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Bald Ministerpräsident in Thüringen? Linken-Spitzenmann Bodo Ramelow.

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Thüringen auf dem Weg zu Rot-Rot-Grün: Die einen hoffen, die anderen bangen

Das Experiment, erstmals in Deutschland einem linken Ministerpräsidenten ins Amt zu verhelfen, ist für die SPD mit einem hohen Risiko verbunden. Wie die Entscheidung der Thüringer SPD aufgenommen wurde.

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Die einen reden von einer politischen Zäsur, die anderen tun so, als sei nichts gewesen. Zu den Beschwichtigern zählte am Dienstag SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Zwar will mit der Thüringer SPD erstmals ein Landesverband der Sozialdemokraten als kleinerer Partner einem Ministerpräsidenten der Linken ins Amt verhelfen. Doch für Fahimi ist die Entscheidung von Erfurt nicht mehr als ein Ereignis von regionaler Bedeutung – garantiert folgenlos für den Bund. „Das hat miteinander rein gar nichts zu tun“, versicherte die Generalin im Deutschlandfunk.

Wirklich nicht? Es gehört zu Fahimis Job, dräuende Schwierigkeiten kleinzureden. Was die Thüringer Genossen beschlossen haben, ist für die Bundes-SPD in Wahrheit mit einem hohen Risiko behaftet. Sie fürchtet drei Jahre vor der Bundestagswahl eine Wiederauflage der „Rote Socken“-Kampagne aus den 90er Jahren, die der Union ein Feindbild liefert und eigene Anhänger verunsichert. Außerdem passt die rot-rot-grüne Hochzeit von Erfurt schlecht zu dem neuen Kurs der SPD, auf den Parteichef Sigmar Gabriel die Partei einschwören will. Die SPD soll wirtschaftsfreundlicher auftreten und so für die breite Mitte wählbar werden.

Gabriel ist auf eine machtpolitische Alternative zur großen Koalition angewiesen

Auf der anderen Seite verknüpfen sich mit Rot-Rot-Grün auch im Willy-Brandt-Haus durchaus auch Hoffnungen. Denn Gabriel, der aller Voraussicht nach 2017 selbst die Kanzlerkandidatur der SPD übernehmen muss, ist auf eine machtpolitische Alternative zur großen Koalition angewiesen. Auch wenn es den Wirtschaftsminister keineswegs zur Linkspartei zieht, weil er sie im Bund noch längst nicht für regierungsfähig hält, braucht er doch die theoretische Möglichkeit von Rot-Rot-Grün in Berlin. Die Aussicht auf eine Mehrheit jenseits von Merkel ist eine wichtige Motivation für die SPD-Basis im Wahlkampf und ein Drohpotenzial gegenüber dem jetzigen Regierungspartner.

Der Sozialdemokrat, der dieser Denkschule gern eine Stimme gibt, heißt Ralf Stegner. Der SPD-Vize will Rot-Rot-Grün in Thüringen zwar nicht als Weichenstellung für die Bundestagswahl bezeichnen. Aber der Wortführer der Parteilinken sagt auch: „Es ist gut, dass wir Alternativen haben und uns nicht in eine babylonische Gefangenschaft zur Union begeben.“

Thüringen als erster Akt der Befreiung der Sozialdemokraten von der Dominanz einer an Prozentzahlen weit überlegenen Union? Es gibt in der Bundes-SPD und im Thüringer Landesverband Genossen, die eine solche Überhöhung für brandgefährlich halten. Denn niemand kann heute garantieren, dass es der SPD in Erfurt nicht so ergeht wie einst Andrea Ypsilanti in Hessen. Sie wollte das erste Linksbündnis im Westen wagen, scheiterte aber an Abweichlern in den eigenen Reihen.

Die eigentliche Bewährungsprobe ist die Wahl des Ministerpräsidenten

Auch in Erfurt sind die Risiken hoch. Dabei ist noch nicht einmal der Mitgliederentscheid das größte Problem der SPD – einer Partei, in der sich Anhänger und Gegner von Koalitionen mit der Linkspartei seit Jahren erbitterte Auseinandersetzungen liefern. Die eigentliche Bewährungsprobe folgt bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Da die geheim ist, geht die Angst vor Heckenschützen um.

Selbst der designierte Ministerpräsident Bodo Ramelow rechnet nicht damit, dass alle 46 Abgeordneten der Linken, der SPD und der Grünen in den ersten beiden Wahlgängen für ihn stimmen. Laut der Thüringer Landesverfassung genügt im dritten Wahlgang eine relative Mehrheit für die Wahl zum Regierungschef. Doch auch die ist Ramelow keineswegs sicher. Sofern ein Abgeordneter des Regierungsbündnisses in der geheimen Wahl in allen drei Durchgängen Ramelow die Stimme verweigert und CDU und AfD geschlossen gegen ihn stimmen, verfehlt er auch die relative Mehrheit.

Aus Sicht der Bundes-SPD wäre ein solches Scheitern des Experiments Rot-Rot- Grün das schlimmstmögliche Szenario: Dann müsste sie nicht nur mit der Kritik an dem Tabubruch leben, sondern Hohn und Spott ertragen, weil sie sich als unfähig erwiesen hätte, eine Regierung zu bilden. Die Überzeugungskraft Fahimis würde dann kaum ausreichen, um Schaden von der Bundes-SPD abzuwenden.

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