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Mast und Masse. Bauer Eickhoff(re.) vor seinem "gläsernen Betrieb".

© Christine Keck

Tierhaltung: Fressen und gefressen werden

Die vollautomatische Turbomast ist die Zukunft, glaubte der niedersächsische Landwirt Eickhoff und industrialisierte seine Ställe. Doch seitdem ist nichts mehr wie früher. Ein Hähnchenkrieg hat begonnen. Gläsern geht es jetzt zu. Jeder kann gucken. Aber reicht das?

Kaum sichtbar hebt und senkt sich die Brust des Federknäuels. Die Flügel ausgebreitet, liegt es bäuchlings in der Streu, zu schwach zum Stehen, zu schwach zum Fressen. „Ein Kümmerer, der nicht richtig wächst“, sagt Landwirt Malte Eickhoff und bückt sich nach dem Küken. „Das wäre Tierquälerei, würde man das Kleine verhungern lassen.“ Ein Schlag auf den Kopf an der Futterschiene betäubt den Winzling, ein fester Druck mit dem Daumen, und das Genick ist gebrochen. Vier Tage alt wurde das Hühnchen. Im Plastikeimer zuckt es noch eine Weile.

Von „glücklichen Hühnern“ spricht Eickhoff und blickt auf den beweglichen Flauschteppich, der seinen Gummischuhen Platz macht. 36.000 Küken in einem Stall so groß wie sechs Tennisplätze, das meiste Gedrängel gibt es an den Rändern, wo Gaskanonen die Luft auf 34 Grad erwärmen. Die Küken halten die Heizung für ihre Mutter. Das Gebrumme war das Erste, was sie gehört haben.

Im Hightechstall zieht der Computer die Züchtung Ross 708 auf, in 40 Tagen auf 2,5 Kilo. Alles ist programmiert, der Rechner regelt die Kraftfuttergabe, fährt die Jalousien hoch, ruft den Bauern per Handy an, wenn die Küken zu wenig trinken. Dann drückt Malte Eickhoff ein paar Knöpfe. Der Tod ist der einzig verbliebene Störfaktor in der durchgetakteten Aufzucht. Das Einsammeln der kranken und verendeten Tiere nimmt dem Bauern keiner ab, zweimal am Tag macht er seine Runde mit dem Eimer. „Selektion“ nennt er das und sagt, dass seine „Verlusterate“ rund zwei Prozent betrage.

Die vollautomatische Turbomast ist die Zukunft, glaubt Eickhoff, Bauer in fünfter Generation. Er wird eines Tages den Hof von seinem Vater übernehmen. Die Mastschweine, die Rinder, die 3000 Legehennen, den Hofladen, wo selbst gemachtes Johannisbeergelee und Blutwurst verkauft werden. Ein mittelständischer Familienbetrieb im niedersächsischen Sprötze, eine halbe Stunde südlich von Hamburg. Doch manchmal kommen dem 24-Jährigen Zweifel. Seit er sich für den Megastall entschieden hat, ist nichts mehr wie früher. Ein Hähnchenkrieg hat begonnen. Ein Kampf, wie er erbitterter kaum geführt werden könnte. Es geht um artgerechte Tierhaltung, um Gesundheitsschäden, um den brasilianischen Regenwald, der Sojafeldern für die Futterproduktion weichen muss, und um viel Geld.

Jeder kämpft mit seinen Waffen. Die Tierschützer mit Fotos von Masthähnchen, die Geschwüre oder zerpicktes Gefieder zeigen, und sie berufen sich auf eine Studie von Jörg Hartung, Professor an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der das Leid präzise beschreibt: Mehr als die Hälfte der Hühner hätten entzündete Fußballen, Blutergüsse oder Kratzspuren. Zudem hat der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) von antibiotikaresistenten Keimen in Hühnchenfleisch aus Supermärkten berichtet. Ein aktuelles Gutachten des Verbraucherministeriums Nordrhein-Westfalen belegt eine 96-prozentige Antibiotikabelastung der Hähnchenbestände – und schockierte damit den grünen Minister Johannes Remmel. „Das Ergebnis verursacht bei mir eine dauerhafte Übelkeit“, sagte Remmel nach der Vorstellung des Gutachtens und forderte eine zentrale Datenbank zum Arzneimitteleinsatz, wie es sie bei Schweinen und Rindern schon gibt. Er erhält Rückendeckung von der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die Änderungen des Arzneimittelgesetzes am Dienstag dem Ministerium vorstellte. Der Einsatz der Medikamente soll deutlich erschwert werden.

