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Politik: Tour de Deutschland

Von Stephan-Andreas Casdorff

Dieses Land der Selbstgefälligkeit, der grantigen Weinerlichkeit. Da gibt es einen Topathleten, der sich nach Verletzungen immer wieder aufs Rad schwingt, mit Schnittwunden und Blutergüssen, gegen die nur eine tägliche AkupunkturNadelei hilft, der in einer Verfassung ist, dass sich andere vier Wochen lang krankschreiben ließen – und doch sind wir, die Couch Potatoes, die Nebenberufsstrampler, die Hauptbesserwisser nicht zufrieden. Ja, auch so sind wir, die Deutschen.

Sage keiner, es gebe da gar keine (zu politisierenden) Parallelen. Ob Lance Armstrong nicht doch, trotz aller Ablehnung hierzulande, der Sieger ist, den wir gerne hätten? Wie er seine Mannschaft führt – straff. Das ist eine Einheit. Da ist immer Ordnung drin, auch hierarchische. Wie die Mannschaft fährt – sie greift an. Sie zielt auf die Psyche ihrer Gegner. Und mittendrin der Chef. Der Dirigent. Ein Befehlshaber. Dazu diese Eigenschaften, allesamt bekannte Sekundärtugenden: Treue, Härte, Unterordnung, Gehorsam, Hingabe, Aufopferungsbereitschaft. Denken wir an Armstrongs Kameraden George Hincapie: selbstbewusst und zurückhaltend in einem. Aktuell und altbekannt. Mit so was kann man wahrscheinlich überall bestehen, auch in der Wirtschaft, in der Weltwirtschaft.

Dagegen Jan Ullrichs Team. Mehr oder weniger drei Kapitäne, und alle machen mehr oder weniger, was sie wollen. Eine sehr demokratische Veranstaltung, ein jeder nach seiner Façon, selig über die kleineren Dinge, freundlich, lieb(enswerter). Das sagt Ullrich selber: vielleicht zu lieb für manchen Toursieg. Nicht ohne Erfolg, aber ohne den ganz großen. Das ist, im Übrigen, ein wenig von der Zivilität, die sich die Amerikaner immer wünschten, als sie auf uns Deutsche schauten. 60 Jahre der Zurückhaltung lassen sich hier auch nicht einfach wegkommandieren.

Und doch ist da eine kleine Sehnsucht. Nagt da was, dass wir Deutsche mit unseren Tugenden geschlagen werden sollen. Oder nagt womöglich außer in „Bild“ nichts mehr? Sind wir zufrieden, so wie wir sind? Das wäre ja auch was. Nur was?

Vielleicht das: die Erkenntnis. Sie wäre nicht einmal eine unsympathische. Sportlich betrachtet ist es so, dass Jan Ullrich der sein darf, der er ist, wie dieser Tage die Fachleute schrieben: ein Weltklasse-Radfahrer, der nach elf Profi-Jahren noch immer ein außergewöhnlich hohes Niveau hat. Dem in den nächsten Jahren auch immer noch und immer wieder ein großer Sieg zuzutrauen ist. Nur eben einer, der es sich leichter macht und uns schwerer, sich in ihm wiederzufinden. In der Vorstellung, dass wir doch eigentlich schneller und besser sind. Es ist, wie es ist. Und wir wissen: Er ist, wie wir sind. Auch so sind wir, die Deutschen.

Und… Da ist sie wieder, die Parallele zur Politik. Wie macht er weiter? Will er sich schinden, noch einmal, noch einmal richtig? Oder hat er genug, reicht es ihm? Oder reicht es ihm, viel Geld für weniger Arbeit zu bekommen? Das klingt in diesen Tagen nicht so weit hergeholt. Wer die Woche anschaut, nicht nur die der Tour, sondern die der Tortur in Deutschland, und wer die Worte des Präsidenten nachklingen lässt, der wird es heraushören. Horst Köhler – der Mann, der im Ausland gelebt hat, in Amerika, dem Land des Lance Armstrong – möchte uns Siegeswillen einimpfen. Den unbedingten. Damit wir in der Weltwirtschaft bestehen. Dabei ist die Lage nun mal so: In manchen Feldern sind wir Erste, Zweite, Dritte, Vierte. Und nur selten hintendran.

Also was lehrt uns die Tour? Wir haben große Talente. Wir haben Ziele. Wir kommen an. Zusammenhalt zahlt sich aus. Das Prinzip stimmt, im Prinzip. Im Team schlägt uns so schnell keiner.

Ein Aber? Ja. Wir sind nicht zufrieden. Wir wollen die Besseren sein. Die besseren Amerikaner. Wenn man einmal im Leben mit dem Zweitbesten vorlieb nimmt, dann erreicht man immer wieder nur das Zweitbeste – sagte kein Deutscher. Sagte John F. Kennedy. Typisch. Wir haben Horst Köhler. Warten wir nicht ab, was er zu Jan Ullrich sagt.

Denn wir sind wieder wer: Dritter.

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