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Politik: Tod der Elite

Professoren, Ärzte und Ingenieure verlassen scharenweise den Irak – um der Ermordung zu entgehen

Dies ist der Versuch zweier irakischer Wissenschaftler, die Intellektuellen des Landes aufzulisten, die seit Beginn des Irakkrieges ermordet oder verschleppt wurden. Den Angaben zufolge fielen die meisten davon Aufständischen zum Opfer, ein kleiner Teil wurde von US-Soldaten getötet. Seit Kriegsbeginn sollen mehr als 1000 Intellektuelle getötet worden sein. Deshalb macht diese Liste das Ausmaß des Mordens nur zum Teil deutlich. Tsp

Fuad Ibrahim Mohamed war ein energiegeladener Mann. Der Dekan des Germanistik-Fachbereichs an der Universität Bagdad wollte nach dem Sturz Saddam Husseins an die traditionell engen Bande zwischen Deutschland und Irak anknüpfen. Er kämpfte für den Wiederaufbau der Fachbereichs-Bibliothek, die durch Plünderungen nach der amerikanisch-britischen Invasion im Mai 2003 zerstört worden war. Dabei bekam er Hilfe vom deutschen Außenministerium. Im Februar 2005 war er zuletzt in Deutschland, unter anderem an der Universität Gießen. Zwei Monate später, im April 2005, wurde Fuad Ibrahim Mohamed von Unbekannten in seinem Wagen erschossen, als er morgens in Bagdad zur Arbeit fuhr.

Etwa ein halbes Jahr später, im November 2005, wurden innerhalb weniger Tage in Bagdad fünf der führenden Ärzte der Hauptstadt ermordet. Insgesamt sollen mehr als 150 herausragend qualifizierte Ärzte getötet worden sein, mehr als 3000 Akademiker haben allein im vergangenen Jahr den Irak verlassen, berichtete die Zeitung „Al Sharq al Awsat“. Die schwierigen Lebensumstände und die Angst um das eigene Leben haben damit zu einer neuen Fluchtwelle des bürgerlichen Mittelstandes mit akademischer Ausbildung geführt. Ein neuer „brain drain“, der die Zukunft des instabilen Landes schwer belastet.

Dabei zog der Irak einst die besten Studenten aus der gesamten arabischen Welt an. Seine Universitäten und Kunstakademien waren führend in der Region. Professoren und Lehrkräfte waren zum großen Teil im Ausland ausgebildet, möglich machten dies großzügige staatliche Stipendien für Zehntausende Post-Graduate-Studenten jährlich. Doch das Niveau der Ausbildung verfiel mit mehreren Fluchtwellen der besten Akademiker: Unter der Diktatur Saddam Husseins sollen bis zu vier Millionen Iraker ihr Land verlassen haben. Die UN-Sanktionen, die zu einer weiteren Verarmung der Iraker führten, die Erneuerung technischer Geräte und die Einfuhr von Fachbüchern verhinderten, ließen viele Professoren, Ärzte und Ingenieure auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen das Land verlassen.

Von 1995 bis 2000 sollen nach irakischen Presseberichten 2000 Professoren in umliegende arabische Länder oder in den Westen gegangen sein. Zwar hofften viele der Exilanten, nach dem Sturz Saddam Husseins in ihre Heimat zurückkehren zu können. Doch die systematische Auflösung von Armee, Polizei und anderen staatlichen Strukturen führte zu einem gesetzlosen Freiraum, in dem Akademiker Opfer von Entführungen wurden, mit denen Kriminelle Lösegelder erzwingen konnten.

Militante extremistische Gruppen, die von dem Chaos profitieren und den Wiederaufbau des Irak verhindern wollen, werden indes hinter den Ermordungen von Ärzten, Professoren, Ingenieuren und Rechtsanwälten vermutet. „Iraker suchten während der 13 Jahre dauernden UN-Sanktionen im Ausland bessere Arbeitsmöglichkeiten, jetzt verlassen sie das Land, um der Ermordung durch unbekannte, wohlorganisierte Todeskommandos zu entgehen“, fasst der Politik-Professor Dhafir Salman die Entwicklung zusammen. Angesichts dieser Bedrohung ist auch die Verdoppelung der Gehälter von Akademikern im Staatsdienst, die im vergangenen Juni beschlossen wurde, kein Anreiz zum Bleiben.

Bis zum Sturz Saddam Husseins im Frühjahr 2003 regierte im Irak die Baath-Partei. Seither ließ auch die Ent-Baathifizierung, bei der allein die Mitgliedschaft in der Baath-Partei zum Arbeitsverbot führte, die Universitäten und Schulen ausbluten. So sollen in einem neuen Technologie-Department im benachbarten Syrien etwa 80 Prozent der Lehrkräfte Iraker sein. Etwa zehn Prozent ihres Lehrpersonals sollen irakische Universitäten nach Angaben Salmans bis 2004 allein durch Ent-Baathifizierung verloren haben. Ein Drittel der Entlassenen, die oft nur einfache Parteimitglieder waren, soll auch dem Irak den Rücken gekehrt haben. „Wer wird sie ersetzen ?“ fragt Salman.

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