Der deutsche Hähnchenkönig Franz-Josef Rothkötter ist einer der Hauptakteure in diesem Krieg. Der Unternehmer, der sich bereits ein Viertel des deutschen Geflügelmarktes gesichert hat, will im niedersächsischen Wietze Europas größte Schlachtfabrik betreiben. Im August rollten in der Kleinstadt im Landkreis Celle die Lastwagen an: 100.000 Masthühner werden dort täglich betäubt, aufgeschlitzt, gebrüht, gerupft, am Fließband zerlegt und verpackt. Auf 430.000 soll eines Tages aufgestockt werden.

Der gläserne Stall: "Wir haben nichts zu verbergen"

Der Westen Niedersachsens ist Geflügelland. Nirgendwo in der Republik ist die Konzentration an Hühner- und Putenställen so hoch wie im Emsland mit seinen 30 Millionen Mastplätzen. Mittendrin sitzt Franz-Josef Rothkötter, der als Futtermittelhändler in die Branche einstieg und seinen ersten Schlachthof 2003 eröffnete. Längst hat er die Tiefkühltruhen der Discounter mit Billigware bestückt, das weiße Fleisch ist beliebt, der Markt noch bei Weitem nicht gesättigt: Der Hühnerfleischkonsum in Deutschland stieg von 2003 bis heute von neun auf 11,5 Kilo pro Kopf. Die Europäer essen im Schnitt gut 17 Kilo, da lässt sich noch mehr verdienen, glauben die Marktführer Wiesenhof, Stolle und Rothkötter.

Verzweifelt sucht Rothkötter nach neuen Mästern wie den Eickhoffs, aber er findet sie nicht. 420 braucht er für den Endausbau seiner Fabrik. Der Unternehmer hat die Wut seiner Gegner unterschätzt. Der Protest spaltet Dörfer und Städte, lässt die Menschen auf die Straße ziehen, sie wollen mitreden. Wietze – das ist Stuttgart 21 auf Norddeutsch. Auf jeden Bauantrag für einen Großstall gründet sich eine Bürgerinitiative, es gibt Infostände, Flugblattaktionen und Ärger.

Der Hähnchenkrieg ist nicht immer fair. In Sprötze haben sie es übertrieben. Er sei kein schlechter Bauer, sagt Malte Eickhoff und steht ein wenig verloren da in seiner grünen Arbeitslatzhose. Immerzu müsse er sich verteidigen, er habe die Angriffe satt. Der schlimmste war in der Nacht des 30. Juli 2010. „Da weckte mich der Pieper der Freiwilligen Feuerwehr“, erinnert sich der Landwirt. Er zog die Uniform über und machte sich mit Vater und Bruder auf den Weg, um einen Brand zu löschen. Ein Feuer im eigenen Stall, wie er bald feststellen musste. Die Halle hatte er gerade erst gebaut, mit Freunden, fünf Monate Arbeit. In Kürze sollten die Hähnchen einziehen.

„Fuck you“, stand da mit einer Schaufel in den Sand geritzt. „Wir wussten sofort, dass das Brandstifter waren“, erzählt Eickhoff und führt zu den Spuren jener Nacht. An der Ostwand des Stalls, dessen Ziegelmauern noch stehen, hat sich der Ruß festgefressen. „Wir haben geschrubbt wie verrückt“, sagt Eickhoff, aber Spuren blieben. Erwischt haben sie bis heute keinen. Nur ein Bekennerschreiben der Animal Liberation Front tauchte im Netz auf. Es endet mit den Worten „Für die Freiheit aller Tiere!“

Statt aufzugeben sind die Eickhoffs in die Offensive gegangen. „Wir haben nichts zu verbergen“, sagen sie und bauten die 500.000-Euro-Anlage wieder auf: als gläsernen Stall. Durch eine Scheibe können Besucher die Küken beobachten. „Das ist kein Showroom, das ist Realität“, sagt Eickhoff und diskutiert mit allen. Mit Schülern, mit Veganergruppen und interessierten Nachbarn. „Bei uns kann jeder sehen, dass wir mit den Tieren vernünftig umgehen“, sagt der Mann, der gerade noch ein Küken mit Genickbruch in den Eimer geworfen hatte.

Dass in den Mastbetrieben vernünftig mit den Tieren umgegangen werde, bezweifeln in Wietze allerdings die Großmastgegner. Sie haben sich trotz Nieselregens und Kälte an den Kreisel am Ortsausgang gestellt und ihr Banner an der Laterne festgebunden. „Schlachthof? Mastställe? Nein Danke“ steht darauf. Daneben brennen Fackeln und Grablichter, jemand hat ein Kreuz für die Hühner aufgestellt, die auf der anderen Straßenseite ihr Leben lassen müssen. „Celler Land Frischgeflügel“ steht auf der Fassade der umstrittenen Fabrik, die für 70 Millionen Euro gebaut und vom Bürgermeister als „Sechser im Lotto“ bejubelt worden war.

