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© dpa-Zentralbild

Thüringen: Freistaat im Aufbruch

In Thüringen hat sich seit dem Skiunfall von Dieter Althaus vor einem Jahr vieles verändert – er selbst ist distanzierter Beobachter.

Ein Jahr nach dem Skiunfall des früheren Ministerpräsidenten Dieter Althaus ist Thüringen dabei, ein anderes Land zu werden. Im Freistaat wurde nicht nur die CDU-Alleinregierung durch ein schwarz- rotes Bündnis ersetzt. Auch der politische Stil etwa beim Umgang mit der Opposition veränderte sich. Zumindest vorerst.

Am 1. Januar 2009 verursachte Althaus auf einer Skipiste in Österreich jenen folgenschweren Unfall, bei dem die Mutter eines Kleinkindes ums Leben kam. Der CDU-Politiker erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Seine Genesung unter den Augen der Öffentlichkeit kam erstaunlich schnell voran. Knapp vier Monate später kehrte Althaus, der wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, zurück. „Ich fühle mich fit, ich fühle mich gut“, versicherte er damals.

Es war wohl eine Selbsttäuschung. Denn bald schon wirkte er erschöpft, mitunter abwesend. Und er fand keine angemessene Form des Umgangs mit dem Unfall. So erzählte er einem Boulevardblatt bereitwillig über sein Innenleben und einen Besuch am Grab der toten Frau. Deren Familie war entsetzt. Das dürfte auch viele Wähler abgestoßen haben. So war der Sturz der CDU bei der Landtagswahl auf 31 Prozent wohl vor allem einer Anti- Althaus-Stimmung geschuldet. Er trat zurück. Kaum einer hat ihn seither vermisst.

Während sich Koalitionspartner SPD heute selbstbewusst und tatendurstig gibt, grummelt es in der CDU. „Wir haben die Koalition teuer erkauft“, meint Jürgen Reinholz, der unter Althaus Wirtschaftsminister war und jetzt das Umweltressort führt. Bei der ersten Regierungserklärung der neuen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht waren die Sozialdemokraten beifallfreudig, es spielten ja vor allem ihre Themen eine Rolle. Der Abgeordnete Althaus saß derweil verschlossen in der zweiten Reihe. Das entspreche seiner Rolle in der Fraktion, heißt es. Was er vorhat, darüber lässt sich nur spekulieren. Sein Ehrgeiz richte sich nun auf Grundsätzliches in der Gesellschaft, sagte er der „Thüringer Allgemeinen“. Er gibt sich dezent selbstkritisch, lässt aber auch seine Distanz zur neuen Regierung spüren.

Was wird aus seiner Zeit als Regierungschef Bestand haben? Bei der Modernisierung von Verwaltungs- und Gebietsstrukturen blieb er im Ansatz stecken. Seine katholisch geprägte Familienpolitik war stets umstritten. Die SPD drängt auf ein Umsteuern. 2000 zusätzliche Kita-Stellen sollen geschaffen werden.

Noch sind nahezu alle Vorhaben der schwarz-roten Koalition nur angekündigt. Deshalb dürfte Lieberknechts Fähigkeit zum Kompromiss jetzt oft benötigt werden. Eine deutliches Signal hat sie mit der Besetzung der Staatskanzlei gegeben, die vom parteilosen Ex-Landtagsdirektor Jürgen Schöning aus Kiel geführt wird. Gerade die Linkspartei hatte in der Vergangenheit über den „schwarzen Filz“ gewettert. Jetzt wurden die „Kommunisten“, wie sie unter Althaus gerne tituliert wurden, auch in die Suche nach einem Präsidenten des Rechnungshofs einbezogen. Die Stelle ist seit Mai 2008 unbesetzt. Doch auch das kann die Linke nicht darüber hinwegtrösten, dass die ersehnte rot-rote Koalition nicht zustande kam.

Im Unterschied zu Althaus lässt Lieberknecht eine Vision für den Freistaat erkennen. Deshalb kann sie mit der von der SPD angestoßenen Modernisierung gut leben. Ob Gemeinschaftsschule, mehr Kindergärtnerinnen oder das Ziel, Thüringen zum „grünen Motor“ umzubauen: Das Land soll attraktiver werden, um die grundlegenden Probleme Abwanderung und Finanzschwäche zu lösen. Denn viele junge Leute ziehen nach wie vor weg. Schon in ein paar Jahren kann das seine Existenz infrage stellen. Thüringen finanziert seinen Haushalt noch immer nur zur Hälfte aus eigenen Steuereinnahmen. Die Zuschüsse von Bund und EU gehen stetig zurück. Das Land zahlt bei einem Etat von neun Milliarden Euro jährlich 700 Millionen Zinsen. Das wusste auch Althaus. Doch erst im Kontrast zur Nachfolgerin treten seine Defizite deutlicher hervor. Er hastete von Termin zu Termin. Im Nachhinein macht das eher den Eindruck, als sei er vor den Problemen davongerannt.

Beim Weihnachtsempfang für die Medien war Lieberknecht jüngst quicklebendig und überaus offen. Vor einem Jahr wirkte ihr Vorgänger ausgebrannt. Sein Skiunfall kurz darauf, so lässt es sich heute deuten, löste den Niedergang der Thüringer CDU nicht aus, aber er beschleunigte ihn. Ein Jahr danach widmete die große Boulevardzeitung Althaus erneut eine Titelstory: Er steht beim Jahresendurlaub am heimischen Rennsteig wieder auf Skiern – auf Langlaufbrettern.

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