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Tony Blair: Kriege, Kriecher, Kontrolleure

Vor seiner Aussage bei der Untersuchungskommission gerät Tony Blair für seine Rechtfertigung des Irakeinsatzes unter Druck.

Großbritannien wurde von einem „von der Macht berauschten“ Premier Tony Blair mit „alarmierender List und Täuschung“ in den Irakkrieg geführt. Dies sind nur einige der Vorwürfe gegen den früheren britischen Premier, die der ehemalige britischen Chefankläger Sir Ken Macdonald, einer der höchsten Staatsbeamten der Blair-Ära, in einem Meinungsbeitrag am Montag in der „Times“ gegen Blair erhob. Er warf Blair „Kriecherei“ vor der Macht der Amerikaner vor, die ihm „den Kopf verdreht habe“.

MacDonald gehört zu einer Reihe von hohen ehemaligen Diplomaten und Beamten, die im Zusammenhang mit den Irakanhörungen der Chilcot-Kommission Attacken auf Blair eröffneten. Großbritannien rüstet sich für ein dramatisches Stück Vergangenheitsbewältigung, wenn Blair Anfang des Jahres von der Kommission befragt wird. Viele Briten hoffen auf eine Abrechnung.

Neue Kontroversen löste ein BBC-Interview Blairs am Sonntag aus. Während Blair beim Klimagipfel in Kopenhagen eine Rede hielt, strahlte die BBC ein Porträt über seinen Glauben an Gott aus. Auf die Frage, ob er die Irakinvasion auch im Wissen angeordnet hätte, dass es dort keine Massenvernichtungswaffen gibt, sagte Blair: „Ich wäre immer noch der Meinung gewesen, dass es richtig ist, Saddam Hussein zu entfernen.“ Dann fügte er hinzu: „Natürlich hätte man dann andere Argumente anwenden müssen.“

„Endlich deutet Blair die schändliche Wahrheit an“, kommentierte die „Daily Mail“ am Montag, dass nämlich die „Lügen über Massenvernichtungswaffen“ nur den Vorwand für eine Invasion liefern sollten. Auch der frühere UN-Waffeninspekteur Hans Blix sprach von „mangelnder Ehrlichkeit“. Die UN-Inspektionen hätten vor der Invasion gezeigt, dass Saddam vermutlich keine Waffen habe, das sei „nur ein Feigenblatt“ gewesen.

Der amtierende Labour-Verteidigungsminister Bob Ainsworth war spürbar befremdet von Blairs Bemerkung und erinnerte an die damalige Abstimmung im Unterhaus. „Ich habe den Krieg auf Grundlage der Argumente und meines festen Glaubens unterstützt, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besaß.“

Blair betonte in den letzten Jahren immer wieder, er habe nach seinem Gewissen gehandelt und sei überzeugt gewesen, „das Richtige getan“ zu haben. Iraks Außenminister Hoschjar Zenbari stimmte zu. „Als Iraker, die das Leiden von Saddam Husseins Regime mitgemacht haben, unterstützen wir Tony Blairs Stellungnahme.“ In einem seiner vernichtendsten Sätze weist MacDonald diese Rechtfertigung Blairs zurück: „Es ist eine narzisstische Verteidigung. Glaube an sich selbst ist keine Antwort auf eine falsche Entscheidung.“

Anfangs waren im Irak 46 000 britische Soldaten stationiert – das größte ausländische Truppenkontingent nach den US-Streitkräften. 179 britische Soldaten starben beim Irak-Einsatz. Der Einsatz der Briten endete offiziell im Juli. Ende November begannen in London öffentliche Anhörungen zur britischen Beteiligung am Irak-Krieg.

Die Chilcot-Anhörung lieferte Hinweise, dass Blair schon fast ein Jahr vor der Invasion, beim Gipfeltreffen in Crawford, Texas, hinter Präsident George W. Bushs Politik eines gewaltsamen „Regime Change“ einschwenkte. Verschiedene Militärs bestätigten bei den Anhörungen, sie hätten ein Jahr vor der Invasion im Geheimen mit Kriegsplanungen beginnen müssen. Beamte des Foreign Office berichteten, sie seien von den zunehmenden Hinweisen auf eine „Regime-Change“-Politik der Amerikaner „alarmiert“ gewesen. Allerdings ging aus den Anhörungen auch hervor, dass sich Washingtons Politik schon unter dem demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton in Richtung auf einen Machtwechsel im Irak hin entwickelte.

Blair wiederum hatte bereits 1999 in einer seiner wichtigsten Reden in Chicago die Doktrin „liberaler“ oder „humanitärer“ Militärinterventionen aufgestellt, so wie Großbritannien sie dann 2001 in Sierra Leone erfolgreich praktizierte. Einer der Mitautoren dieser Rede war der Historiker Lawrence Freedman – der nun Mitglied der Chilcot-Kommission ist.

Journalisten haben der Kommission immer wieder vorgeworfen, Zeugen nicht scharf genug zu befragen. Andeutungen der Kommission, nach denen Blair über seine Beziehung mit Präsident Bush aus Gründen der nationalen Sicherheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden könnte, haben schließlich zusätzliche Empörung ausgelöst.

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