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Kinder sollen glücklich sein. Nur, wie können sie es werden?

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Tissy Bruns: Wer soll unsere Kinder erziehen?

Über diese Frage wird immer wieder erbittert gestritten. Dabei haben alle dasselbe Ziel. Sie wollen, dass Kinder glücklich sind. Vier Thesen, mit wessen Hilfe es gelingen kann.

Man muss sie einfach lieben.

Was Mütter können, können nur Mütter, und mit ihrer Fähigkeit, den Nachwuchs zu säugen, hat das alles nur bedingt zu tun. Mütter können sich in einer Weise auf Kinder einlassen, wie es selbst die Prachtexemplare unter den fortschrittlichen Vätern kaum hinbekommen. Anteilnahme, Kraft, Disziplin und Ehrgeiz, mit denen Frauen ihre Kinder fördern, vernetzen, bilden, stark machen, trösten, sich mitfreuen, mitleiden und, ja: sie er- und großziehen, das macht den Müttern (noch) niemand nach. Würden die gut ausgebildeten, selbstbewussten und zielstrebigen deutschen Frauen des 21. Jahrhunderts dieselbe Energie in ihre Erwerbskarrieren stecken, würden sie sich also auf ihr eigenes Fortkommen so konzentrieren wie auf das ihrer Kinder, die Männer hätten ihre Konzernlenkerschreibtische längst räumen müssen. Sie leisten dort nicht halb so viel.

Jedoch, große Enttäuschung, die Mütter wollen nicht. Oder können nicht. Oder beides. Fragt man sie, sagen sie: Ja, wir wollen mehr Kinderbetreuungsplätze, wir wollen arbeiten. Aber viele, vielleicht die meisten, wollen nur Teilzeit. Und bei zwei oder mehr Kindern oft nicht einmal das. Dafür werfen sie sich gegenseitig vor, wahlweise Rabenmütter oder Heimchen am Herd zu sein. Zerbrechen sich den Kopf, fühlen sich schuldig, rechtfertigen sich. Gerade die Standard-Teilzeitarbeitmütter, von denen keiner spricht, weil sie so normal sind, zerreißen sich in ihrem Anspruch, allem und allen gerecht zu werden: Beruf, Kindern, Haushalt, Mann. Weshalb Letzterer mit Mutters Segen länger im Büro bleiben darf und sie ihm auch noch die Hemden bügelt. Ist zwar retro, aber dass er Erfolg haben soll und Frau dafür Opfer bringt, gehört zum heimlichen Partner- Komment auch in den aufgeklärtesten urbanen Milieus.

Ist es also falsch, verwerflich, vormodern, erzkatholisch, wenn man feststellt: Mütter leisten Großartiges? Bekommen sie wirklich die Hilfe, die sie brauchen? Antworten auf diese Fragen schuldet zunächst nicht der Staat, sondern allen voran der Partner, aber auch Eltern, Verwandte, Freunde, Kollegen und Arbeitgeber. Erziehung und wie man sie organisiert, ist und bleibt zuallererst Privatsache. Das Modell, mit dem beide Partner gut leben und sich weiter lieben können, ist das beste. Es ist auch das beste Modell für die Kinder. Zufriedene Partner bieten Kindern Freiheit und Verlässlichkeit, den Schonraum, in dem sie sich entwickeln können.

Alles, was Familienpolitik sinnvollerweise tun kann, ist, dieses individuell gestaltete Miteinander zu unterstützen. Partner in die Lage zu versetzen, ihre Kinder Freiheit und Verlässlichkeit in familiärer Gemeinsamkeit erleben zu lassen. Welches der eingesetzten oder diskutierten Mittel zur „Familienförderung“ sich für diesen Zweck eignet, kann man lang diskutieren. Alle sind es irgendwie. Eingeschlichen hat sich jedoch eine stärker werdende volkserzieherische Komponente. Über Familienpolitik sollen gesellschaftliche „Leitbilder“ verwirklicht werden. So erscheint der ideologische Starrsinn bei jenen, die das von der Koalition beschlossene Betreuungsgeld verteufeln, derzeit sogar noch größer zu sein als bei jenen, die es durchsetzen möchten. Aktuell soll „gute“ Familienpolitik herhalten, um bildungsarme migrantische Unterschichten zu integrieren, die Emanzipation der Frau zu vollenden, der Wirtschaft ein Arbeitskräftereservoir zu erschließen und zwecks Rentensicherung die Gebärquote zu steigern. Um nur ein paar Ziele zu nennen. All das ist gut und schön, hat mit Kindern und dem, was sie brauchen, jedoch wenig zu tun. Man kann da nur von Müttern lernen: Sie fragen nicht. Kommen Kinder, nehmen sie sie in den Arm. Mütter muss man einfach lieben.

