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Toll-Collect: Alles nicht so toll: Der Bund und die Lkw-Maut

Die Lkw-Maut war 2005 mit großer Verspätung gestartet. Längst sollte Betreiber Toll-Collect Schadenersatz in Milliardenhöhe zahlen. Doch das Konsortium denkt nicht daran - und 2015 läuft der Vertrag aus. Wie will der Bund nun vorgehen?

Das haben der künftige Hauptstadtflughafen BER und die Lkw-Maut schon gemeinsam: Der Start ging völlig in die Hose. Und weil das Mautsystem für Lkws auf deutschen Autobahnen erst mit rund zweijähriger Verspätung 2005 eingeführt wurde, streiten sich das Toll-Collect-Konsortium (Daimler, Deutsche Telekom und das französische Unternehmen Cofiroute) und der Bund bis heute um Schadenersatz und Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Doch nun gibt es Bewegung. Der Bund ist dem Vernehmen nach bereit, auf fast fünf Milliarden Euro seiner Ansprüche zu verzichten, und vieles deutet auch darauf hin, dass er von einer Übernahmeoption Gebrauch macht, wenn der Vertrag mit Toll-Collect 2015 ausläuft.

Warum hat der Bund Ansprüche in Höhe von rund sieben Milliarden Euro erhoben?

Noch im Mai 2003 war der damalige Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) optimistisch: „Die Lkw-Maut kommt pünktlich zum 31. August“, sagte er im Deutschen Bundestag. Er sprach von einem „Quantensprung“ in der Verkehrspolitik. Auch in den Wochen danach äußerte er sich zuversichtlich, obwohl alle Zeichen bereits auf Verschiebung standen. Im Juli dann ein erstes Einknicken. Die Eröffnung wurde auf den 2. November verschoben. Doch auch dieser Termin war nicht zu halten. Am Ende startete die Lkw-Maut am 1. Januar 2005, und selbst das nur eingeschränkt. Richtig funktionsfähig war das ganze System sogar erst ein Jahr später. Da war Manfred Stolpe schon längst nicht mehr im Amt. Ausgehandelt hatte die Verträge noch Stolpes Vorgänger Kurt Bodewig (SPD). Und die sorgen bis heute für Ärger. Der Bund hat aufgrund der Verzögerung des Starts Schadenersatzansprüche in Höhe von 3,5 Milliarden Euro plus Zinsen und zusätzlich 1,6 Milliarden Euro plus Zinsen an Vertragsstrafen gegenüber dem Konsortium von Toll-Collect geltend gemacht. Das aber wehrt sich dagegen und hat seinerseits Forderungen von einer Milliarde Euro gegenüber dem Bund aufgestellt. Denn der behält rund 15 Prozent der jährlichen Vergütung für Toll-Collect mit Verweis auf den Streit um die Vertragsstrafen ein. Trotzdem bekommt Toll-Collect jährlich rund 500 Millionen Euro für das Mautsystem. Ein Schiedsgericht soll diese Streitigkeiten eigentlich seit Jahren klären. Beide Seiten haben je einen Richter benannt sowie gemeinschaftlich einen dritten. Nur ist der Vorsitzende Richter in diesem Jahr erkrankt und das Schiedsverfahren kommt nicht voran.

Warum jetzt der Verzicht?

Der Bund gerät zunehmend unter Druck. Denn es lief darauf hinaus, dass der Streit aus den Anfangsjahren des Vertrages bis zum Vertragsende 2015 immer noch nicht aus der Welt geschafft sein würde. Es verquicken sich Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsplanung. Denn es muss eine Lösung für die Zeit nach 2015 gefunden werden, und der Bund scheint beides nun miteinander zu verbinden. Hinzu kommt, dass das Schiedsverfahren den Bund bis Mai 2012 bereits 97,1 Millionen Euro gekostet hat. Gerade bei Union und FDP hielt man die Forderung von sieben Milliarden Euro Schadenersatz ohnehin für „überzogen“. Das sei maximal „Verhandlungsmasse“, heißt es bei der FDP. Und die setzt man nun wohl ein, um eine Gesamtlösung zu finden.

Macht ein Kauf von Toll-Collect Sinn?

Macht ein Kauf von Toll-Collect Sinn?

