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Politik: Thierse erwartet Neuwahl-Urteil

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) rechnet damit, dass sich die Karlsruher Richter für Neuwahlen entscheiden - auch wenn die Richter noch uneinig sind. (10.08.2005, 10:00 Uhr)

Berlin - Trotz kontroverser Meinungen unter den Karlsruher Richtern rechnet Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) mit einer Entscheidung zugunsten einer Bundestagsneuwahl. "Es wäre eine große Überraschung, wenn das Bundesverfassungsgericht zu einer anderen Entscheidung käme - nachdem bereits drei andere Verfassungsorgane sich einhellig für diesen Weg zu Neuwahlen ausgesprochen haben", sagte Thierse der "Berliner Zeitung".

Geklagt haben die Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (Grüne). Sie halten es für verfassungswidrig, dass sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) - trotz gesicherter Mehrheit - bei der Vertrauensfrage am 1. Juli gezielt das Vertrauen habe entziehen lassen, um den Weg zu einer vorgezogenen Wahl zu ebnen. Die Bundesregierung wird durch Innenminister Otto Schily (SPD) vertreten.

Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der als Berichterstatter für das Verfahren zuständig ist, hatte bei der Verhandlung am Dienstag erklärt, die Einschätzung von Bundeskanzler Schröder, er habe keine gesicherte Mehrheit mehr, lasse sich vom Zweiten Senat nur schwer überprüfen. Sein Kollege Hans-Joachim Jentsch äußerte sich skeptisch über die Begründung von Bundespräsident Horst Köhler für die Bundestagsauflösung und über eine Neuwahl am 18. September.

Der frühere Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz rechnet mit einer schnellen Entscheidung des Gerichts. "Das Urteil kommt nicht erst Anfang September. Ich rechne damit so um den 20. August", sagte er der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch). Mahrenholz war 1983 Richter am Bundesverfassungsgericht, als schon einmal über die Rechtmäßigkeit einer Parlamentsauflösung prozessiert worden war.

Damals gestatteten die Richter - verbunden mit deutlichen Mahnungen - eine Neuwahl. Mahrenholz sagte, er glaube nicht, dass seine Kollegen in Karlsruhe sich unter Druck gesetzt fühlen. "Dann würden sie ihre verfassungsrechtliche Aufgabe nicht erfüllen. Das wird nicht passieren." Und sollte das Gericht die Neuwahl durch sein Urteil stoppen, "dann haben die Parteien eben Pech".

Die Innenexperten von SPD und FDP, Dieter Wiefelspütz und Max Stadler, forderte unterdessen erneut ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages. "Das Verfahren einer negativ beantworteten Vertrauensfrage ist für viele nicht nachvollziehbar", sagte Wiefelspütz der "Berliner Zeitung". Stadler sagte der Oldenburger "Nordwest-Zeitung" (Mittwoch): "Man sollte in aller Ruhe nach der Bundestagswahl darüber intensiv diskutieren, ob nicht ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments eingeführt werden muss."

Ratlosigkeit zeigte sich unterdessen beim Grünen-Fraktionsvize Christian Ströbele darüber, auf wessen Wunsch die Pressedokumentation für Bundespräsident Köhler über angebliche Gefährder der rot-grünen Koalition erstellt worden ist. Laut einem "Spiegel online"-Bericht wollen es weder das Kanzleramt noch der Bundespräsident gewesen sein.

Als Ströbele als vermeintlicher Koalitions-Gefährder die Akten habe einsehen wollen, sei ihm vom Bundespräsidialamt mitgeteilt worden, "dies ist vielmehr Sache des Urhebers der Dokumentation. Daher bitte ich Sie, sich in dieser Sache an den Chef des Bundeskanzleramtes zu wenden". Doch als Ströbele sich dorthin wandte, habe ihm Regierungssprecher Béla Anda geantwortet: "Ich bitte um Verständnis, dass die Bundesregierung schriftliche Stellungnahmen nebst Presseartikeln, die der Herr Bundespräsident erbeten hat, Dritten nicht zugänglich machen kann." (tso)

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