Jost Müller-Neuhof

Väter

Kerle, ab ins Kinderzimmer! Väter sind die besseren Mütter.

Ein Sommer am Familienstrand. Schippe, Schaufel, Sandburg. Und mehrere Paar leuchtender Augen. In den Gesichtern der Kinder, klar. Aber noch mehr Begeisterung leuchtet aus denen der Väter, wenn sie den Feuchtstreifen zwischen Wasserlinie und Sonnenschirmen untertunneln dürfen und Befestigungstürme aus Plastikeimern gießen. Schon mal eine Mutter beim Strandumgraben gesehen, womöglich eine, der man ansähe, dass sie die Welt darüber vergessen hat? Eben. Haben Sie eine einzige Freundin, die aus mehr als Pflichtgefühl Puppentheater spielt oder bäuchlings im Kinderzimmer Märklins Starterkit Spurbreite H0 zusammenstecken würde? Die nicht schon mal beim Kaffee, so unter Pfarrerstöchtern, gestanden hätte, dass sie das Bespaßen des Nachwuchses für den härtesten Teil ihres Mutterdaseins hält?

Wer das als privaten Klatsch abtut, möge sich an die Statistik halten. 2006 reagierte Deutschland mit einem Aufschrei, als der 7. Familienbericht der Bundesregierung es an den Tag brachte: Nicht berufstätige Mütter, die doch eigentlich alle Zeit fürs Kind haben sollten, verbringen gerade mal 20 Minuten mehr pro Tag mit ihren Kindern als die vollzeiterwerbstätigen Schwestern in Schweden und Frankreich. Die deutsche Mutter – eine fromme Lüge. Aber vielleicht eine, die weiterbringen könnte auf dem Weg zu einer kinderfreundlicheren Welt. Überlassen wir die Kinder doch lieber den Vätern. Wenn der Mensch beim Spiel am ehesten bei sich selbst ist, dann sollten wir den homo ludens schlechthin, das Kind, nicht mit Erwachsenen zusammenspannen, die daran anscheinend so wenig Spaß haben. Bringen wir sie lieber mit Gleichgesinnten, zusammen: ihren Vätern. Kerle, übernehmt endlich die Kinder!

Die Zeit und Energie, die so frei würde, könnten Frauen in lauter nützliche Dinge investieren: länger arbeiten und sich nicht nur eine eigene – oder deutlich bessere – Rente erwirtschaften. Papas Ernährerrolle erleichtern. Und nebenbei ein bisschen die Welt verbessern: Quoten würden zum Unwort, die wären einfach erreicht, und die stärkere Präsenz von Frauen am Band, im Büro und an der Hobelbank würde die Betriebskultur radikaler verändern als alle frommen Wünsche: kürzere Sitzungen, weniger heimliche Tagesordnungen von der Art, bei der es mehr um (langatmige) Selbstdarstellung der anwesenden Schlipsträger als um die Sache geht, deretwegen man angeblich zusammensitzt.

Die Welt, die so entstünde, wäre nicht nur gerechter, sie würde auch besser funktionieren. Schließlich mühen sich die fortgeschritteneren von Deutschlands Unternehmen nicht deshalb um mehr Frauen, weil sie spät den Feminismus entdeckt haben, sondern weil sie wissen, dass bunte Teams – ethnisch, kulturell und geschlechtergemischt – bessere Ergebnisse bringen als monochrom anzuggraue.

Und die Väter? Die wären im Kinderzimmer nicht nur öfter bei sich selbst. Sie fänden beim Pendeln zwischen Spiel- und Arbeitsplatz auch im Job endlich Arbeitsbedingungen vor, von denen sie selbst heimlich schon lange träumen. Und könnten am Muttertag endlich einmal mit Fug und Recht sagen: Danke, Mama.