Die Schlachtfabrik als Hochsicherheitsknast

Jeden Montag, 17 Uhr, seit mehr als einem Jahr macht Uschi Helmers mit bei der Mahnwache gegen das „Geschwür“ in ihrer 8000-Einwohner-Gemeinde. „Das Elend vom Emsland wird zu uns exportiert“, warnt die 62-Jährige, dick eingepackt in Winterjacke und Schal. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende der Wietzer Bürgerinitiative und hätte sich nie träumen lassen, in ihrem Ruhestand zur Expertin für Geflügelzucht zu werden. Sie grüßt den Mann vom Sicherheitspersonal. Die Schlachtfabrik in Wietze hat nachgerüstet: mit Natodraht, Zaun, Schäferhunden. „Das sieht aus wie ein Hochsicherheitsknast“, sagt Uschi Helmers, „ so viele Überwachungskameras“. Dann umarmt sie den 82-jährigen Pfarrer, der extra aus Celle hergefahren ist, und lässt sich von einem Landwirt von der Gründung einer neuen Bürgerinitiative ein paar Orte weiter erzählen.

„Weniger Fleisch ist die einzige Lösung“, sagt Uschi Helmers. Ein Mitstreiter hat Kekse mitgebracht, auf einem Tisch steht Linsensuppe. Früher habe einmal Fleisch pro Woche doch auch gereicht. Deshalb will Uschi Helmers keine Verlagerung der Fabrik, sie will eine Entscheidung der Verbraucher gegen Produkte von Rothkötter und Co. Mehr Verkehr, mehr Atemwegserkrankungen und vor allem die Belastung durch mehrfach resistente Keime rund um die Mastbetriebe seien inakzeptabel. Es dürften nur kranke Tiere Antibiotika erhalten, doch das Medikament erhöhe eingesetzt als Wachstumsbeschleuniger den Profit, kritisiert Helmers.

„Es geht auch ohne“, sagt Jungbauer Malte Eickhoff und versichert, er habe seine Küken noch kein einziges Mal mit Antibiotika behandeln lassen. Allerdings gibt er zu, dass er in einer ausgesprochen komfortablen Situation sei – weit und breit gibt es keinen anderer Maststall. „Im Emsland ist der Krankheitsdruck wesentlich höher“, sagt Eickhoff, „da verbreiteten sich Keime leichter.“

Die Abluft aus Ställen hat der Epidemiologe Dick Heederik von der Universität Utrecht näher untersucht und ist zum Schluss gekommen: „Wir haben die gesundheitlichen Gefahren der industriellen Massentierhaltung bei Weitem unterschätzt.“ Im Umkreis von 1.000 Metern um die Anlagen sei das Risiko einer MRSA-Infektion deutlich erhöht, warnt Heederik. Die antibiotikaresistenten Keime würden durch die Luft übertragen, also nicht nur durch Direktkontakt, wie bisher angenommen wurde. Es wurde zu viel weggeschaut, kritisiert der Professor. Die Niederländer wollen es nun genau wissen: Eine neue Studie soll Klarheit über die Bakterienschleuder Maststall bringen.

In der Kleinstadt Wietze gehen nicht alle auf Distanz zum Masthuhn. Der Gemeinderat hat den Schlachthof gebilligt, daran konnten auch die zwei Gegenstimmen von den Grünen und Linken nichts ändern. Bürgermeister Wolfgang Klußmann schwärmt von den 360 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für seine strukturschwache Kommune. Viele weitere könnten noch kommen. „Davon profitiert die ganze Region“, sagt der CDU-Mann und versucht die Kränkungen zu vergessen: bis zu 400 Protestmails pro Tag, Beleidigungen, Beschimpfungen, Farbbeutelwürfe aufs Rathaus und eine wochenlange Besetzung der Schlachthofbaustelle. Die Polizei musste das Hüttendorf der Veganer räumen. „Wir leben in einer Geiz-ist-geil-Gesellschaft“, sagt Klußmann, jeder wolle so günstig wie möglich konsumieren, auch er selbst kaufe beim Discounter. „Wir Kunden entscheiden an der Kasse, was produziert werden soll.“ Eine Botschaft, die Uschi Helmers unterschreiben würde. Sie will, dass sich alle mehr Gedanken darüber machen, woher das Essen kommt, und bestellt Fleisch bei einem Neuland-Bauern, der die Tiere artgerecht hält.

Im Wietzer Supermarkt liegt das Geflügel dicht an dicht gestapelt in der Tiefkühltruhe, zu Preisen, die ahnen lassen, dass die Ware in großer Menge verkauft werden muss, um Gewinn zu machen. Geschnetzeltes, Brustfilet und ein ganzes Huhn, der Preis: eineinhalb Kilo kosten 2,99 Euro.

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