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Trauerfeier für tote Soldaten: Sinnfragen

Verteidigungsminister Guttenberg bittet bei der Trauerfeier für vier in Afghanistan getötete Soldaten im Ingolstädter Münster um Verzeihung.

Von Sabine Beikler

Die Stille im mächtigen, spätgotischen Münster „Zur Schönen Unserer Lieben Frau“ in Ingolstadt war berührend. In den ersten Reihen der katholischen Kirche saßen vor Beginn der Trauerfeier am Samstagmittag die engsten Angehörigen und Freunde der vier am 15. April bei zwei Taliban-Angriffen in der nordafghanischen Provinz Baghlan gefallenen Soldaten. Die Frauen und Männer umarmten und berührten sich und hielten sich fest in ihrem gemeinsamen Schmerz ob des getöteten Vaters, Ehemanns, Sohnes, Onkels, Bruders, Kameraden oder guten Freundes. Die vier Särge waren in Deutschlandfahnen gehüllt, der Gefechtshelm obenauf, die Ordenskissen davor, daneben Mitglieder der Ehrenwache und im Hintergrund die Porträtfotos von Stabsunteroffizier Josef Kronawitter, Oberstabsarzt Thomas Broer, Major Jörn Radloff und Hauptfeldwebel Marius Dubnicki. Davor wird Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) später die Worte sprechen, die die Bundeswehr und die Bevölkerung auf weitere Verluste bei Auslandseinsätzen einstimmen sollen. „Nach den Gefechten vom 15. April und vom Karfreitag ist deutlich geworden, was wir vielleicht zu lange nicht wahrhaben wollten: Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein – wohl nicht nur in Afghanistan“, sagte Guttenberg. Tod und Verwundung dürften trotzdem „niemals, wirklich niemals zur Routine werden“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) saß sichtlich berührt neben Angehörigen der getöteten Soldaten in der ersten Reihe, gegenüber in der ersten Kirchenbank nahmen Guttenberg und Gattin Platz. Hinter Merkel setzte sich Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP). Gäste der Trauerfeier waren außerdem die Ministerpräsidenten aus Bayern und Baden-Württemberg, Horst Seehofer (CSU) und Stefan Mappus (CDU), SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der afghanische Außenminister Salmai Rassul sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker.

Es war das zweite Mal, dass Merkel an einer Trauerfeier für gefallene deutsche Soldaten teilnahm. Im Gegensatz zur Zeremonie vor gut zwei Wochen im niedersächsischen Selsingen für die drei am Karfreitag in Kundus ebenfalls von Taliban getöteten Soldaten aber sprach sie in Ingolstadt nicht. Kurz vor Beginn der ökumenischen Andacht verneigte sie sich gemeinsam mit Westerwelle und Guttenberg vor jedem einzelnen Sarg. Ihre Miene war ernst und versteinert, auch ohne Worte sah man Merkel ihre emotionale Betroffenheit an.

Die getöteten Soldaten hätten ihren Dienst tapfer erfüllt, „sie haben ihr Leben eingesetzt und wurden Opfer hinterhältiger, feiger Anschläge“, sagte Guttenberg. Dennoch bleibe die „Frage nach dem Sinn“. Die Antwort habe auch mit einer Gesellschaft zu tun, in der Worte wie „Dienen“ oder „Tapferkeit“ als altmodisch gelten würden. Deutsche mit und ohne Uniform dürfen nicht „aneinander vorbeileben“ und der „Ruf nach Hilfe“ nicht einseitig Gehör finden. Darauf müsse geachtet werden. Viele würden das auch heute noch nicht gerne hören – „aber es stimmt: Dass in Afghanistan für unser Land, für dessen Menschen, also für jeden von uns, gekämpft und gestorben wird“. Der Verteidigungsminister wies in diesem Zusammenhang auf die Regierungserklärung der Kanzlerin hin. „Eindrücklich“ habe Merkel dies für die Bundesregierung vergangenen Donnerstag gesagt. Der Bundestag hat erst im Februar das Mandat für den Einsatz in Afghanistan um weitere zwölf Monate verlängert. 4200 Soldaten sind zurzeit dort stationiert, 43 deutsche Soldaten sind seit 2002 in Afghanistan ums Leben gekommen.

Guttenberg bat die Angehörigen der getöteten Soldaten vor rund tausend Gästen im Münster, darunter sowohl Soldaten als auch zivile Gottesdienstbesucher, „in politischer Verantwortung“ um Verzeihung. Die vier Soldaten waren am 15. April bei schweren Kämpfen in der nordafghanischen Provinz Baghlan getötet worden. Sie waren zwischen 24 und 38 Jahre alt. Josef Kronawitter und Marius Dubnicki waren in Ingolstadt stationiert, Jörn Radloff in Weiden. Sie alle kamen bei der Explosion einer Sprengfalle ums Leben. Thomas Broer war an diesem Tag bei einem zweiten Angriff von Taliban-Kämpfern auf ein Sanitätsfahrzeug durch eine Granate getötet worden. Der Oberstabsarzt war in Ulm stationiert. Er ist der erste deutsche Sanitätsoffizier, der nach dem Zweiten Weltkrieg gefallen ist.

Den ökumenischen Gottesdienst hielten der evangelische Militärdekan Matthias Heimer und der katholische Militärgeneralvikar Walter Wakenhut. 3000 Zuschauer verfolgten die Andacht, die auf Bildschirmen übertragen wurde, vor dem Münster. Es war auch im Freien kaum ein Wort zu hören. Viele Soldaten in grauem Dienstanzug und rotem Barett lauschten den einfühlsamen Worten, sie hatten Tränen in den Augen. Eine Soldatin erlitt einen Schwächeanfall und musste sich auf den Boden setzen. Lauten Protest gab es nicht, nur stille Trauer. Ein Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt hielt eine Papptafel mit den Worten „Der Landkreis Passau trauert um Josef Kronawitter“ hoch. Eine Frau stand still mit einem Plakat da, auf das sie geschrieben hatte: „In Trauer um die toten Soldaten. Ich habe drei Söhne und gebe keinen einzigen für einen Krieg her.“

Nach 80 Minuten wurde die Trauerfeier mit dem Spielen der Nationalhymne beendet. Die Angehörigen geleiteten die Särge auf den Vorplatz, wo vier Bestattungswagen postiert waren, davor Feldjäger mit BMW-Motorrädern. Einige Verwandte mussten gestützt werden, so groß war ihr Schmerz, als die Särge vor den vier Wagen abgestellt wurden und die Klänge von „Ich hatt’ einen Kameraden“ zu hören waren. Vielleicht mag die Witwe von Major Jörn Radloff darüber nachgedacht haben, warum ihr Mann mit nur 38 Jahren sterben musste. Der gefallene Soldat war einen Tag jünger als der Bundesverteidigungsminister.

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