Andrea Dernbach

Gesellschaft

Ein Anwalt für jedes Kind. Über die Grenzen herrscht Verunsicherung.

Das Verhältnis von Eltern und Kindern hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ähnliche kulturelle Revolution erlebt wie das zwischen Männern und Frauen – offenbar hat es sich zum Guten entwickelt. Empathie und Verantwortung sind typisch für die Haltung der meisten Mütter und Väter zu ihren Kindern. Junge Erwachsene sehen in ihren Eltern ihre wichtigsten Vertrauenspersonen, die Gewalt in der Erziehung ist zurückgegangen. Kinder brauchen Geduld und Zeit, Lob ist besser als Strafe, klare Regeln helfen, Vorlesen ist besser als Fernsehen – so wird in traditionellen bürgerlichen Familien, im liberalen Mittelschichtenmilieus oder bei den sogenannten kleinen Leuten gedacht. Die Liste der gemeinsamen Erziehungspostulate ist länger, als der gelegentlich aufflackernde Streit um das Erbe der „68er“ vermuten lässt.

Und doch ist Erziehen schwieriger geworden. Weil fast alle Kinder Wunschkinder sind, weil aufgrund der demografischen Entwicklung viele Menschen sehr kinderfrei leben, erzieht die Gesellschaft zwar mit wie eh und je. Aber über ihre Verantwortung und deren Grenzen herrscht Verunsicherung. Familie, früher in höchster Selbstverständlichkeit die „Keimzelle“ von Staat und Gesellschaft, ist unübersichtlich geworden. Kinder hatten alle, man musste nicht viel für sie tun. Heute ist sie traditionell, ehelich, nicht ehelich, Ein-Eltern- oder Patchworkfamilie, da hat der Staat sich herauszuhalten. Kinder gelten als Privatsache. Das paradoxe Ergebnis ist: Im deutschen Versorgungsstaat ist die Eigenverantwortung nirgendwo so ausgeprägt wie bei ihren schwächsten Mitgliedern. Kinder brauchen starke Eltern – wer die aber nicht hat, kann sich manchmal auf niemanden verlassen.

Das Grundgesetz gibt ein anderes Versprechen. Artikel 6 stellt die „staatliche Gemeinschaft“ an die Seite der Kinder; sie soll wachen über die Betätigung der Eltern, deren „natürliches Recht und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ die Erziehung der Kinder ist. Im Schatten der ungelösten sozialen und unbearbeiteten Migrationsprobleme wachsen viele Kinder auf, die diese staatliche Gemeinschaft brauchen, am besten nicht als staatliches Kontra, sondern als Unterstützung von Eltern und Kindern.

Aber auch in intakten Verhältnissen geraten die besten Grundsätze oft in Bedrängnis. Eltern, Lehrer und Erzieher stehen unter dem Druck von Überforderungen, klagen übereinander und werden vom schlechten Gewissen begleitet. Denn die guten Erziehungsvorsätze scheitern oft genug am Zeit- und Mobilitätsdruck. Die industrielle Revolution hat die Großfamilie zerstört; wie sich die Kleinfamilie in der beschleunigten Welt von heute behauptet, ist eine ernsthafte Frage.

Womöglich gelingt es der Familie, die Gesellschaft zu erziehen. Für das flexible Individuum zählt das Hier und Jetzt, dem es sich ständig anpassen muss. Wir beklagen Ellenbogenmentalität und Egoismus. Dabei wollen die meisten Menschen gar nicht so leben. Und doch bestimmt die Arbeits- und Wirtschaftswelt den Takt für alle. Fast ist es, als hätten wir keine Zeit mehr, um über gestern und heute nachzudenken. Wir werden mitgerissen und getrieben von einer Beschleunigung, die kein Innehalten zulässt. Doch „Erziehung“, das Leben mit Kindern ist kaum vorstellbar, ohne sich selbst und die Nachkommen einzuordnen in einen Kontext, der weiter und größer ist als das einzelne Individuum. Kinder sind die Sehnsucht nach dem Besseren, das möglich ist. Nicht nur für Eltern und Großeltern. Wo der Ehrgeiz der Gesellschaft schwach wird, wenn sie nicht mehr alle Kinder als „ihre“ Kinder wahrnimmt, verliert sie ihre Zukunft.

