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Terrormiliz "Islamischer Staat": Der Islam gehört zu Deutschland - in allen Facetten

Am morgigen Mittwoch, unmittelbar vor dem Jahrestag von „Nine-Eleven“, wird Barack Obama seine Strategie gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" verkünden. Deutschland steht an seiner Seite. Es wird ein langer Kampf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

So schnell kann’s gehen. Vor zehn Tagen gab Barack Obama zu, keinen Plan für den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu haben. Das brachte ihm viel Spott ein. An diesem Mittwoch, unmittelbar vor dem Jahrestag von „Nine-Eleven“, will er seine Strategie verkünden. Beim Nato-Gipfel in Wales hatte er eine Allianz der Willigen geschmiedet, zu der auch Deutschland gehört und die nun gemeinsam gegen die Dschihadisten vorgehen will. Jeder nach seinen Fähigkeiten. Mehrere Maßnahmen sieht der Plan vor: Luftangriffe, Zurückdrängen der radikalen Miliz nach Syrien, Stabilisierung des Iraks, Bewaffnung der kurdischen Peschmerga, Einfrieren von Geldtransfers, Boykott von Ölverkäufen, humanitäre Hilfe. Ob das reicht, ob es überhaupt wirkt und wie lange es dauern soll – das weiß keiner.

Es kann auch keiner wissen. Dafür ist die Zahl der Unwägbarkeiten zu groß. Doch eine realistische Alternative zu Obamas Plan gibt es nicht. Der IS kontrolliert einige syrische Regionen und weite Teile des Nordiraks, das Vordringen der Islamisten wird begleitet von Vertreibungen, Massakern und öffentlich inszenierten Enthauptungen. Diese Dynamik hin zu einem sich stetig ausbreitenden, grenzüberschreitenden Kalifat muss gebrochen werden. Weil die Anrainer und die Staaten der Golfregion zu schwach, zu unwillig und/oder zu involviert sind, muss die Drecksarbeit von Mitgliedsländern des westlichen Verteidigungsbündnisses (plus Australien) verrichtet werden.

Die Rechnung sollte Ländern wie Kuwait, Katar und Saudi-Arabien präsentiert werden

Das ist bitter, und zumindest ein Teil der Rechnung dafür sollte Ländern wie Kuwait, Katar und Saudi-Arabien präsentiert werden. Offiziell distanzieren sie sich zwar vom Terrorismus, doch beheimaten – und finanzieren – sie weiterhin die ideologischen Brutstätten des militanten sunnitischen Salafismus. Außerdem stammt aus ihrer Mitte das Gros der ausländischen Dschihadisten, die sich der IS-Miliz angeschlossen haben.

Einige Hundert davon kommen auch aus Deutschland. Viele von ihnen sind sogenannte Eigengewächse, haben die deutsche Staatsangehörigkeit, einige sind konvertiert. Leider ist über den Prozess ihrer Radikalisierung noch zu wenig bekannt. Eine zentrale Rolle scheinen populäre Prediger sowie das Internet zu spielen. Ab einem bestimmten Punkt in ihrer Entwicklung sind die jungen Muslime immun gegen Einflüsse von außerhalb der islamistischen Gehirnwaschanlage, unerreichbar fürs zivilisatorische Korrektiv.

Der deutsche Staat sieht sich von dieser Gefahr doppelt herausgefordert. Er muss zum einen die Überwachung der Dschihadisten, auch durch Geheimdienste, verbessern, Aus- und Einreisekontrollen verschärfen, eventuell Pässe einziehen, jede Unterstützung des IS unter Strafe stellen. Zum anderen aber darf er den hier lebenden Muslimen keinen Anlass geben, sich verfolgt zu fühlen. Er muss ihnen volle Religionsfreiheit gewähren, mit Nachdruck ermitteln, wenn Moscheen brennen, protestieren, wenn Minarettbauten verhindert werden sollen, kurzum: sich dem Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff anschließen, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehört. Nur in dieser Doppelung – Härte gegenüber den gewaltbereiten Feinden der Demokratie, umfassende Solidarität mit gewaltlosen gläubigen Muslimen – kann der Kampf gegen den Dschihadismus Erfolg haben.

Ob Syrien und der Irak in den bestehenden Grenzen erhalten bleiben, ist fraglich

Für die Region indes, wo sich die Probleme mit dem religiösen Fanatismus potenzieren, gibt es vorerst nur ein Nahziel: den Vormarsch der IS-Miliz stoppen, ihre Ressourcen kappen, die umliegenden Staaten stabilisieren. Ob Syrien und der Irak in den bestehenden staatlichen Grenzen erhalten bleiben, ist dennoch fraglich. Wahrscheinlicher ist eine Aufsplitterung der beiden Länder zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten in ethnisch-religiöse Einflusszonen. Vor fast genau hundert Jahren, im Mai 1916, teilten die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien den Nahen Osten im Sykes-Picot-Abkommen unter sich auf. Der IS akzeptiert die mit dem Lineal gezogenen Grenzen nicht. Gut möglich, dass der Westen in diesem Punkt einmal neu denken muss. Dann nämlich, wenn es heißt: neue Grenzen und Waffenruhe oder weiteres, endloses Blutvergießen?

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