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Schäfer-Gümbel

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Thorsten Schäfer-Gümbel: "Alle rechnen mit einer Niederlage"

Thorsten Schäfer-Gümbel spricht über seinen schweren Kampf gegen Roland Koch in Hessen. Der SPD-Spitzenkandidat nimmt Abstand von seiner Forderung nach Zwangsanleihen für Vermögende zur Finanzierung von Konjunkturhilfen.

Herr Schäfer-Gümbel, wie kamen Sie auf die Idee mit der Zwangsanleihe? Am Tresen, wie die CDU mutmaßt, oder lag der Forderung doch nüchternes Kalkül zugrunde?



Von einer Schnapsidee kann keine Rede sein. Ich habe eine Forderung der IG Metall an die Bundesregierung aufgegriffen, und zwar nach reiflicher Überlegung. Mit der Anleihe würden Wohlhabende mit einem Geld- und Immobilienvermögen von mehr als 750 000 Euro dazu verpflichtet, dem Staat zwei Prozent ihres Vermögens fünfzehn Jahre zu überlassen – bei einem Zinssatz von maximal 2,5 Prozent. Irgendwie müssen die Konjunkturprogramme ja finanziert werden, die gegenwärtig diskutiert werden. Im Übrigen haben CDU und FDP 1984 selbst Zwangsanleihen vorgeschlagen.

Sie haben sich mit dem Vorschlag jede Menge Spott und eine sofortige Abfuhr der Bundesregierung und des sozialdemokratischen Finanzministers eingehandelt. Fühlen Sie sich in Berlin hinreichend ernst genommen?

Ja, alles andere wäre sehr seltsam. Es geht doch um eine bitterernste Frage. Mir hat bisher jedenfalls noch niemand erklärt, wo die 20, 25 oder 40 Milliarden herkommen sollen, die für das zweite Konjunkturpaket der Regierung im Gespräch sind. Es ist völlig inakzeptabel, dass die Mittelschicht und die Facharbeiter oder deren Kinder die Zeche alleine zahlen müssen. Zur Finanzierung der jetzt notwendigen Ausgaben im Kampf gegen die Wirtschaftskrise müssen starke Schultern einen größeren Beitrag leisten. An der Forderung halte ich fest.

Aber nicht an der Zwangsanleihe?

Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es für eine Anleihe derzeit keine Mehrheit gibt. Deshalb werde ich mich nicht in einer Instrumentendebatte verlieren, die ich gegenwärtig nicht gewinnen kann, obwohl mein Vorschlag in die richtige Richtung weist. Ich bin jetzt gespannt, mit welchen Vorschlägen meine zahlreichen Kritiker kommen und ob mit der Union andere Wege zur Beteiligung großer Vermögen an den Krisenlasten gangbar sind, etwa die Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Roland Koch hat in seinen Wahlkämpfen wiederholt mit Ängsten vor dem Fremden gespielt, um Wähler für die CDU zu mobilisieren. Die SPD hat diese Art der Auseinandersetzung immer verurteilt. Müssen Sie sich jetzt nicht vorhalten lassen, ebenfalls negative Emotionen zu bedienen, nämlich Neidgefühle gegenüber „den Reichen“?


Nein, es ging und geht nicht um Neid. Es geht darum, wie die Belastungen in diesem Land verteilt werden. Der Beitrag der großen Vermögen in diesem Land an den gesellschaftlichen Lasten ist für die Sozialdemokratie ein Thema über die Hessenwahl hinaus.

Können Sie deutlicher werden?

Ziel jeder sozialdemokratischen Steuer reform muss es sein, Entlastungen der unteren und mittleren Einkommen durch eine Belastung der Reichen gegenzufinanzieren, damit der Staat keine Einnahmen verliert.

Noch vor der Hessenwahl am 18. Januar schnürt die Koalition das zweite Konjunkturpaket. Wie stellen Sie sich den sozial demokratischen Beitrag vor?

Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland in die richtige Richtung investiert, also in Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Dazu müssen massiv Investitionen in eine wirkliche Energiewende kommen. Wir müssen Geld in Energie effizienz, erneuerbare Energien und moderne Kraftwerkstechnologie stecken. Auch eine Investitionsoffensive in den öffentlichen Personennahverkehr ist geboten. Grundsätzlich muss Schluss damit sein, dass in diesem Land Umwelt und Arbeit gegeneinander ausgespielt werden, wie es Roland Koch seit Jahren und Angela Merkel in diesen Tagen vorexerzieren.