Tissy Bruns

Religion

Gegen den Restzweifel. Kinder lieben Warum-Fragen, Religionen beantworten sie.

Ein Kind, das geboren wird, muss sich nicht nur zurechtfinden, sondern findet sich bereits vor. Als Junge oder Mädchen, mit weißer oder schwarzer Hautfarbe, umgeben von Armut oder Reichtum. Einen großen Teil seines Schicksals mag dieses Kind später in eigenen Händen halten, andere Prägungen wird es als Elemente seiner Identität verstehen und akzeptieren lernen müssen. Eines dieser Elemente ist sehr oft der Glaube. Er lehrt: Tue so, als seist du allein deines Glückes Schmied, aber wisse, dass du es nicht bist!

Global gesehen ist der religiöse Glaube die Norm, der Unglaube die Abweichung von der Norm. Selbst Atheisten leben ja nicht aus sich heraus, sondern in Abgrenzung. Ohne Gott kein Atheismus. Numerisch wachsen die vier

größten Religionsgemeinschaften – Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus – stetig an. Die Entwicklung in Berlin, Deutschland und Europa bildet eine Ausnahme. Sie verleitet zur anmaßenden Annahme, dass Glauben etwas Exotisches, Unaufgeklärtes, Unfreies sei.

Solche ressentimentbeladenen Vorurteile können das Zusammenleben mit Menschen aus jenen Kulturen erschweren, in denen Glaube selbstverständlich ist. Wer seine eigene Identität kennt, respektiert auch andere Identitäten. Tue so, als sei dein eigener Glaube richtig, aber wisse, dass andere Menschen dasselbe über ihren Glauben sagen. In diesem Sinne führt religiöse Erziehung zur Toleranz. Moral lässt sich auch im außerreligiösen Rahmen lernen. Doch dieses Erlernte hat aus sich heraus oft keine starke Bindungskraft.

Darüber hinaus allerdings besteht der Wert des Glaubens, um es paradox zu sagen, in seiner Nutzlosigkeit. Sein Wesenskern entzieht sich dem Kosten-Nutzen-Kalkül, der Zweckrationalität. Das Streben nach Glück, Wohlbefinden und Trost ist zwar ein legitimer Weg zum Glauben, aber es geht in diesem nicht auf. Wie die Liebe ist der Glaube vielleicht sinnvoll, aber in erster Linie zweckfrei.

Kinder lieben Warum-Fragen, auf die alle Religionen Antworten haben. Feste Übermittlungsnarrative, unverändert tradiert von den Ahnen bis ins Jetzt, geben ihnen Halt. Das Wechselspiel aus Prosa und Poesie, Erklärung und Mysterium, Chaos und Ordnung spiegelt ihre eigenen Urerfahrungen. Überdies stellt sie ihr Glaube in einen grenz- und kulturübergreifenden Solidaritätszusammenhang. Ein Christ in Deutschland weiß sich mit einem Christen in China verbunden, ein Muslim in Deutschland mit einem Muslim in Indonesien, ein Jude in Deutschland mit einem Juden in Israel.

Was den Kindern erst nach und nach begreiflich gemacht werden kann, sind die Paradoxien des Glaubens – sich aus freiem Willen auf einen höheren Willen zu verpflichten; die Sorgen um das eigene Ich nicht über das Sorgen für andere zu stellen; etwas um seiner selbst willen zu tun. An dieser Stelle verwandelt sich der präreflexive Vollzug von Riten in spirituelle Ernsthaftigkeit. Überdies nimmt der Gläubige vieles auf sich. Manchmal wird er verlacht, manchmal verjagt, manchmal bedroht, manchmal verfolgt. Diese Erfahrung lehrt, dass es höhere Ziele gibt als das eigene Glück, das individuelle Überleben oder den eigenen Wohlstand.

Wer soll Kinder erziehen? Vielleicht sind Vater, Mutter und/oder Gesellschaft goldrichtig. Wer Restzweifel spürt, sollte an die Macht des Glaubens glauben.

Malte Lehming

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