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Gewalt in Tibet

© AFP

Tibet: Der blutige Aufstand eskaliert

Die Gewalt in Tibet geht weiter: Erneut gibt es Tote - die Proteste der Mönche weiten sich aus. China verlegt neue Truppen nach Tibet. Der Dalai Lama warnt vor weiterem Blutvergießen und beklagt einen "kulturellen Völkermord".

Binnen drei Tagen kamen bei den heftigen Protesten gegen die chinesische Fremdherrschaft nach Angaben von Exil-Tibetern etwa 90 Menschen ums Leben. Am Wochenende brachen auch in anderen Orten und in den Nachbarprovinzen Sichuan und Gansu Unruhen aus. Chinesische Sicherheitskräfte erschossen am Sonntag in Aba (Ngaba) in Sichuan den Berichten zufolge mindestens sieben Demonstranten, darunter auch Mönche.

In der tibetischen Hauptstadt Lhasa kam es zu neuen Zusammenstößen zwischen Tibetern und Sicherheitskräften. Laut Augenzeugenberichten fuhren Panzerfahrzeuge auf. In den Straßen patrouillierten Soldaten. Aus Solidarität mit den Mönchen fanden in vielen Teilen der Welt Demonstrationen statt. Auch in mehreren deutschen Städten gingen Exil-Tibeter auf die Straße.

Das exiltibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Indien berichtete über neue Proteste von Mönchen aus einem Kloster in Tongren (Rebkong) in der Provinz Qinghai. 300 Mönche des Rong Gonchen-Klosters hätten nach einer Gebetsstunde am Sonntag zur Kreisregierung ziehen wollen, seien aber von Sicherheitskräften massiv daran gehindert worden. Dann seien sie in einem Hof festgehalten worden.

Appelle der Kanzlerin und des Dalai Lama

Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere Regierungen appellierten an die chinesische Führung und die Tibeter: Sie sollen Zurückhaltung üben und den Dialog suchen. Nur bei direkten Gesprächen Pekings mit dem Dalai Lama könne eine nachhaltige Lösung des Problems gefunden werden, so Merkel. In den Provinzen Sichuan und Gansu gingen am Sonntag Geschäfte und Autos in Flammen auf. Nach Angaben von Augenzeugen waren Rufe wie "Sabotiert die Olympischen Spiele" und "Werft die Chinesen aus Tibet hinaus" zu hören. Forderungen nach einem Boykott der Olympischen Spiele im Sommer in Peking wiesen das Internationale Olympische Komitee (IOC) und Sportfunktionäre allerdings zurück.

Der Dalai Lama sagte am Sonntag in seinem Exil im nordindischen Dharamsala, viele seiner Landsleute fühlten sich als Bürger zweiter Klasse. Mit Gewalt könne das Problem jedoch nicht gelöst werden. In einem Interview des britischen Senders BBC erklärte der Dalai Lama unverändert seine Unterstützung für die Olympischen Spiele in Peking. China müsse aber die Ursachen der Unruhen gründlich aufarbeiten. Dabei gehe es um die Unterdrückung der alten tibetischen Kultur und die Diskriminierung der Tibeter.

China sieht Unruhen als politische Verschwörung

Chinas Behörden warfen dagegen der "Clique um den Dalai Lama" vor, die Unruhen "vorsätzlich geplant" zu haben. "Wir haben genug Beweise, dass diese Aktion eine politische Verschwörung ist, die von der Clique des Dalai Lama geplant worden ist", hieß es in den amtlichen Medien. Internationale Menschenrechtsgruppen und auch deutsche Politiker forderten eine unabhängige Untersuchung der Vereinten Nationen in dem abgeschotteten Hochland.

Derweil forderten chinesische Behörden alle Mitglieder ausländischer Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf, bis spätestens Montag das Land zu verlassen. Dann endet auch die Frist, bis zu der sich Anführer der Unruhen stellen sollen, wenn sie mit Nachsicht oder Strafminderung rechnen wollen. Es wurde befürchtet, dass die Sicherheitskräfte danach zuschlagen wollen.

Proteste gehen weiter

In Lhasa rückte die Polizei am Sonntag offensichtlich auch zu Razzien aus. Augenzeugen berichteten, dass auf der Straße alle Tibeter kontrolliert und durchsucht würden. Chinesen blieben unbehelligt. Trotz der Panzer, Straßensperren und paramilitärischen Kräfte in Lhasa demonstrierten am Samstag wieder mehrere tausend Tibeter gegen die Fremdherrschaft. Fenster sind zu Bruch gegangen, immer wieder lodern Feuer auf. "Ich habe viel Rauch gesehen", so eine Augenzeugin. Hunderte sollen festgenommen worden sein.

Auch in Xiahe in der Nachbarprovinz Gansu, einem Zentrum des tibetischen Buddhismus, gingen am Samstag die Proteste weiter. Augenzeugen berichteten, es seien Scheiben von Geschäften, Banken und anderen Häusern eingeschlagen worden. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt. Nach Angaben von Exiltibetern soll in die Luft geschossen worden sein. Ein Radiosender berichtete auch von Demonstrationen in der südwesttibetischen Stadt Lithang, in Sershul in Sichuan und im Kloster Samye südlich von Lhasa.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 in Peking und dem Einmarsch der Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet hatte sich China das größte Hochland der Erde einverleibt. (ck/dpa)

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