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© dpa

Thüringen: Ramelow: Fürs Landeswohl ohne Ohrring

Bodo Ramelow will in Thüringen Dieter Althaus ablösen und erster Ministerpräsident der Linkspartei werden. Rein rechnerisch wäre das möglich.

Bodo Ramelow zeigt aus dem Autofenster. Neben dem Acker steht ein Fabrikgebäude, hier werden Thüringer Rostbratwürste hergestellt, in Arnstadt, einem kleinen Ort nahe dem Thüringer Wald. „Dass dieser Betrieb existiert, hängt mit meiner Arbeit zusammen“, erklärt der Linken-Politiker stolz. Das war Anfang der 90er, Ramelow war Gewerkschafter, dem Mittelständler drohte der Konkurs. Es gelang, einen Investor aus dem Westen aufzutreiben, der Geld in die Firma pumpte. „Der Fleischbaron kam mit einem Learjet nach Erfurt geflogen und brachte eine Million Mark in bar mit“, erinnert sich Ramelow.

Es sind solche Geschichten, die der Spitzenkandidat der Linken auf seiner Wahlkampftour gerne erzählt. Geschichten, die zeigen, wie er zupacken kann, wenn es um das Wohl des Landes geht. Ramelow, 53 Jahre alt, will Ministerpräsident in Thüringen werden. Und damit der erste Regierungschef der Linken überhaupt. Glaubt man den aktuellen Umfragen, wäre dies rechnerisch möglich: Danach liegen Linke, SPD und Grüne vor Schwarz-Gelb – und hätten damit die Chance, Dieter Althaus als Ministerpräsidenten abzulösen.

Doch seit Rot-Rot-Grün in den vergangenen Wochen greifbar geworden ist, verkämpfen sich Ramelow und SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie über die Frage, wer dieses Bündnis anführen soll. Sie giften sich an, als seien sie die Hauptgegner in diesem Wahlkampf. Ihr Problem: Matschie schließt ein Bündnis mit der Linken nicht aus, doch er hat sich festgelegt, dass er keinen Ministerpräsidenten Ramelow wählen wird. „Keine Experimente“, sagt der SPD-Landeschef.

Matschies kategorisches Nein macht Ramelow wütend, denn ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation ist nicht in Sicht. Die Linke soll, auch wenn sie an diesem Sonntag aller Voraussicht nach stärker wird, auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten? „Unter keinen Umständen“, heißt es in der Parteizentrale in Berlin. Und auch Ramelow betont: „Ich lasse nicht zu, dass meine Partei drittklassig gemacht wird.“

Doch Ramelow will zugleich beweisen, dass seine Partei regieren kann. Dazu hat er sich im Wahlkampf nicht nur ein seriöseres Outfit zugelegt und seinen Ohrring entfernt („der war Protest, jetzt bin ich reifer“), sondern bemüht sich, auch bei Menschen zu punkten, die nicht zur Stammklientel seiner Partei gehören. So wie an einem Augustabend in Erfurt. Die Industrie- und Handelskammer hat zur Diskussion über Mittelstandspolitik eingeladen, etwa 150 Unternehmer sind gekommen. Für seine Vorschläge zur Modernisierung der Verwaltung erntet Ramelow immerhin Höflichkeitsapplaus. Beim Sektempfang plaudert er mit dem IHK-Hauptgeschäftsführer darüber, wie man mehr Aufgaben vom Staat an die Kammern delegieren könnte, angefangen beim Handelsregister. Nach Sozialismus klingen seine Thesen nicht. „Der kennt sich ja richtig aus“, stellt eine Unternehmerin im hellgrauen Kostüm fest.

„Ich kenne hier jeden Winkel“, sagt Ramelow, „ich weiß genau, welche Betriebe nach der Wende plattgemacht wurden.“ Geboren in Niedersachsen, kam er vor knapp 20 Jahren nach Erfurt. Die Gewerkschaft HBV schickte den gelernten Lebensmittelkaufmann, um die Mitarbeiter in den Konsum-Betrieben zu beraten. „Weil ich Verwandtschaft im Osten hatte, sagte mein Chef: Du kennst dich doch da aus.“ Ende der 90er hätte er als Arbeitsdirektor einer großen Handelsgesellschaft zurück in den Westen gehen können, doch Ramelow blieb.

Vermutlich liegt es auch daran, dass der Versuch der Jungen Union, Ramelow im Wahlkampf als Wessi zu diffamieren, nicht so richtig verfängt. „Falscher Thüringer“ steht auf den Plakaten, die Ramelow neben einer Thüringer Bratwurst zeigen. Eine Vorlage, die er genüsslich ausschlachtet, etwa in der Studentenstadt Ilmenau. Er klettert auf die Ladefläche eines Lkw, „Thüringen sozial regieren“ steht auf einem roten Banner. Die CDU unterscheide zwischen „nützlichen Wessis“ und denen, die „gefährlich“ seien – so wie er. Einige Zuhörer nicken zustimmend. Und dann wettert Ramelow über Niedriglöhne und den FDP-Konkurrenten, der seinen Friseurinnen 3,89 Euro die Stunde zahlt. Scharfen Angriff, eine Prise Populismus, das kann er auch.

Eine Regierungsbeteiligung in Thüringen, hofft Ramelow, könnte dazu beitragen, seine Partei zu verändern. Für die Nörgler, die jedes Mitregieren ablehnen, hat er kein Verständnis übrig. „Da mache ich gerne den Buhmann“, sagt Ramelow. Erst wenn es im Bundesrat eine stärkere Position für die Linke gebe, fügt er hinzu, könne sich die Politik in Deutschland verändern. Auch deshalb verstehe er nicht, warum die SPD einen linken Ministerpräsidenten unbedingt verhindern will. „Wenn die SPD will, dass wir alltagstauglicher werden, muss sie uns einbinden“, sagt Ramelow.

Dass Matschie noch einlenkt, glaubt Ramelow nicht ernsthaft. Doch eines will er sich nicht nehmen lassen: Wenn es für einen Regierungswechsel reicht, will er an die möglichen Koalitionspartner SPD und Grünen noch am Wahlabend Einladungen verschicken. Und schauen, wer dann kommt.

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