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Thilo Sarrazin: "Kein Appell an niedere Instinkte"

Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin wehrt sich gegen das seit Wochen andauernde Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen ihn. Er will die Akten schließen lassen.

Berlin - Volksverhetzung ist kein Vorwurf, den man auf sich sitzen lassen möchte – es sei denn, man ist ein überzeugter Neonazi wie etwa Horst Mahler, der deswegen eine jahrelange Haftstrafe verbüßt. Auch wehrt sich der Piusbruder und Gaskammerleugner Bischof Richard Williamson gegen einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung. Und Thilo Sarrazin, der Berliner Ex-Senator und Bundesbankvorstand, will es so weit gar nicht erst kommen lassen. Deshalb verlangt er jetzt von den Berliner Staatsanwälten, rasch seine Ermittlungsakte zu schließen.

Es wäre der zumindest vorläufige Schlusspunkt unter eine Diskussion, die mit einem Interview Sarrazins in der Zeitschrift „Lettre international“ im September entbrannt war. Sarrazin hatte den in Berlin lebenden Türken und Arabern vorgeworfen, sie hätten „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“, große Teile seien weder integrationswillig noch integrationsfähig. Türkische Migranten würden „Kopftuchmädchen produzieren“, statt dass sie sich um die Ausbildung der Kinder sorgten, er nannte ihre Mentalität „aggressiv und atavistisch“ und warf ihnen vor, mit ihren vielen Kindern das Land zu erobern – „wie die Kosovaren das Kosovo“.

Die Reaktionen darauf waren vielfältig. Mancher beklatschte den Mut, politisch Unkorrektes auszusprechen. Andere erkannten gefährliche Demagogie und erstatteten dutzendweise Strafanzeigen. Bundesbankchef Axel Weber legte Sarrazin den Rücktritt nahe, als dieser ablehnte, beschnitt man ihm die Kompetenzen. Sarrazin selbst entschuldigte sich. Zuletzt meldete er sich in einem Leserbrief an die „Zeit“ zu Wort. Darin räumt er ein, im Nachhinein über seine Naivität erstaunt zu sein, aber: „Nachdenklich sollte stimmen, dass ich offenbar ein weitverbreitetes Artikulationsbedürfnis angesprochen habe, das von den Medien und der Politik bisher nicht bedient wurde.“ Er beklagt aber auch die heftigen Attacken gegen ihn, darunter auch das Ermittlungsverfahren, doch „das halte ich aus, weil ich ausreichend in mir selbst ruhe, materiell gesichert bin und keine weiteren Ämter anstrebe.“

Sarrazins Anwältin Anke Müller-Jacobsen hält es für „fernliegend“, in Sarrazins scharfen Worten zu den Migranten eine Straftat zu sehen. Es handele sich um Kritik, nicht um einen Appell an niedere Instinkte. Aus dem gesamten Kontext werde deutlich, dass er sich an die Intellektualität der Leser wende, sie aber nicht zum „Hass aufstacheln“ wolle, wie es der Straftatbestand verlangt. Auch beschimpfe er niemanden oder mache ihn verächtlich, weil es ihm erkennbar um Integrationsprobleme gegangen sei und nicht um einen Angriff auf die Menschenwürde anderer.

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