Die Wähler erwarten von der SPD, für Gerechtigkeit in der Krise zu sorgen. Reichen Investitionsprogramme aus, um diesem Bedürfnis zu entsprechen?

Wenn in die richtige Richtung investiert wird, ist schon viel erreicht. Daneben muss die SPD aber dafür kämpfen, dass die Empfänger sozialer Transferleistungen eine Beihilfe oder einen Zuschlag erhalten. Eine Möglichkeit dazu wäre die von Kurt Beck vorgeschlagene dreizehnte Monatszahlung. Das Geld ginge direkt in den Konsum, würde also helfen, die Konjunktur zu beleben. Wir müssen an dieser Stelle dringend etwas tun.

Warum?

Der Bankenschirm war ohne Frage nötig, weil ein Zusammenbruch des Finanzsystems brutale Folgen für uns alle gehabt hätte. Dennoch ist es nicht leicht, einem Hartz-IV-Empfänger zu erklären, warum der Staat 500 Milliarden für die Kredit institute bereitstellen kann, für ihn aber kein Geld da ist.

Ursprünglich wollte die große Koalition erst Ende Februar über das zweite Konjunkturpaket entscheiden. Nun sollen die Weichen am 12. Januar, eine Woche vor der Hessenwahl, gestellt werden. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Den gibt es ohne jeden Zweifel. Roland Koch hat sehr viel Druck ausgeübt, um den Zeitplan zu verändern. Er hofft, dass seine miserable Regierungsbilanz aus dem Blickfeld der Wähler gerät, wenn alle über das zweite Konjunkturpaket reden.

Koch mag vielen Hessen nicht sympathisch sein, aber er gilt als wirtschaftskompetent. Außerdem neigen die Wähler in Krisenzeiten nicht zu Experimenten. Wie wollen Sie dagegen ankommen?

Roland Koch ist nicht wirtschaftskompetent. Er ist Lobbyist einer neoliberalen Ideologie, welche die tiefere Ursache der heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise ist. Im Übrigen haben sich die Sozial demokraten in der Geschichte der Bundesrepublik stets als die Kraft erwiesen, die Wirtschaftskrisen am besten meistern kann. Die Furcht vor Experimenten ist also völlig unbegründet. Die Krisenlösungskompetenz liegt eindeutig bei der SPD. Auch deshalb muss Frank-Walter Steinmeier Kanzler werden.

Die Umfragewerte der Hessen-SPD liegen gegenwärtig bei 23 Prozent.

Daran müssen wir arbeiten. Ich habe jetzt noch 22 Tage bis zur Wahl. Die werde ich nutzen.

Werden Sie noch ein Schattenkabinett präsentieren?

Es wird aller Voraussicht nach kein Schattenkabinett geben, weil es den Blick ablenken könnte von der eigentlichen Auseinandersetzung zwischen Roland Koch und mir. Am Ende geht es um die Frage Koch oder Schäfer-Gümbel, alt oder neu? Und es geht auch darum, wer die charakterlichen Voraussetzungen mitbringt, um dieses Land zu regieren. Koch hat Hessen sozial und kulturell gespalten, er hat immer wieder gegen Minderheiten polemisiert, für ihn kommt die Partei vor dem Gemeinwohl.

Herr Schäfer-Gümbel, kann man als Spitzenpolitiker in Hessen bestehen, wenn man immer die Wahrheit sagt?

Davon bin ich fest überzeugt.

Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge?

Da, wo sie für Menschen in anderen Berufen auch verläuft. Die Lüge beginnt, wo bewusst die Unwahrheit gesagt wird.

Und Sie sind sich sicher, dass Andrea Ypsilanti nicht bewusst die Unwahrheit gesagt hat, als sie vor der Wahl jede Kooperation mit der Linken ausschloss?

Ja. Wir wollten die Linkspartei aus dem Landtag heraushalten und mit einer rot- grünen Koalition, notfalls auch mit einer Ampel, den Beweis antreten, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei der SPD am besten aufgehoben ist. Etwas anderes kam nie zur Sprache.

Die Glaubwürdigkeit der Hessen-SPD hat unter dem Wortbruch schwer gelitten ...

... da widerspreche ich ausdrücklich nicht.

Wie macht sich das im Wahlkampf bemerkbar?

