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Ein Mahnmal in Erinnerung an die Opfer der NSU-Terrorzelle in Nürnberg.

© dpa/Daniel Karmann

Terrorzelle NSU: Der lange Schatten des mörderischen Treibens

Vor vier Jahren flog die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" auf. Ans Licht kam eine Serie abscheulicher Verbrechen. Und es offenbarte sich Behördenversagen von erschreckendem Ausmaß.

Von Frank Jansen

Der Schock hallt lange nach. Vor vier Jahren, am 4. November 2011, flog die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ auf. In Eisenach brannte ein Wohnmobil, in dem die Leichen der NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt lagen. In Zwickau flog ein halbes Haus weg, das mutmaßlich Beate Zschäpe mit reichlich Benzin angezündet hatte.

Der mörderische Spuk hatte ein Ende - doch auch vier Jahre danach sind viele beunruhigende Fragen offen. Obwohl die Aufklärung der Verbrechen des NSU – zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle -  und der Versäumnisse in Politik und  Sicherheitsbehörden in einem Ausmaß betrieben wird, das in der Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands einmalig ist.

Untersuchungsausschüsse in Bundestag und Parlamenten von sechs Ländern, dazu Enquete- und Expertenkommissionen, ein gigantischer Prozess am Oberlandesgericht München und ein parallel weiterlaufendes Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft zeugen von der historischen Dimension des Schreckens, der Deutschland vor vier Jahren getroffen hat. Und der weiter rumort.

In diesem qualmenden Wohnmobil im thüringischen Eisenach wurden am 4. November 2011 die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden.
In diesem qualmenden Wohnmobil im thüringischen Eisenach wurden am 4. November 2011 die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden.

© Carolin Lemuth/dpa

In wenigen Tagen will der Bundestag einen zweiten NSU-Untersuchungsauschuss installieren. Obwohl der erste, der im Januar 2012 eingesetzt wurde und im August 2013 seinen mehr als 1300-seitigen Abschlussbericht vorlegte, bereits zahlreiche Fehler von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz analysiert und vielfältige Empfehlungen abgegeben hatte. Doch in allen Fraktionen überwiegt die Meinung: Das reicht nicht.

Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, designierter Obmann der Union im neuen Untersuchungsausschuss des Bundestages, hat kürzlich dem Tagesspiegel zentrale Fragen benannt. Haben die V-Leute von Polizei und Verfassungsschutz nicht doch so viel  über die Terrorzelle gewusst, dass sie frühzeitig hätte gestoppt werden können - anstatt fast 14 Jahre von Chemnitz und Zwickau aus unbehelligt zu agieren? Haben Mundlos und Böhnhardt im April 2007 in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter „nur" als eine Symbolfigur des verhassten Staates getötet? Oder kannten die Terroristen die ebenfalls aus Thüringen stammende Beamtin und brachten sie gezielt um? Und gab es Pannen bei den Ermittlungen nach dem Showdown des NSU am 4. November 2011 in Eisenach, wo Mundlos und Böhnhardt ihr gemietetes Wohnmobil angezündet hatten und sich dann erschossen?

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt bislang beharrlich

Das sind nicht die einzigen Fragen, und sie wurden auch schon öfter gestellt. In Untersuchungsausschüssen und in fast schon quälender Intensität im Prozess am Oberlandesgericht München. Dort versucht seit zweieinhalb Jahren der 6. Strafsenat unter Vorsitz des energisch-akribischen Manfred Götzl, die Frage nach der Schuld der fünf Angeklagten zu klären. Die meisten von ihnen tragen dazu wenig bei. Beate Zschäpe, der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und André E. schweigen  bislang. Holger G. hat am 7. Verhandlungstag ein schriftlich vorformuliertes Geständnis verlesen und seitdem nichts mehr gesagt. Nur Carsten S. packte umfassend aus, auch in der Startphase des Prozesses, und beantwortet weiterhin Fragen.

Der Szene-Aussteiger hat sich und Wohlleben schwer belastet. Carsten S. berichtete, wie er im Frühjahr 2000 die Mordwaffe Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz brachte. Und wie Wohlleben bei der Beschaffung der Pistole mitgewirkt haben soll. Mit der Waffe erschossen Mundlos und Böhnhardt  neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Götzl und seine Kollegen im Strafsenat sowie der Bundesgerichtshof halten das Geständnis von Carsten S. für glaubwürdig. Die Richter in München und Karlsruhe lehnten die Anträge der Verteidiger Wohllebens, ihren Mandanten aus der Untersuchungshaft zu entlassen, ab.

Nicht alle Waffen, die im Besitz des NSU waren, wurden bislang gefunden

Doch das Thema Ceska 83 ist auch beispielhaft für die vielen blinden Flecken im NSU-Komplex. Bis heute ist die Lieferkette der Pistole, vom Schweizer Besitzer Hans-Ulrich M. über diverse Mittelsmänner bis zu Carsten S. in Jena, nicht vollständig geklärt. Das ist allerdings immer noch mehr als bei anderen Waffen des NSU. Über die Herkunft von drei weiteren Pistolen, die Mundlos und Böhnhardt bei Mordanschlägen einsetzten, ist fast nichts bekannt. Und das gilt für das Gros der 20 Waffen, die im verkohlten Wohnmobil in Eisenach und im Brandschutt in Zwickau lagen. Außerdem gibt es Hinweise auf weiteres Schießgerät der Terrorzelle. Wo es liegt, wer es hat, wissen die Sicherheitsbehörden bis heute nicht.

Womöglich ist aber die Hoffnung nicht ganz unberechtigt, auf einige der großen Fragen könnten doch noch Antworten kommen. Von Beate Zschäpe. Soviel wie sie weiß vermutlich niemand. Sie verschwand am 26. Januar 1998 mit Mundlos und Böhnhardt aus Jena, sie verbrachte die Jahre im Untergrund vermutlich meist an der Seite der beiden Mörder, und sie stellte sich am 8. November 2011 in Jena der Polizei. Zschäpe hat mehrmals angedeutet, eine Aussage zu erwägen. Viel Zeit hat sie nicht mehr, der Prozess nähert sich der Endphase. Die kommenden Wochen könnten spannend werden.    

Die Chronik des NSU-Prozesses finden Sie hier.

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