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Thomas de Maizière, Jahrgang 1954, Sohn des Ex-Generalinspekteurs der Bundeswehr Ulrich de Maizière, ist seit März Verteidigungsminister. Seine Karriere seit 1999: Staatskanzleichef, Finanz-, Justiz- und Innenminister in Sachsen, Kanzleramtschef, Bundesinnenminister.

© Mike Wolff

Thomas de Maizière: "Es gibt keinen Sonderweg mehr"

Verteidigungsminister Thomas de Maizière spricht im Interview über den Libyen-Einsatz und die künftige Rolle Deutschlands in der internationalen Politik - und er weist die Kritik von Altkanzler Helmut Kohl entschieden zurück.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Herr Minister, beneiden Sie angesichts der Bilder aus Tripolis nicht manchmal heimlich Ihre Kollegen in Paris oder London, deren Flugzeuge Gaddafis Macht zerschlagen haben?

Nein. Wir haben uns anders entschieden und beteiligten uns nicht an den Luftschlägen. Ich habe mir deswegen vorgenommen, das Geschehen nicht von außen zu bewerten. Allerdings freue ich mich, dass Libyen nun hoffentlich eine freiheitliche Zukunft ohne Diktator vor sich hat.

Im Juni, als die Nato Probleme mit der Munition bekam, sagten Sie: Wenn man etwas anfängt, muss man auch immer wissen, wie lange man das durchhalten kann. Hat sich diese Kritik durch die Entwicklung in Tripolis erledigt?

Das war eine ganz generelle Bemerkung, die auch für den Irak oder für Afghanistan gilt. Noch mal: Wer nicht dabei ist, sollte nicht besserwisserisch die Auslandseinsätze von Partnern bewerten.

Sie wollen eine mögliche Anfrage nach deutschen Soldaten für eine Stabilisierungstruppe in Libyen konstruktiv prüfen.

Ich habe aber auch gesagt: Ich hoffe, dass eine solche Anfrage nicht nötig ist. Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht. Manche Analytiker im Westen haben ja einen jahrelangen Bürgerkrieg vorhergesagt. Der droht glücklicherweise wohl nicht.

Was könnten Sie dem neuen Libyen denn bieten?

Soweit es um Beratung geht, ist vieles denkbar. Noch immer lagern in Libyen chemische Kampfstoffe. Das macht uns Sorge. Diese Kampfstoffe müssen vernichtet werden und dürfen nicht in falsche Hände kommen. Wir bieten Hilfe gerne an, wenn die Libyer sie wollen. Falsch wäre es aber, wenn wir uns aufdrängen und einmischen würden. Das sollten wir in jedem Fall vermeiden.

Warum betonen Sie das Gebot der Zurückhaltung so stark?

Ich denke dabei auch an meine Erfahrungen aus dem deutschen Einigungsprozess. Viel Hilfe aus westlichen Bundesländern war damals gut und nötig. Manche Helfer traten da allerdings wie Kolonialherren auf. Das provoziert bloß Widerstand und Ablehnung. Und zwischen dem Westen und der arabischen Welt ist die Gefahr von Missverständnissen noch viel größer als damals zwischen Ost- und Westdeutschen. Natürlich war der Einsatz der Nato wesentlich für den Erfolg der Rebellen. Aber niemand in einer westlichen Hauptstadt weiß heute wirklich, was am besten für Libyen ist. Wer seine Hilfe aufdrängt, schürt doch bei den Libyern den Verdacht, es gehe ihm in Wirklichkeit um ökonomische Interessen.

Außenminister Westerwelle ist deutlich skeptischer, was einen deutschen Beitrag zu einer Stabilisierungsmission in Libyen angeht ...

Nein. Der Außenminister und ich vertreten die gleiche Position. Wir beide und unsere Häuser arbeiten in all diesen Fragen sehr gut zusammen. Wir sagen beide: Eine solche Anfrage steht nicht an. Wenn sie auf uns zukommen sollte, werden wir sie prüfen.

Deutschland wird in Zukunft öfter die Pflicht genommen werden, glaubt de Mazière. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Sie bereiten die Deutschen gleichwohl darauf vor, dass in Zukunft mehr Anfragen nach Soldaten der Bundeswehr gestellt werden.

