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Werbung im Göttinger Klinikum.

© dapd

Transplantation: Organspende-Skandal offenbart Schwächen des Systems

Die jüngsten Manipulationsvorwürfe in der Göttinger Universitätsklinik lassen daran zweifeln, wie transparent und fair Transplantationen wirklich verlaufen. Damit Transplantationen fair verlaufen, sollen die Kriterien überprüft werden.

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Bei diesem Thema geht es vor allem um Vertrauen. Wer sich dafür entscheidet, irgendwann einmal seine Organe zu spenden, erwartet einen verantwortungsvollen und gerechten Umgang damit. Die jüngsten Manipulationsvorwürfe in der Göttinger Universitätsklinik aber lassen daran zweifeln, wie transparent und fair Transplantationen wirklich verlaufen. Über den Vorfall seien die Menschen zu Recht „geschockt und berührt“, sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums am Freitag. Man erwarte von den beteiligten Organisationen nun Vorschläge zur Verbesserung der Verfahren.

Es scheint, als sei das System, in dem die entscheidenden Aufgaben von privatrechtlichen Stiftungen übernommen werden, zumindest anfällig für Betrug. Dabei sind die Kriterien klar formuliert – von der Bundesärztekammer, die auch die Organverteilung beaufsichtigt. Vermittelt werden die gespendeten Organe von der Stiftung Eurotransplant mit Sitz im holländischen Leiden. Sie muss den Überblick über ein Einzugsgebiet von 124 Millionen Menschen und sieben Ländern wahren: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien. Nur im Ausnahmefall erhalten Staatsbürger anderer Länder ein Organ – gemäß einer Selbstverpflichtung in maximal fünf Prozent der Fälle. Die Stiftung führt in ihren Wartelisten aktuell etwa 15 500 Menschen.

Die Daten aller wartenden Patienten und die Daten gespendeter Organe laufen bei Eurotransplant zusammen. Werden Spender gemeldet, ermittelt die Stiftung computergesteuert passende Empfänger von der Warteliste. Die Kriterien unterscheiden sich dabei von Organ zu Organ. Für die Vermittlung von Nieren etwa wird die Übereinstimmung von Blutgruppe und Gewebemerkmalen berücksichtigt. Bei der Leber-Vermittlung spielen Größe und Gewicht des Spenders und damit des gespendeten Organs eine Rolle.

Entscheidend bei alledem ist aber die Dringlichkeit der Transplantation. Um diese zu beurteilen, wird aus objektiven Laborwerten der sogenannte MELD- Score berechnet. Dieser ist, basierend auf den gemessenen Bilirubin-, Kreatinin- und Blutgerinnungswerten, ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass der Wartende in den nächsten drei Monaten ohne Organtransplantation stirbt. Sobald die Empfänger feststehen, wird das zuständige Transplantationszentrum durch Eurotransplant informiert. Der behandelnde Arzt entscheidet dann vor Ort, ob das Organ transplantiert werden kann.

Göttingen: zwei Mediziner unter Tötungsverdacht wegen Korruption

In Göttingen haben zwei Ärzte offenbar diese Vorschriften umgangen. Sie stehen unter Verdacht, in 25 Fällen Labordaten gefälscht zu haben, um Patienten, womöglich gegen Geld, eine schnellere Transplantation zu ermöglichen. Mittlerweile sind sie „bis auf Weiteres“ freigestellt. Gegen sie wird wegen möglicher Bestechung und wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zeigt sich „zutiefst bestürzt“, wie der Medizinische Vorstand Günter Kirste sagt. Seine Stiftung ermöglichte 2011 die Transplantation von 3917 Spenderorganen, geriet aber wegen ihres großzügigen Umgangs mit Geldern in Verruf. Die DSO übernimmt alle weiteren Schritte zur Transplantation, einschließlich des Organtransports. Ihre fast 70 Koordinatoren bilden die Schnittstelle zwischen den Kliniken, den gut 40 Transplantationszentren, Eurotransplant und den Angehörigen der Spender. Zwar betont die DSO, dass sie eng mit Politik und Medizin kooperiere, wirklich überwacht wird sie genau wie Eurotansplant aber kaum. Die Stiftungen arbeiten quasi in einem geschlossenen System, was Experten seit langem kritisieren. Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, verlangte jetzt, dass stets ein weiterer Arzt die Laborwerte kontrolliert, bevor sie an Eurotransplant geschickt werden.

Im August tritt eine Gesetzesänderung in Kraft, wonach alle Bürger künftig nach ihrer Organspendebereitschaft gefragt werden. Fast zeitgleich wurden sie durch den Göttinger Fall wieder verunsichert. „Das Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen, wird uns alle viel Anstrengung kosten“, sagt DSO-Vorstand Kirste. Gesundheitspolitiker von Regierung und Opposition fordern scharfe Strafen für die Ärzte, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Und manche denken inzwischen auch darüber nach, ob es nicht besser wäre, das hochsensible Organspendewesen in staatliche Hand zu legen.

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