politische gegenüber der Kanzlerin.

Die beiden, de Maizière und Angela Merkel, kennen sich seit gut 20 Jahren. Sie war seinerzeit Pressesprecherin von Lothar de Maizière, dem letzten DDR-Regierungschef und Cousin des heutigen Innenministers. Er gehörte in den Neunzigern nicht nur zu jenen Westimporten der Politik, die die Strukturen des demokratischen Staates im Osten aufzubauen halfen. De Maizière war es auch, der die politische Newcomerin Merkel in der CDU und im politischen Bonner Geschäft mit manch gutem Rat versorgt hat. Weshalb es 2005 auch keineswegs ein Zufall war, dass Merkel ausgerechnet ihn zum Kanzleramtschef und damit zum engsten politischen Berater ihrer ersten Kanzlerschaft gemacht hat. Eine Vertrauenssache, durch und durch.

Er spricht vor der Fraktion. Auf einmal ist es ganz still

Bis heute schätzt Merkel de Maizières Besonnenheit. Und seine Art, Politik als Lösung von Sachfragen und weniger als Inszenierung zu betreiben. Bei ihm muss sie sich keine Sorgen machen. Kein unbedachtes spätrömisches Dekadenztheater, kein Kleinkrieg um Steuersenkungen oder Gesundheitsreformen, keine medialen Festspiele eines bayerischen Jungstars. Und auch kein banger Blick auf die angeschlagene Gesundheit wie beim Bundesfinanzminister. De Maizière wird zur Stelle sein. Wie er es war, wann immer Merkel ihn in den letzten Jahren gebraucht hat.

Mal als leiser Unterhändler. Noch heute loben die Sozialdemokraten de Maizière für seine Arbeit als Kanzleramtschef in den Zeiten der großen Koalition und in den heißesten Chaostagen der Finanzkrise 2008. Geräuschlos hat er manche Regierungspanne ausgebügelt und nicht selten Krach in der Koalition schon begrenzt, bevor die Fetzen flogen.

Mal als Feuerwehrmann. Wie im letzten Frühjahr, als es darum ging, in einer Sonntagnacht in Brüssel wichtigste Entscheidungen zur Rettung der europäischen Währung zu treffen und Wolfgang Schäuble von einer Minute auf die andere ins Krankenhaus gebracht werden musste. Da hing nicht nur der Euro, da hing die Zukunft des Landes für einen Moment am seidenen Faden. Und Merkel musste einen nach Brüssel schicken, auf den 100 Prozent Verlass ist. Die Wahl fiel auf de Maizière.

Trotzdem waren die letzten Tage – und sie sind es noch immer – kein politischer Spaziergang für den Innenminister. Und zwar gerade weil der so ruhig und gelassen auf seine Umwelt wirkt. Auch jetzt noch, wo die Bedrohungslage bei vielen Politikern geradezu reflexhaft zu Aktionismus führt. Besonders in der Union, wo man sich traditionell als Bewahrer von Ordnung und Sicherheit im Staate fühlt. Ängstlich beäugte mancher in der CDU die öffentlichen Auftritte des Innenministers in den vergangenen Tagen. Wird er ausreichend Vertrauen verbreiten und das Gefühl von Sicherheit? Oder muss sich Schwarz-Gelb zu allem Überfluss kurz vor Weihnachten von Opposition und Medien auch noch als Sicherheitsrisiko beschimpfen lassen?

Eine Gratwanderung, die hatte de Maizière auf sich zukommen sehen, als er vor einer Woche vor die Kameras trat. Er wusste, dass er nur wenige konkrete Fragen nach Art und Umfang der Terrorwarnungen würde beantworten können, ohne die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden oder gar das Leben von Informanten zu gefährden. Er befürchtete, dass dieses Missverhältnis – Polizei mit Maschinengewehren einerseits und eher diffuse Antworten auf die Fragen nach dem Wann und Wo andererseits – dass ihm dies als Informationschaos ausgelegt werden und dann erst recht dazu führen könnte, dass sich die Menschen unsicher und verängstigt fühlen. Am Montagnachmittag hat er kurz in der Unionsfraktion hereingeschaut. Mucksmäuschenstill war es, als de Maizière sprach. Nur ein paar Worte. Dann war klar: Es ist fürs Erste geschafft.

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