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politkowskaja

© AFP

Todestag: Gedenken ohne Zwischenfall

Ein Jahr nach dem Mord an Anna Politkowskaja wollen Freunde ihren Tod nicht instrumentalisieren. Ex-Schachweltmeister und Hauptideologe des Anderen Russland, Garri Kasparow, blieb der Veranstaltung darum fern.

Die Oppositionskundgebung zum ersten Todestag der kritischen Journalistin Anna Politkowskaja sei ohne Zwischenfälle verlaufen, meldete am Sonntag die Moskauer Polizeizentrale. Kundgebungsteilnehmer sagten, die Ordnungshüter hätten sich, anders als bei früheren „Märschen der Unzufriedenen“, korrekt verhalten. Nach Angaben der Veranstalter hatten sich rund 700 Vertreter der Bewegung Anderes Russland am Moskauer Puschkin-Platz versammelt. Die Polizei bezifferte deren Zahl auf 200. Jedenfalls nahm sich das Häufchen der Protestierenden vor dem ersten McDonald’s der Ex-UdSSR recht kümmerlich aus.

Es gab mehr als eine Erklärung für die Trägheit der Moskauer. Schon seit Freitagabend hielt Nieselregen bei nur neun Grad Celsius an. „Der Himmel weint unserer Anna nach“, sagte eine Mittfünfzigerin. Trotzdem wurden auf dem Rasen Kerzen neben Bildern der Verstorbenen angezündet. Die Kundgebung nahm eine Resolution mit der Forderung an, die Mörder und die Hintermänner zu finden und zu bestrafen. Redner sprachen von der Notwendigkeit, die Korruption wirksam zu bekämpfen, und verlangten die Rücknahme des sogenannten Extremismus-Gesetzes. Damit gehe der Kreml verfassungswidrig gegen die Opposition vor, hieß es.

Der Hauptideologe des Anderen Russland, Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, kam nicht. Man sollte ein Trauerereignis nicht politisch missbrauchen, meinte er. Annas Journalistenkollegen von der „Nowaja Gaseta“ blieben der Veranstaltung mit ähnlicher Begründung fern. Sie hatten die Leser aufgefordert, sich auf ihrem alten Handy zu melden und nötigenfalls ihr Leid zu klagen, als würden sie jetzt mit Anna sprechen. Die Texte wollen sie an diesem Montag in einer Sonderausgabe abdrucken. Es gab Gedenkveranstaltungen auch in anderen russischen Städten. In Jekaterinburg versammelten sich etwa 200 Menschen.

Am 2. März 1995 waren mindestens 100 000 Menschen gekommen, um dem Fernsehjournalisten Wlad Listjew das letzte Geleit zu geben. Der Präsident Boris Jelzin richtete eine Ansprache an die Mitbürger. Das nationale Fernsehen stellte seine Sendungen für einen Tag ein. Listjew war am Vortag im Aufgang seines Hauses durch Pistolenschüsse getötet worden – genauso, wie elf Jahre später Politkowskaja. Er hatte mit Alexander Politkowski, ihrem damaligen Ehemann, das unabhängige Fernsehstudio Wsgljad gegründet. Der Unterschied zu der gestrigen Kundgebung war augenfällig. Gleichsam um den Kontrast zu verstärken, rollten mit neuem Lack blitzende Westautos an den Protestierenden vorbei. Wartezeiten für neue „Japaner“ betragen derzeit ein halbes Jahr. Bei Autodiebstählen hat Porsche Cayenne den VW Passat auf Rang zwei verdrängt. Menschen, die glauben, eine Feder aus dem Schwanz des Glück bringenden „blauen Vogels“ rausgerupft zu haben, sind mit Wladimir Putins souveräner Demokratie durchaus einverstanden.

„Die Fahnder sind Mördern der Journalistin Anna Politkowskaja auf die Spur gekommen“, erklärte der Leiter der neu gegründeten Zentralen Ermittlungsbehörde Russlands Alexander Bastrykin am vergangenen Dienstag. Einer von ihnen, der frühere Bezirkschef von Atschchoi Martan in Tschetschenien, Schamil Burajew, sei gefasst worden. Bei der Suche nach dem Auftraggeber sehe es zwar weniger gut aus, der Fall werde aber sicher aufgeklärt, so der Chefermittler. Es ist ein seltenes Phänomen. Annas Kollegen sind diesmal geneigt, ihm zu glauben.

Alexander Dubatow[Moskau]

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