zum Hauptinhalt
Der syrische Oppositionelle Amr Al-Azm bei der Vorstellung des Programms in Berlin.

© dapd

"The Day After Project" in Berlin: Syriens Opposition plant für die Zeit nach Assad

Das Projekt heißt „The Day After Project“ - und es entwirft ein Bild des künftigen Syrien. Die Opposition konkretisiert darin ihre Pläne für die Zeit nach Assad, am Dienstag wurde das Papier in Berlin vorgestellt. Wie realistisch sind die Vorhaben?

Mit brutaler Härte gegenüber Opposition und Zivilbevölkerung versucht der syrische Präsident Baschar al Assad, seine Macht zu retten. Derweil entwirft die Opposition bereits Pläne für die Zeit nach dem Sturz des Diktators. In Berlin stellte eine Gruppe am Dienstag ihre Vorstellungen dazu vor.

Wie ist die Initiative entstanden?

Schon im Sommer 2011 war vielen syrischen Oppositionellen klar, dass es keine Zukunft für das Assad-Regime geben könne. Zu brutal und unerbittlich ging es gegen die eigene Bevölkerung vor. Eine Gruppe begann darüber nachzudenken, wie der Übergangsprozess aussehen könnte. Entstanden ist daraus „The Day After Project“ (TDA). Etwa 45 Syrer aus dem In- und Ausland haben sich seit Januar 2012 sechs Mal zu mehrtägigen Diskussionen in sechs Arbeitsgruppen in Berlin getroffen, um Vorschläge auszuarbeiten, wie der Übergang nach dem Sturz des Regimes organisiert werden kann. Darunter sind Vertreter des Syrian National Council, dem Bündnis der Auslandsopposition, aber auch der Lokalen Koordinationskomitees LCC), der Kurden, der Muslimbrüder und unabhängige Vertreter der Opposition. Damit ist die Gruppe relativ repräsentativ für die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen in Syrien – nur Vertreter des Regimes fehlen.

Bildergalerie: Tage der Entscheidung in Syrien

Wie und von wem wurde sie unterstützt?

Die Treffen fanden unter relativer Geheimhaltung in den Räumen der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin statt. Finanziert wurde das Projekt hauptsächlich vom US-Außenministerium sowie einer Schweizer und einer norwegischen Nichtregierungsorganisation. Einen eher symbolischen Beitrag leistete die Schweizer Regierung, was aber für einige Syrer wichtig war, weil sie sich aus Legitimitätsgründen unwohl fühlen mit einer reinen Finanzierung durch das State Department. „Unsere Landsleute im Exil spenden viel Geld, das aber für die dringende humanitäre Hilfe und Unterstützung der Flüchtlinge genutzt wird“, erklärt Afra Jalabi vom Exekutivkomitee. Das deutsche Außenministerium gab kein Geld, ermöglichte aber die Treffen durch massive Hilfe bei der Visavergabe.

Was soll nach dem Sturz Assads geschehen?

Die Gruppe – der Großteil der Mitglieder hat keine politischen Ambitionen in Syrien – listet die Gefahren auf, die beim Übergang zu einem Post-Assad-System lauern. Und sie zeigt praktische Schritte auf, um diesen zu managen. Es ist ausdrücklich keine Vorlage für eine neue Verfassung oder das neue politische System, eher eine Gebrauchsanweisung für den Übergang, die auf 122 Seiten auf Englisch und Arabisch vorliegt. Ein Ziel der Autoren ist es, den Syrern die Angst vor dem, was nach Assad kommt, zu nehmen. „Da das Regime die Syrer mit seiner blinden Brutalität in eine mittelalterliche Denkart zwingen will, haben wir den Fokus auf Übergangsjustiz und Rechtstaatlichkeit gelegt“, erklärt Jalabi.

Doch das Dokument ist auch für die internationale Gemeinschaft gedacht, die immer wieder Zweifel an den Absichten der Opposition und ihren Plänen vorbringt. Einig waren sich alle Mitglieder der Gruppe, dass der zukünftige Staat ein ziviler sein soll, in dem weder das Militär und die Sicherheitskräfte noch die Religion das Sagen haben sollen. Dies unterschreibt ausdrücklich auch das Mitglied des Exekutivkomitees der Muslimbruderschaft, Mulham al Drobi, der an dem Dokument mitgearbeitet hat.

Eine besondere Rolle soll die Türkei spielen

Wie soll die Sicherheit im Falle des Regimesturzes gewährleistet werden?

Für den Übergang soll eine Sicherheitsstruktur auf der Basis der Polizei gebildet werden. Schon heute sollten Armee und Polizei daraufhin durchleuchtet werden, welche Offiziere die neuen Kräfte mit aufbauen können. Sehr deutlich machte Rafif Jouejati, dass nicht alle Mitglieder der Freien Syrischen Armeee (FSA) automatisch übernommen werden können, weil mittlerweile auch in deren Reihen viele Opportunisten zu finden seien. Al Azm verwies darauf, dass Gebiete wie die Region um Idlib, die bereits seit einem Jahr nicht mehr der Kontrolle des syrischen Regimes unterstehe, von der lokalen Gruppe der FSA gesichert werde. „Das funktioniert recht gut und könnte ein Modell sein.“

Bildergalerie: Syrien schießt türkischen Jet ab

Wie ist die Gruppe im Land vernetzt?

An dem Dokument haben auch Vertreter der Opposition in Syrien mitgearbeitet, die zu diesem Zweck nach Berlin gekommen sind. Ihre Namen werden aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Gleichzeitig stehen die Autoren des Dokuments in regelmäßigem Kontakt mit Vertretern der Freien Syrischen Armee.

Was soll mit den Vorschlägen geschehen?

Jetzt komme es darauf an, sagt Amr al Azm am Dienstag in Berlin, dass „möglichst viele Menschen in Syrien die Vorschläge kennen lernen und damit arbeiten können“. Diejenigen, die am TDA-Projekt mitgewirkt haben und ohnehin noch im Land sind, werden versuchen, das Dokument in die Debatte über die Zeit nach Assad einzuspeisen. Die Mitglieder der syrischen Opposition im Ausland werden ihre eigenen Kontakte und Diskussionspartner in Syrien nutzen. Gleichzeitig fließen die Ergebnisse ein in die Pläne internationaler Akteure, etwa der „Kontaktgruppe der Freunde Syriens“ der Arabischen Liga.

Eine besondere Rolle, so al Azm, wird bei der Verbreitung der Vorschläge ein „TDA-Büro“ in der Türkei spielen. Möglicherweise noch im September soll in Istanbul das „Syrian Transition Support Network“ gegründet werden. Dort leben inzwischen viele Syrer, die engste Kontakte ins Heimatland haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false