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Politik: Tiefensee geht – und Leipzig fehlen drei Bürgermeister

Berlin - Die Oberbürgermeisterwahl in Leipzig liegt gerade mal ein halbes Jahr zurück. Strahlender Sieger mit 67 Prozent der Stimmen: Wolfgang Tiefensee, SPD.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Die Oberbürgermeisterwahl in Leipzig liegt gerade mal ein halbes Jahr zurück. Strahlender Sieger mit 67 Prozent der Stimmen: Wolfgang Tiefensee, SPD. Der alte war auch der neue OB. Trotz gescheiterter Olympiabewerbung, trotz mancher Skandale um das fragwürdige Geschäftsgebaren der mit der Bewerbung betrauten Unternehmen und Personen, trotz jahrelangen Personalknatschs in der Stadtverwaltung hatten die Leipziger ihm das Amt wieder anvertraut. Und er hatte sich für das Vertrauen bedankt: mit einem Bekenntnis zu seiner Stadt.

Nun geht er. Nach Berlin. Als Minister in die große Koalition. Kein Wunder, dass ihm seine politischen Konkurrenten keine Kränze flechten. Im Gegenteil: „Der Schönwetterkapitän geht von Bord“, tönte es aus der Leipziger CDU-Fraktion. Deren Vorsitzender Alexander Achminow fühlt sich auch persönlich verletzt: Am Tag zuvor habe er mit Tiefensee ein Vier-Augen-Gespräch geführt – nicht einmal eine Andeutung habe dieser über seine Absicht gemacht.

Doch es sind vor allem die Probleme in der Stadt, die die CDU veranlassen, von einer „Flucht nach Berlin“ zu sprechen. Denn ironischerweise am gleichen Tag, an dem sich offensichtlich das künftige Schicksal Tiefensees endgültig entschied, am Mittwoch also, wurde der zweite Stellvertreter des Oberbürgermeisters, der für Ordnung und Sport zuständige Beigeordnete Holger Tschense (SPD), vom Stadtparlament abgewählt. Seit Monaten schwelte die Affäre um den beurlaubten Bürgermeister. Er soll Dutzende Male seinen Wagen gefahren haben, ohne im Besitz eines Führerscheins gewesen zu sein – der war ihm wegen Tempoüberschreitungen schon mehrfach entzogen worden. Der 42-jährige Tschense soll überdies Mitarbeiter seines Amtes angewiesen haben, Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen sich und mehrere Bekannte einzustellen.

Erst Ende 2004 war dem Oberbürgermeister – ebenfalls nach monatelangen Querelen – der erste Bürgermeister abhanden gekommen. Peter Kaminski (CDU) war als Stadtkämmerer in dubiose Provisionsvergaben beim Bau des Leipziger Zentralstadions verwickelt.

So steht Leipzig über Nacht ohne einen einzigen Bürgermeister da. „Ich habe ihn am Mittwoch gemahnt, die Nachfolge für die beiden unbesetzten Posten zügig zu regeln – und nun ist er selbst weg“, beklagt sich Achminow. Dass sich Tiefensee wohl auch wegen seiner Erfolge als Boomtown- Macher für das Amt in Berlin empfohlen habe, will Achminow nicht gelten lassen. „Die SPD hatte wohl ein Personalproblem, weil sie kaum fähige Leute im Osten hat und die, die infrage kämen, abgesagt haben“, vermutet er.

Denn zu Tiefensees Bilanz gehören neben imageträchtigen Ansiedlungen von Großunternehmen eben auch Schattenseiten: Die Arbeitslosigkeit, die derzeit in der Stadt an der Pleiße bei über 20 Prozent liegt, ist in seiner Amtszeit kontinuierlich gestiegen. Als Tiefensee Bürgermeister wurde, lag sie unter dem sächsischen Durchschnitt, heute liegt sie darüber.

Im Haushalt der Stadt klafft ein Loch von 83 Millionen Euro. Niemand weiß, wie es zu schließen ist. Bis spätestens Mitte Dezember muss der Haushalt für 2006 beschlossen werden – ohne einen einzigen Bürgermeister. Denn Neuwahlen sind in der Messestadt nicht vor Januar oder Februar möglich. Tiefensee wird zur Haushaltskonsolidierung nicht mehr allzu viel beitragen können, auch wenn er sein Amt in Berlin vermutlich nicht vor Mitte November antreten wird. Aber ein wenig vorbereiten wird er sich schon auf den neuen Job.

Die PDS-Opposition im Bundestag wird ihn jedenfalls gebührend begrüßen – als den einzigen Ostdeutschen, der in der Hartz-Kommission „mitverantwortlich für dieses unsoziale Gesetz“ war, wie es die PDS-Bundestagsabgeordnete Barbara Höll am Donnerstag formulierte.

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