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© dpa

Tigris: Keine europäische Hilfe für türkisches Damm-Projekt

Freudentänze am Tigris – Verärgerung in Ankara: Die drei staatlichen Exportkreditagenturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben ihre Kreditbürgschaften für den Bau des umstrittenen türkischen Riesenstaudamms Ilisu endgültig gestoppt. Grund:Die Türkei hat die Auflagen für Umwelt, Kulturgüter und Umsiedlung nicht erfüllt.

Als sich die Nachrichten aus dem fernen Europa am Dienstagvormittag im Südosten der Türkei verbreiteten, begannen in der Region sofort die Vorbereitungen für Freudenfeste. "Wir werden am Ufer des Tigris tanzen", sagte Arif Arslan, Vorsitzender einer Bürgerinitiative in der Stadt Hasankeyf in Südostanatolien, unserer Zeitung. "Hier ist heute Feiertag."

Flötenspieler und Trommler wurden herbeigerufen, um eine Entscheidung zu feiern, die zwar in Hamburg, Wien und Zürich gefällt wurde, die aber zehntausende Menschen in der Kurdenregion um die uralte Stadt Hasankeyf unmittelbar betrifft: Drei europäische Kreditversicherer ziehen sich aus einem Projekt zum Bau eines riesigen Staudamms am Tigris zurück, ein Vorhaben, das von Aktivisten wie Arslan seit Jahren kritisiert wird. Dammgegner hoffen, dass mit dem Rückzug der Europäer der Bau des nach dem Dorf Ilisu benannten Staudammes endgültig vom Tisch ist. Doch das ist nicht sicher. Ankara ist zwar verärgert über die Haltung der Europäer, will das Milliardenprojekt nun aber im Alleingang durchziehen.

Ilisu ist Teil des so genannten Südostanatolien-Projektes (GAP), eines geplanten Netzwerkes aus fast zwei Dutzend Staudämmen und Wasserkraftwerken, mit dem Ankara dem armen Südostanatolien wirtschaftlich auf die Beine helfen will. Dämme wie der bereits fertige, riesige Atatürk-Damm nordwestlich von Sanliurfa sollen Wasser für die Bewässerung der Felder der Umgebung sowie Strom für die Ansiedlung von Industriebetrieben bereitstellen.

Zumindest auf dem Papier galt das lange als viel versprechender Ansatz in einer Gegend, die zu den ärmsten und sozial rückständigsten der Türkei zählt. "Ohne Arbeitsplätze und Beschäftigung können wir den Bildungsstandard und die Lebensqualität dieser Region nicht anheben", sagte ein Vertreter der Bauleitung des Ilisu-Damms kürzlich. Die türkische Regierung sieht Projekte wie den Ilisu-Damm zudem als Instrument im Kampf gegen die kurdischen PKK-Rebellen: Wirtschaftliche Investitionen im Kurdengebiet gelten inzwischen als Schlüssel zur Befriedung der Region.

1,1 Milliarden Euro, 135 Meter hoch, zwei Kilometer lang

Bisherige Dammprojekte im Rahmen des GAP trugen allerdings nicht dazu bei, das Vertrauen in die türkische Entwicklungspolitik zu stärken. In einigen Fällen mussten Betroffene vom steigenden Wasser eines entstehenden Stausees aus ihren Dörfern fliehen – niemand hatte es für nötig befunden, sie zu informieren oder ihnen gar eine neue Existenz zu ermöglichen. Anderswo versprachen die Behörden den Menschen bei der Umsiedlung zwar großmundig neue Häuser und Arbeitsplätze – ließen sie dann aber in seelenlose Betonbauten fernab jeder Stadt verfrachten, wo es weder Landwirtschaft noch andere Beschäftigungsmöglichkeiten gab.

All das sollte sich in Ilisu ändern, wo für 1,1 Milliarden Euro ein 135 hoher und zwei Kilometer langer Damm entstehen soll. Der geplante Stausee soll mit seinen 300 Quadratmetern viermal größer werden als der Chiemsee. Als Preis für die Absicherung des Beteiligung des Stuttgarter Bauunternehmens Züblin an dem Projekt forderte der deutsche Exportversicherer Euler-Hermes von der Türkei die Einhaltung von mehr als 150 Kriterien. So sollte die Erhaltung von Kulturgütern, Umweltschutzmaßnahmen und eine sozialverträgliche Umsiedlung der betroffenen Menschen gesichert werden. Euler-Hermes handelte gemeinsam mit den Kreditversicherern aus Österreich und der Schweiz und schickte mehrmals Experten nach Südostanatolien, die über die Einhaltung der Auflagen wachen sollten.

Was die Fachleute vor Ort sahen, weckte allerdings bald Zweifel. Mit rund 50.000 Betroffenen in etwa 200 Ortschaften ist Ilisu eines der größten Umsiedlungsprojekte der neueren Geschichte. Doch statt die Menschen an dem Prozess zu beteiligen, begann Ankara sofort mit der Enteignung der Dorfbewohner. Ein anderes Problem ist das Schicksal der uralten Stadt Hasankeyf, die nach den Plänen im See versinken wird. Die türkische Seite versprach, die wichtigsten Kulturgüter zu retten, doch sie unternahmen nichts, um diese Zusage in die Tat umzusetzen. Anfang des Jahres wurden die Kredite deshalb auf Eis gelegt, der Bau wurde gestoppt.

Ein halbes Jahr hatte die Türkei Zeit zum Nachbessern, doch es half nichts. "Die vertraglich vereinbarten Auflagen im Bereich der Umwelt, Kulturgüter und Umsiedlung sind nicht genügend erfüllt", erklärten die Kreditversicherer am Dienstag. "Daher sind die Grundlagen für eine Fortführung des Projekts mit staatlicher Absicherung aus den drei Ländern nicht mehr gegeben. Als Folge davon enden die Exportkreditgarantien."

Rückenwind für Kritiker

Für Dammgegner wie Arslan ist das eine "äußerst positive" Entscheidung. In den vergangenen Wochen hatten die Kritiker des Projekts mächtig Rückenwind erhalten: Prominente wie Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk und der Popstar Tarkan hatten sich der Kampagne zur Rettung von Hasankeyf angeschlossen. Neue archäologische Funde in der Gegend stärkten ebenfalls die Argumente der Damm-Kritiker: Forscher fanden Hinweise darauf, dass die Gegend um Hasankeyf bereits vor 15.000 Jahren besiedelt war.

"Unsere kritische Haltung zu Ilisu war von Anfang an richtig", erklärte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am Dienstag in Berlin. Doch möglicherweise wird der Rückzug der Europäer das Projekt Ilisu nicht beenden. Schon Wochen vor dem endgültigen Aus hatte Ankara erklärt, der Damm werde auf jeden Fall gebaut. Ende des Monats will Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Grundstück für die Retortenstadt "Neu-Hasankeyf" legen.

Nach der Entscheidung vom Dienstag muss die Türkei nun entscheiden, wie sie weitermachen will. Das deutsch-österreichisch-schweizerische Firmenkonsortium will abwarten, was Ankara jetzt unternimmt – möglicherweise sucht sich Ankara nun andere Partner, etwa in China oder in Russland. Vielleicht garantiert die Türkei das Projekt auch mit eigenen staatlichen Mitteln und treibt es weiter mit den europäischen Partnerfirmen voran. Fest steht aber schon jetzt, dass es jetzt keine Auflagen mehr für den Damm gibt. Die Freudenfeste am Tigris sind möglicherweise verfrüht.

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