Ich weiß, dass wir Vertrauen verloren haben, ich sage das jeden Abend, bei jeder Rede. Ich stelle in der Bevölkerung wie in der Partei noch immer sehr viel Enttäuschung fest. Die einen sind enttäuscht, weil wir es mit den Linken überhaupt versucht haben. Und die anderen, weil es nicht funktioniert hat. Das ist der schwierige Spagat, in dem sich die hessische SPD befindet.

Wie lange wird es dauern, bis man der SPD im Land wieder Glauben schenkt?

Wir arbeiten hart daran, dass wir möglichst schnell aus der Glaubwürdigkeitsfalle rauskommen, und ich sehe, dass wir dabei auch erfolgreich sind.

Sie nehmen für sich in Anspruch, für einen Neuanfang zu stehen, treten aber mit dem alten Wahlprogramm von Andrea Ypsilanti an. Passt das zusammen?

Sie gehen in Ihrer Frage von der falschen Voraussetzung aus, dass es sich bei un serem Wahlprogramm um eine persönliche Schrift von Andrea Ypsilanti gehandelt hätte. Es war und ist aber das Programm der hessischen SPD, und die Ziele sind weiterhin richtig. Es wäre völlig unglaubwürdig, wenn ich mich davon distanzieren würde.

Hat das Glaubwürdigkeitsproblem der Hessen-SPD auch damit zu tun, dass Andrea Ypsilanti bisher nicht als Landesvorsitzende zurückgetreten ist?

Andrea Ypsilanti hat die Hessen-SPD vor einem Jahr zu einem superstarken Ergebnis geführt ...

... und ein Jahr später in die schwerste Krise.

Das kann man ihr doch nicht allein anlasten. Die SPD hat sich gemeinsam für den Versuch entschieden, entgegen den Aussagen vor der Wahl ein rot-grünes Bündnis mit Unterstützung der Linken einzugehen. Damit sind wir gescheitert.

Stimmt es, dass Sie angesichts der schlechten Umfragewerte mit der engeren Führung der Hessen-SPD über Ypsilantis Rückzug noch vor der Wahl beraten haben?

Zu internen Gesprächen äußere ich mich grundsätzlich nicht. Aber ich schreibe Tagebuch, und vielleicht werde ich es eines Tages öffnen.

Werden Sie nach der Wahl den Partei- und Fraktionsvorsitz übernehmen?

Diese Fragen stellen sich jetzt nicht. Ich bin die Nummer eins der hessischen SPD.

Welche Folgen hätte eine Niederlage in Hessen zu Beginn des Superwahljahres für die Bundes-SPD?

Ich glaube, dass wir in Hessen nur noch eine positive Überraschung auslösen können. Alle rechnen ja mit einer krachenden Niederlage für die SPD. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass Frank-Walter Steinmeier Kanzler wird. Vor und nach dem 18. Januar.

SPD-Chef Franz Müntefering verspricht sich von weiteren rot-roten Bündnissen in den Ländern offenbar Vorteile im Bundestagswahlkampf. Fühlen Sie sich zu einem weiteren Anlauf ermuntert?

Ich schließe keine Option aus, abgesehen von einer großen Koalition unter Roland Koch. Wir werden über Koalitionen anhand von zwei Kriterien entscheiden: Mit wem können wir die meisten sozialdemokratischen Ziele verwirklichen und mit wem kann man eine Koalition bilden, die auch stabil ist.

Auf dem Parteitag der hessischen Linken wäre es kürzlich fast zu einer Schlägerei gekommen...

Ich sage ja: Nach allem, was wir durch gemacht haben, ist Stabilität für die SPD ein Gut, das gar nicht hoch genug ein geschätzt werden kann.


Zur Person

POLITOLOGE: Thorsten Schäfer-Gümbel, geboren 1969, verheiratet, drei Kinder, studierte an der Gießener Justus-Liebig-Universität Politikwissenschaften.

GENOSSE: Schäfer-Gümbel ist seit 1986 in der SPD. 2001 wurde er Vize der SPD Hessen-Süd. Seit 2003 sitzt „TSG“ im Wiesbadener Landtag.

KANDIDAT: Nachdem vier Abweichler im November das rot-rot-grüne Experiment von Andrea Ypsilanti beendeten, wurde „TSG“ überraschend die Spitzenkandidatur angetragen. Mit Landeschefin Ypsilanti verbindet ihn bis heute auch eine persönliche Freundschaft.

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