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Thüringen: Freiwillig im Stasi-Knast

In Thüringen haben ehemalige Häftlinge ein früheres Gefängnis besetzt, weil sie sich ausgegrenzt fühlen.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Diesen düsteren Ort kennt Joachim Heise genau. In der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in der Erfurter Andreasstraße verbrachte er 1983 dreieinhalb Monate seines Lebens, ehe er für weitere zehn Monate in die Haftanstalt nach Cottbus überstellt wurde. Er hatte einen Ausreiseantrag für seine Familie gestellt, sich mit einem Hungerstreik gegen staatliche Willkür gewehrt und versucht, seinen Fall in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin bekannt zu machen. Das reichte für eine Verurteilung zu drei Jahren Haft. Nach 14 Monaten wurde er von der Bundesrepublik freigekauft.

Seit vier Wochen sitzt Heise, der im Jahr 2002 nach Thüringen zurückkehrte, wieder in dem Haus mit der Ziegelfassade. Diesmal freiwillig. Er ist als Vorsitzender des Vereins Freiheit e. V. einer derjenigen, die die einstige Haftanstalt besetzt haben. Seit Jahren engagieren sich Heise und andere ehemalige Häftlinge, an diesem Ort die Erinnerung an die SED-Diktatur wachzuhalten. Sie führen Schülergruppen durch das Haus, veranstalten mit anderen Mitstreitern Ausstellungen und Lesungen – und fordern immer wieder, die schon vor Jahren von der Regierung Althaus zugesagte Sanierung und den Ausbau des Hauses zu einer Gedenkstätte endlich anzugehen.

Nun soll es so weit sein. Mehr als fünf Millionen Euro werden investiert. Doch die Trägerschaft über die Gedenkstätte sollen nicht die bekommen, die sich seit Jahren hier einbringen. Ihnen traut das Thüringer Kultusministerium die Führung der Einrichtung nach den Maßstäben wissenschaftlicher Gedenkarbeit offenbar nicht zu. Sie soll unter das Dach einer neugegründeten Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen. Mit der Besetzung des Gefängnisses will der Verein seine Mitsprache erzwingen.

Die Fronten sind verhärtet. Gespräche mit dem Thüringer Kultusministerium, das jüngste am Mittwoch, blieben ergebnislos, ein geplanter Kooperationsvertrag kam noch nicht zustande. Der Verein wird von der Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, Hildigund Neubert, und vielen Sympathisanten unterstützt. Doch es gibt auch von Zeitgeschichtlern und Vertretern anderer Thüringer Gedenkstätten Kritik daran, dass der Verein sich mit seiner starren Haltung einer Lösung verweigere. Während Heise mit seinen Mitstreitern hier vornehmlich aus der Häftlingsperspektive an die Stasi-Haftanstalt erinnern will, wollen andere Aufarbeitungsinitiativen an dem Ort die SED-Diktatur umfassender in den Blick nehmen.

„Natürlich ist uns klar, dass ein solches Projekt wissenschaftliche Kompetenz, Pädagogen und Museologen braucht“, sagt Joachim Heise. „Aber wir wollen mitentscheiden, wollen in die Personalplanung und die Konzeptfindung einbezogen werden.“ Doch der Verein werde weiter ausgegrenzt und hingehalten. „Wenn einige Professoren uns erzählen wollen, wie wir uns als Häftlinge gefühlt haben – da mache ich nicht mit“, grollt er.

Im Kultusministerium hält man sich bedeckt. „Der Verein Freiheit e. V. wird angemessen beteiligt“, sagt ein Sprecher, ohne auf Details einzugehen. Heise will noch nicht resignieren – „aber wenn es peinlich wird, will ich das auch unseren ehemaligen Betroffenen nicht zumuten.“ Das klingt schon nach Kapitulation.

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