Meine These lautet: Internationale Verantwortung wird stärker als bisher auf uns zukommen. Und wir können uns nicht mehr mit dem bequemen Argument aus internationalen Einsätzen heraushalten, dass deutsche Interessen nicht berührt seien. Ob wir uns dann konkret engagieren, hängt immer von vielen Kriterien ab: ob ein UN-Mandat vorliegt, ob wir das wollen, ob wir das können, ob die Bevölkerung das akzeptiert, ob wir Kapazitäten haben.

Das heißt aber doch: Mehr deutsche Soldaten in alle Welt?

Nein, das ist keineswegs zwangsläufig. Wir haben zum Beispiel in der Bundesregierung gerade entschieden, dass wir in Somalia nicht militärisch gegen die dortigen Miliztruppen eingreifen, um die Hilfe für die Hungeropfer zu erleichtern. Es gab keine konkrete Anfrage, um das klarzustellen, aber wir haben uns – wie andere westliche Regierungen auch – mit der Frage gleichwohl befasst. Das heißt, wir müssen auch die Kraft haben, einen Einsatz abzulehnen, obwohl er vielleicht wünschenswert wäre. Wer erwachsen geworden ist, muss Ja und auch Nein sagen können. Es gibt keinen deutschen Sonderweg mehr – weder zu unserem Nutzen noch zu unseren Lasten.

Hat die zurückhaltende Linie der Bundesregierung in der Libyen-Frage auch etwas mit der Ernüchterung in Afghanistan zu tun?

Nein, beides lässt sich auch nicht vergleichen. Was wir aus dem Afghanistan-Einsatz lernen, ist, dass die Ziele eines Auslandseinsatzes realistisch sein sollten. Wir müssen, bevor wir uns entscheiden, alle Folgen in den Blick nehmen, auch den menschlichen Preis, dass wir Verwundete und Tote zu beklagen haben – Auslandseinsätze sind immer gefährlich. Wir müssen die Ziele richtig definieren und eine Strategie haben, wie wir wieder rauskommen. Erst diese Bundesregierung hat die Ziele des Einsatzes am Hindukusch realistisch gemacht. Wir haben gesagt: Ein Abzug ist möglich, wenn wir in afghanischer Hand ausreichende Sicherheitsverantwortung aufgebaut haben.

Und besteht Aussicht, wenigstens dieses Minimalziel zu erreichen?

Ich bin verhalten optimistisch. Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte macht gute Fortschritte. Das gilt insbesondere für die Armee, aber auch für Teile der Polizei. Die Taliban haben kaum noch die Hoheit über ganze Gebiete. Aber wir wissen auch: Das ist labil, es gibt auch Rückschläge. Die Anschläge gegen Führungspersönlichkeiten und einfache Menschen, die die Armee oder Polizei unterstützen, haben eine psychologische Wirkung auf die Bevölkerung. Und auch eine psychologische Wirkung im Westen. Ich denke, dass wir Ende des Jahres entscheiden können, wie viele Soldaten wir in einem ersten Schritt 2012 zurückziehen.

Altkanzler Helmut Kohl hat die deutsche Außenpolitik gerade heftig kritisiert: Deutschland sei keine berechenbare Größe mehr. Hat er recht?

Nein. Wir bekommen ja momentan sehr viele Ratschläge von älteren Politikern. Ich kenne viele von ihnen, schätze sie und nehme, was sie sagen, sehr ernst. Aber ich kann das nicht eins zu eins in unsere heutige Lage übersetzen. Wir leben im Jahr 2011, in einer hoch komplizierten, sehr schwierigen und unübersichtlichen Situation. Ich verstehe die Sehnsucht nach Sicherheit. Aber im Moment können wir sie nicht versprechen. Es gibt keinen Weg zurück in eine angebliche Sicherheit von früher. Manchmal frage ich mich auch, was die Ratgeber in ihrer aktiven Zeit von Ratschlägen ihrer Vorgängergeneration gehalten haben. Jede Generation trägt in ihrer Zeit Verantwortung. Karl Valentin hat einmal gesagt: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Ich finde, das ist ein interessanter Satz.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Hans Monath. Das Foto machte Mike Wolff.

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