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Tibet: Gegen den Schein der Rechtsstaatlichkeit

Menschenrechtsanwalt Li Fangping will mit der Verteidigung eines tibetischen Lamas auf Missstände in China aufmerksam machen.

Am Anfang hat er gezögert, das gibt Li Fangping freimütig zu. „Der Fall ist politisch äußerst sensibel“, sagt der 34-jährige Jurist. „Zwei Anwaltsteams haben ihn bereits abgelehnt.“ Aber gerade deshalb übernahm Li die heikle Aufgabe schließlich doch: Seit Anfang der Woche verteidigt der Pekinger Menschenrechtsanwalt den tibetischen Lama Phurbu Tsering Rinpoche, den die Behörden für einen Strippenzieher der blutigen Tibeterdemonstrationen im vergangenen Frühjahr halten. Der Vorsteher eines Nonnenklosters in der Provinz Sichuan ist der ranghöchste Geistliche, der bisher im Zusammenhang mit den Aufständen vor Gericht kommt.

Das Verfahren ist für die chinesische Regierung wichtig, denn es soll beweisen, dass die Gewaltausbrüche, die nach offiziellen Angaben 22 Menschenleben forderten, von den Tibetern ausgegangen und von langer Hand geplant gewesen seien. Phurbu Rinpoche war im Mai vergangenen Jahres, gut zwei Monate nach den ersten Protesten, festgenommen worden, nachdem sein Kloster gegen die offizielle Kampagne zur „patriotischen Umerziehung“ demonstriert hatte, die von den Gläubigen unter anderem die öffentliche Lossagung vom Dalai Lama verlangte.

Laut Darstellung der Staatsanwaltschaft hätten die Polizisten unter dem Bett des Geistlichen eine Pistole und über hundert Schuss Munition entdeckt. Außerdem soll sich der 52-Jährige, der nach Angaben der Organisation „International Campaign for Tibet“ wegen seiner karitativen Bemühungen hoch angesehen ist, am Bau von Altenheimen und Krankenhäusern bereichert haben. Bei einer Verurteilung drohen Phurbu Rinpoche bis zu 15 Jahre Haft.

Anwalt Li Fangping, der schon den prominenten Dissidenten Hu Jia verteidigte und sich im vergangenen Herbst für Opfer des Giftmilchskandals engagierte, macht sich keine Illusionen darüber, dass die Richter seinen Mandanten schon vor der ersten Anhörung für schuldig befunden haben. „Politisch gibt es in diesem Fall keine Hoffnung“, erklärt der Jurist nach dem ersten Verhandlungstag in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Trotzdem lohnt es sich, dafür zu kämpfen, dass dieses Verfahren so gerecht wie möglich abläuft.“ Dass der ranghohe Lama Phurbu als erster der über 950 verhafteten Tibeter, von denen bereits Dutzende zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, einen unabhängigen Anwalt zugestanden bekomme, biete eine Gelegenheit, das chinesische Rechtssystem mit den Gesetzen zu konfrontieren, die es eigentlich schützen sollen. So nutzt Li seine Rolle als Verteidiger zum öffentlichen Tabubruch und wirft der Polizei vor, Phurbu Rinpoche die Pistole untergeschoben zu haben. Anschließend soll sie ihn dann durch Folter zu einem Geständnis gezwungen haben.

„Die Vorwürfe gegen meinen Mandanten sind unhaltbar“, erklärt Li. „Die Polizisten haben ihn weder nach der Herkunft der Waffen gefragt, noch die Fingerabdrücke überprüft.“ Obwohl Li Fangping die Richter mit solchen Argumenten wohl kaum beeindrucken kann, könnte er dem Verfahren wesentlich mehr Öffentlichkeit bescheren, als der Regierung lieb ist.

Zwar können die Behörden dem Menschenrechtsanwalt kaum sein Mandat entziehen, wenn sie den Anschein der Rechtsstaatlichkeit aufrechterhalten wollen. Doch hinter den Kulissen wurde Li Fangping bereits gewarnt, seine Rolle im Verfahren gegen den Geistlichen nicht zu ernst zu nehmen. „Man hat mir gesagt, ich solle nicht allzu enge Beziehungen zu den Verwandten des Angeklagten aufbauen“, erzählt Li Fangping. „Außerdem solle ich stets darauf achten, das Ansehen des Staates zu schützen.“ Das werde er sicher beherzigen, erklärt Li. Auf seine Weise.

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