Experten, die eng mit dem Thema verbunden sind, würden den Schritt begrüßen. Allerdings nur, wenn der Bund auch wirklich als Betreiber fungieren würde. Nur so sei gewährleistet, dass er alle Freiheiten hat, wenn es um technische und infrastrukturelle Weiterentwicklung geht. Er sei auch an keine Vertragslaufzeiten gebunden und könne die Mauteinnahmen komplett für sich verbuchen, abzüglich der Betriebskosten. Ähnlich verfahren auch andere Länder, zum Beispiel Österreich. Das Problem könnte nur sein, dass der Bund mit der Übernahme von Toll-Collect zwar die Hülle des Systems erhält, also die technischen Anlagen, aber nicht die notwendigen Betreiberlizenzen. Die könnten auf Umwegen wiederum bei den derzeitigen Konsortialpartnern liegen. Deshalb erscheint auch eine Lösung denkbar, dass Teile des Konsortiums, beispielsweise die Telekom, als Pächter wieder mit dabei sind. Experten kritisieren genau das. Damit würde bei einer Übernahme das Unternehmen Toll-Collect nur reingewaschen zum Vorteil der Konzerne und zum Nachteil des Bundes. Es komme eben jetzt darauf an, was die Übernahmeoption alles beinhalte und wie gut man verhandle.

Alternativ zur Übernahme von Toll-Collect könnte der Bund den bestehenden Vertrag auch dreimal um je ein Jahr verlängern – um Zeit zu gewinnen. Zieht der Bund die Übernahmeoption nicht, braucht er die auch. Denn dann wird eine europaweite Ausschreibung zwingend, und der Bund ist jetzt schon spät dran, um auf diesem Weg einen Toll-Collect-Nachfolger bis 2015 zu finden. Vermutlich muss dann erst einmal der bestehende Vertrag verlängert werden. Das Bundesverkehrsministerium hat Ende Mai drei Berater für die zukünftige technische, wirtschaftliche und rechtliche Ausgestaltung des neuen Mautsystems benannt: Tüv Rheinland, die Anwaltskanzlei Beiten Burckhardt sowie die Unternehmensberatung KPMG. In der Koalition befürchten einige, dass das Verkehrsministerium kein großes Interesse an einer europaweiten Ausschreibung hat. Denn das könnte zur Folge haben, dass kein deutsches Unternehmen mehr mit an Bord ist.

Was ist Toll-Collect überhaupt noch wert?

Was ist Toll-Collect überhaupt noch wert?

Da gehen die Meinungen auseinander. Der Wert bemisst sich auch daran, welchen Auftrag Toll-Collect hat. Gibt es keinen Auftrag nach 2015 mehr für Toll-Collect, ist das Unternehmen im Prinzip auch nichts mehr wert – außer die Anlagen des Mautsystems. Und an diesem Punkt wird es knifflig: Die beiden großen Konzerne Telekom und Daimler haben für mögliche Strafzahlungen keine Rücklagen gebildet, weil man die Forderungen des Bundes nicht für gerechtfertigt hält. Nun ist der Bund wohl bereit, von den ursprünglich geforderten sieben Milliarden auf 2,4 Milliarden Euro herunterzugehen. Und selbst für die könnte es Kompensationsleistungen geben. Denkbar sei beispielsweise eine höhere Vergütung als bisher, was Toll-Collect und damit den Konsortialunternehmen hunderte Millionen Euro einbringen würde. Möglich wären auch Mittel zur Forschungsförderung als Ausgleich. Oder, und vieles deutet darauf hin, die Übernahme von Toll-Collect wird Teil der Kompensation. Damit müsste ein Teil der 2,4 Milliarden Euro gar nicht gezahlt werden. Allerdings warnen Koalitionspartner vor einem Minusgeschäft. Denn der Wert von Toll-Collect bemisst sich wohl „nur“ auf einige hundert Millionen Euro für die Infrastruktur des Unternehmens. Und selbst das, sagen Kritiker, ist durch die Vergütung für Toll-Collect in den vergangenen Jahren schon abgegolten. Hinzu kommt der Umkehrschluss: Würde der Bund Toll-Collect nicht übernehmen und das Unternehmen müsste abgewickelt werden, stünden dem Bund laut Vertrag die Erlöse zu, die durch einen Verkauf der Technik erwirtschaftet würden. Das heißt, wenn der Bund Toll-Collect zu einem überhöhten Preis übernimmt und zusätzlich auf Einnahmen aus dem Verkauf der Technik verzichtet, droht ein dickes Minus.

Wie effektiv ist das Mautsystem?

Dafür, dass das System mit so viel Kritik und Verspätung gestartet ist, läuft es recht stabil. Außerdem hat es weit mehr Geld eingebracht als ursprünglich angenommen. Seit August kommen überdies zusätzliche Einnahmen aus der Ausweitung des Systems auf wichtige Bundesstraßen. Und doch gibt es Kritik. So sei die Technik nicht leistungsfähig genug, um möglichst viele Kilometer Straße zu erfassen. Die Betreiber erhofften sich von dem System zudem Exporterfolge, doch die blieben bisher aus. Die europäischen Nachbarn setzten auf weniger aufwendige Technik.

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